vonzwiespalt 24.01.2022

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Sollten die >Grünen< Aristoteles lesen? Das klingt erstmal nach einer seltsamen Forderung. Immerhin kann man Aristoteles mit vielen problematischen Thesen in Verbindung bringen – angefangen von Vorstellungen einer sehr ungleichen Gesellschaftsordnung bis hin zu einem problematischen Naturbegriff. Andererseits gibt es gerade in Verbindung mit seiner Vorstellung der Natur (des natürlichen Haushaltens) interessante Passagen. Nicht nur werden dort Bezüge zur Natur skizziert, die, angesichts der Klimakrise, heute wieder gefordert werden und also aktuell sind. Auch ist für uns gegenwärtig das Naturverhältnis, so hört man immer wieder, in ganz unterschiedlichen Hinsichten aus dem Ruder gelaufen. Hier kann man ebenfalls auf Aristoteles Bezug nehmen, der ein >aus dem Ruder laufen<, eine Entgrenzung thematisiert hat. Möglicherweise lässt sich mit Aristoteles (unter allen gegebenen Vorbehalten) eine Krisenanalyse bzw. ein Standpunkt zuspitzen, der willkommen und hilfreich ist.

Dazu ein paar Anmerkungen: Aristoteles spricht darüber, dass unser Besitz von Natur gegeben ist und die Natur nichts zwecklos macht. D.h. beispielsweise, dass die Pflanzen wegen der Tiere da sind und die Tiere des Menschen wegen. Hier haben wir eine Textpassage, die schwierig und umstritten ist wegen der Instrumentalität, die sie gegenüber Tieren bzw. der Natur behauptet, aber auch wegen der These eines Zwecks der Natur. Man kann dem Abschnitt jedoch mehr abgewinnen und den Anspruch entdecken, sich darauf zu richten, was die Natur den Menschen von sich aus zu bieten hat bzw. ihnen >aus eigenen Kräften< bereitstellt. Man kann sagen, Aristoteles zielt auf ein Leben >mit< der Natur ab, oder auf ein Leben, das eingehegt ist durch die Natur und er gerade nicht Herrschaft oder Instrumentalität predigt. Ein Verhältnis der Herrschaft und Ausbeutung ist vielmehr für ein neuzeitliches Wissensverständnis, ein neuzeitliches Verständnis politischer Begriffe und die Geburt der modernen Großindustrie kennzeichnend. Wir sind aus Aristoteles` Perspektive nicht Herren der Natur, sondern müssen uns als deren Teil verstehen, der zu nutzen weiß, was sie uns bietet, was sie uns sozusagen >von sich aus< gibt und nicht, was wir ihr abzwingen, indem wir uns über sie stellen.

Im Hintergrund steht die Idee von einem natürlichen Gleichgewicht, das unserem Leben (unserer Existenz) Dauer und Harmonie verleiht. Aristoteles spricht mitunter von Autarkie – wir sollen selbstgenügsam leben, was bedeutet, mit der Natur und nach der Natur zu leben. Auch ist die Rede davon, die Dinge nach ihrem Gebrauchswert und nicht nach ihrem Tauschwert zu nutzen, z.B. den Schuh zum Tragen zu verwenden und nicht zum Tauschen, weil sich nur im Tragen sein natürlicher Zweck erfüllt (freilich bleibt der Tausch in Grenzen zulässig). Sehr allgemein (abseits komplizierter Detailfragen) könnte man also sagen: Es geht darum die Natur, aber auch die Dinge der menschlichen Welt, >richtig< zu nutzen und unsere Bedürfnisse, unsere Leben, unsere Gesellschaften in dieser Nutzung umsichtig einzurichten. Autark zu leben bedeutet selbstgenügsam zu leben, bedeutet so zu leben, dass das Leben nachhaltig gelingt. Eine solche Nachhaltigkeit im gesellschaftlichen Stoffwechsel zu erreichen, aber auch eine Begrenzung in unseren Bedürfnissen zu erwirken – wie viel machen die Bedürfnisse mit unserer Welt! – ist gerade ein brisantes Thema in unseren Gesellschaften.

Man kann schließlich Aristoteles schärfer stellen, indem man danach fragt, was es bedeutet, nicht der Natur nach zu leben. Einerseits gerät Aristoteles zufolge dann unser >Seelenleben< aus dem Ruder – wir verlieren den richtigen Kontakt zu den Dingen und unsere Wünsche, unsere Leben werden maßlos. Damit ist aber nicht nur der Weg zu einem >glücklichen< Leben verbaut, wir beginnen uns, auf der anderen Seite, auch mit Dingen zu umgeben, die unsere natürlichen Bedürfnisse nicht mehr sicherstellen und gehen so ein existentielles Risiko ein. Indem wir immer mehr wollen und immer mehr das Falsche wollen, verlieren wir die Möglichkeit eines gesicherten Überlebens aus dem Blick und zerstören dessen materielle Grundlage. Man könnte mit Aristoteles das Beispiel der Luxusgüter geben, die unsere Gesellschaften überschwemmen und die Natur verwüsten, ohne zugleich elementare Bedürfnisse von Teilen der Gesellschaft befriedigen zu können.

Natürlich stellen sich hier Fragen, wie genau sich das Richtige vom Falschen unterscheiden lässt, wie man diese Einsichten in gesellschaftliche Programme übersetzt und ob solche Einschnitte in unseren komplexen Gesellschaften überhaupt eine praktische Relevanz haben können. Müssen wir auf eine kulturelle Reform setzen oder sind politische Maßnahmen legitim (die mit Aristoteles sehr einschneidende Maßnahmen sein würden)? Darf man die Ungetüme der Windkraft überhaupt von dem Standpunkt eines Teiles der Natur aus denken? Müssen und können wir zu agrarwirtschaftlichen Lebensformen zurückkehren bzw. Postwachstumsprojekte hinreichend intensivieren? Trotzdem glaube ich, dass mit diesem Blick auf Aristoteles nicht nur viele Intuitionen aufgegriffen werden, die uns heute umhertreiben, sondern auch ein interessanter, interpretativer Rahmen bereitgestellt ist.

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