vonzwiespalt 12.11.2020

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Amerika hat gewählt, zwischen Biden und Trump. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn manche behaupten, dass Biden nicht gewonnen hat, weil er Biden ist, sondern er gewonnen hat, weil er nicht Trump ist. Hier wiederholt sich die Wahllogik der letzten Präsidentschaftswahl in Frankreich: Macron, weil nicht Le Pen. Vielleicht steht nun noch stärker das Charakterliche im Vordergrund. Trump ist ja geradezu berüchtigt geworden durch seine fehlende Empathie, Ignoranz, Gehässigkeit, Unbildung, Unaufrichtigkeit usw. Biden dagegen hat den Wahlkampf auf seine guten Eigenschaften als Mensch konzentriert – Einfühlsam, Umsichtig, Wahrhaftig. Es war ein Wettkampf der Charaktere, nicht der Programme, der gute, sorgende und weise Vater der bürgerlichen Walt hat den nicht-erwachsen-werden wollenden Rüpel, das ewig sittenlose Kind verdrängt. Damit war es in doppelter Hinsicht ein antiker Wahlkampf – eine Suche oder Frage nach dem richtigen Herrscher, die so auch hätte in der griechischen Antike gestellt werden können… eine Zentrierung auf die Person, und in Bidens Fall, auf das tugendhafte Subjekt, das bereits durch seine Tugendhaftigkeit überzeugt, da die Tugend das entscheidende Kriterium ist, gute Politik anzuleiten. Inhaltliche Ansprüche, Vorstellungen, Mittel und Wege der Politik selber stehen dahinter zurück – nicht, weil sie nicht wichtig wären, sondern, weil sie sich aus der Tugendhaftigkeit des Charakters ergeben. Der modernen demokratischen Idee folgt das nicht unbedingt, zumindest nicht in dem Ausmaß. Auf der anderen Seite geht es um eine Gegenüberstellung von Jung und Alt, Weise und Unerfahren, Affektkontrolliert und Aufmüpfig oder Affektiert. Der Herrschaftsanspruch des affektierten, ewigen Kindes verbindet sich bei Platon mit der Herrschaft der Masse und der demokratischen Regierungsform. In der Masse tummeln sich die Leichtsinnigen, mit der Demokratie erheben sie sich zur Herrschaft. Das letzte Mal hat die Masse ihren Populisten durchgesetzt, das Kind zum Herrscher gekürt, nun ist die Weisheit am Zug. Nach einer vierjährigen Verfallsgeschichte wurde, in schwacher Mehrheit und also leichter Überzahl, der nötige Respekt für das Alter (wieder)entdecken. Der Weise freilich, ist weniger auf die Masse verwiesen als das Kind, er spielt nicht mit ihrem Sentiment, sondern sorgt für sie von Oben herab. Er spricht den Amerikanern in die Seelen und liest aus ihren Seelen heraus das Bedürfnis und die Politik der weisen Erneuerung und tugendhaften Steuerung einer guten, alten Demokratie ab.

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