vonzwiespalt 30.09.2021

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Die internationale Politik folgte immer schon etwas anderen Regeln und Ansprüchen als die nach >innen< orientierte Politik. Das ist bereits seit der griechischen Antike der Fall, als in das Innere der Polis der Bezug auf das Gemeinwohl gefordert und nach außen, im äußeren Verhältnis der Städte, die Täuschung geboten war – und es ändert sich auch nicht in der neuzeitlichen Staatstheorie, die nach innen Ordnung, Recht und Frieden denkt, nach Außen aber weiterhin prinzipiell den Zustand der Natur, Anarchie, Gefahr und Konflikt gegeben sieht. Zwar bilden sich immer wieder auch optimistische Ansätze der zwischenstaatlichen Perspektive in Verbundenheit und eines gemeinsamen Handelns heraus – hier nicht selten liberal inspiriert und auf wirtschaftliche Beziehungen und Verpflichtungen setzend – oder, mehr noch von der Möglichkeit kollektiver Willensakte ausgehend, wie sie sich mittlerer Weile in der EU oder UN kristallisieren. Dennoch aber kann man sagen, dass bis heute eine fortwährende Distanz und Spannung zwischen nationaler und internationaler Politik bestehen bleibt, die nicht, wie nach dem >Kalten Krieg< durchaus gehofft wurde, in einem ausgeglichenen, befriedeten und kooperativen Multilateralismus besteht, sondern wieder Züge einer systemfeindlichen und bedrohlichen Konkurrenz annehmen (auch wenn die Systemfeindlichkeit gegenüber dem >Kalten Krieg< eine halbierte ist – der Kapitalismus hat seine Welt insgesamt erobert).

In dieser Situation sortieren sich nun offenbar nicht nur die bestehenden Allianzen entlang einer anderen Logik um – die machtpolitische Konkurrenz setzt sich in strategischer Absicht selbst über kooperative Verhältnisse im Kreis der Verbündeten hinweg, wie der geplatzte U-Boot-Deal zwischen Frankreich und Australien zeigt. Man bekommt dabei den auch Eindruck, dass hier insgesamt ein westliches demokratisches Selbstverständnis unter Druck gerät.

Ich will das an zwei Punkten verdeutlichen: Auf der einen Seite zeigt sich eine gewisse, liberale Kurzsichtigkeit, was die ökonomischen Beziehungen mit China angeht (das ist zwar bereits seit Jahren der Fall –wird aber immer augenfälliger). Unter dem liberalen Vorzeichen, dass Wirtschaftsbeziehungen keine politische Relevanz besitzen, haben gerade diese Wirtschaftsbeziehungen, auch von europäischer Seite aus, China zu einer Stärke verholfen, die nun das globale, politische Kräfteverhältnis verschoben hat. Gleichzeitig ist damit natürlich auch eine inhaltlich-politische Dimension verbunden – Fragen der Menschenrechte und Nachhaltig können nun im Westen nur noch von einer sehr viel schwächeren Verhandlungsposition aus gestellt werden (zur Erinnerung: China ist u.a. Weltspitze beim CO2 Ausstoß – und dieses freilich infolge westlicher Investitionen). Auf der anderen Seite baut China mit weltweiten Investitionsprojekten z.T. neokolonialer Art eigenständig seine Vormachtstellung weiter aus. Vielleicht könnte man hier von einem chinesischen Machiavellismus sprechen, der den modernen, westlichen Machiavellismus in der Vielheit seiner imperialen Formen beerbt oder dessen Logik aus einer eigenen Traditionslinie heraus reartikuliert hat. Interessant ist jedenfalls zu sehen, dass das zu einer Zeit geschieht, in der der Westen es sich zur Aufgabe gemacht hat, seine koloniale Vergangenheit und die neokolonialen, neoimperialen Elemente aufzuarbeiten, die ihn seitdem begleiten, um seiner internationalen Beziehungen politisch und wirtschaftlich auf Augenhöhe aufzunehmen (so zumindest die Tendenz oder in Teilen die hehren Absichten). Mit Chinas Vormarsch gerät dieses Projekt nun durchaus unter Druck, denn in dem Maß, wie Chinas Einfluss wächst, wird auch die internationale Politik und die Innenpolitik anderer Staaten (das betrifft ebenfalls EU-Staaten in ihrer Abhängigkeit von China) nach chinesischem Bild geformt. Zwar ist auch der Westen z.B. mit seinen Interventionen im Nahen-Osten sicher nicht frei von Eingriffen in die Politik anderer Staaten – doch aber kann man sagen, dass gegenüber Chinas investitionsreicher Außenpolitik in vielen Fällen geradezu Zurückhaltung und Vorsicht der Einmischung an den Tag gelegt werden.

Vielleicht muss man sich also von westlicher Seite die Frage stellen, ob und welche Möglichkeiten es gibt, diesen Einfluss zu bremsen. Vielleicht ist man hier in eine Position gebracht, die man aus der Auseinandersetzung mit der AfD kennt und die in Deutschland Forderungen nach einer wehrhaften Demokratie laut werden ließen. Dass freilich eine wehrhafte Demokratie eine ist, die nicht nur von Widerständigkeit spricht und dabei gegen den eigenen Staat rebelliert, wie das immer wieder gedeutet wurde, sondern auch Institutionen schützt und gestaltet, dürften die entsprechenden Diskussionen mittlerer Weile umrissen haben. Fraglich ist allerdings, wie eine wehrhafte Demokratie auf internationaler Ebne aussehen könnte und zu welchen Mittel sie greifen müsste.

Wenn Joe Biden bei seiner ersten UN-Vollversammlung eine Ära der Diplomatie ausruft, >america-first< ablehnt und betont: >Amerika sei zurück<, darf man sich nicht über die strategischen Implikationen der Rede täuschen. Mit diplomatischen Bedingungen wird in der Regel Anspruch auf die allgemeine Geltung eines ganzen Sets an liberal-westlichen Regeln erhoben, so dass diese Einladung aus internationaler Perspektive etwas nicht nur Einseitiges haben mag (das mitunter deutlich den Einigungsgrund der UN überteigt), sondern auch nützlich ist die sehr eigenen US-Interessen zu behaupten. Andererseits ist gerade darin ein konzeptuelles Mittel angelegt, für eine gewisse Wehrhaftigkeit westlicher Prinzipien zu sorgen – zugleich besitzen die USA immer noch die nötige Verhandlungsmacht, der liberalen Logik Geltung zu verschaffen – selbst wenn der Preis mitunter ein Zerwürfnis im Westen selber sein könnte – der geplatzte U-Boot-Deal dürfte dann nur eines vieler künftiger Zerwürfnisse sein. Abseits der Frage, inwiefern auch liberale, gerade mit dem Kapitalismus und seiner internationalen Operationalisierung verbundene Grundprinzipien ein imperiales oder hegemoniales Projekt bleiben, glaube ich aber, dass der Frust von westlicher Seite mit der Zeit größer und großer wird, eine Restrukturierung der Weltkarte unter anderen, als den selbst anerkennten demokratischen Prinzipien zu sehen. Entsprechend würde sich dann die Suchbewegung nach einer annähernd gemeinsamen Position des Westens auftun, der es gelingt, eine halbwegs demokratische Ordnung auf globaler Ebene als Gegengewicht einzurichten, das gleichzeitig mit Machtbegriffen operiert aber auch Freiheitsraum bleiben kann.

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