vonzwiespalt 02.02.2022

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Es ist diese Frage, die viele umhertreibt. Was will er? Was will Putin? Man liest zurzeit nicht wenige Textbeiträge, die von dieser Frage ausgehen oder auf sie zulaufen.

Freilich besitzt das Fragen einen Hintergrund: Es geht nicht um Putins Frühstückspudding, sondern um Macht – und die Art und Weise, wie dann über Macht nachgedacht wird, ist eine kritische. Putins Macht ist gemeinhin die böse Seite der Macht – es ist keine Macht der guten Schöpfung oder Befreiung, sondern eine Macht von Zerstörung und Beherrschung. Damit ist die Frage danach, was Putin will, geleitet von einem Blick auf die Macht, der diesem Wollen das Zeichen des Üblen aufprägt.

Nun kann man zu Recht sagen: Putin macht es einem leicht, ihn so zu sehen. Seine Politik lässt sich unumständlich als Aggression deuten (Kriegsrhetorik, Besetzung, Soldaten, Waffen noch und nöcher…). Und weil er es uns so leicht macht, liegt es auf der Hand, was er will, oder besser gesagt, was er nicht will: etwas Gutes. Das mag also stimmen. Wir gehen dann von einer gewissen Offensichtlichkeit oder Selbstevidenz der Handlungen aus. Man kann aber darüber nachdenken, ob es nicht auch anders ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass uns die Perspektive des Bösen vor sich hertreibt.

Ich glaube, dass es nicht um ein Putin-Verstehen geht, wenn man solchen Eindrücken folgt. Eher habe ich das Gefühl, dass der Vorwurf des Putin-Verstehens nicht von der Suggestivkraft und Überperson Putins loskommt. Dass man sich von der Überperson Putin verschluckt fühlt und das Bedürfnis hat, sich mit aller Macht frei-strampeln zu müssen. Was mir also Sorgen macht, ist die Kontrolle, die Putins Willen zur Macht über unser Denken eingenommen hat. Eine Kontrolle, die einiges an der diskursiven Emphase und Kreativität überschatten, die es ja zweifelsohne gibt.

Hier bin ich angesichts Deutschlands Zurückhaltung in offensiver Kriegspolitik froh. Auf der anderen Seite lässt sich die offensive Position z.B. der Ost-Staaten mit der Suggestivkraft und Überperson Putins erklären. Natürlich spielt auch die historische Erfahrung eine Rolle – vielen Menschen steckt der Schreck des Ostblocks noch in den Knochen. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Schrecken vor einer äußeren Macht nicht die Einschätzung der gegenwärtigen Konfliktlage einfärbt (>Putin wird die EU fressen<). Das ist mir in meinem eigenen Bekanntenkreis immer wieder aufgefallen. Mithin glaube ich, dass dieselbe Furcht den nervös geschäftigen Bau von hight-tech Grenzsicherungsanlagen gegen flüchtende Menschen im Osten antreibt.

 

Ein demokratischer Krieg gegen Russland?

Wichtig ist zu sehen, dass die Betonung jeder Seite (Nato/ Russland) keinen Krieg zu wollen halbherzig ist. Wer sein Militärwerkzeug in eine Position bringt, dass sie eine Kollision wahrscheinlicher macht, nimmt willentlich diese Möglichkeit in Kauf. Ein Bestreiten der Kampfbereitschaft akzentuiert zwar Mut auf Dialog und Diplomatie, es verdeckt aber, dass sich die Situation >hinter den Kulissen< sehr bewusst verschärft.

Hat schließlich nicht derjenige, der den Krieg in Kauf nimmt, schon die Demokratie geopfert? Nicht selten wird ja eine demokratische Rhetorik westlicher Werte in den Konflikt eingetragen. Kann man aber den Krieg – und damit alle Mittel, die den Krieg wahrscheinlicher machen – als Mittel zum Zweck verstehen, also beispielsweise zum Zweck der Verteidigung demokratischer Werte? Kann Demokratie sich auf einen solchen Ausnahmezustand der Rechtlosigkeit und des Todes berufen? Ich denke: wenn man Krieg führt, wenn man zum Kampf rüstet, dann kämpft man nicht für Demokratie – niemand kann Demokratie mit Vernichtung erwirken. Demokratie überwindet Krieg, sie gründet sich nicht darauf.

Ich finde es erschreckend, dass die gegenteilige Vorstellung immer mehr salonfähig wird und glaube, dass sie in weiten Teilen genährt ist von einem Bild des Bösen, das die Demokratie negiert. Ein Böses, das es in der Gestalt Putins da draußen gibt und das, als das andere der Demokratie, ihr gegenübersteht. Eine solche Gegenüberstellung legt nahe, dass >unsere< Demokratien nie ihr demokratisches Feld verlassen können, weil es bereits ein nicht-demokratisches Anderes gibt, das sie selber auf ein demokratisch-sein festlegt. Folgt man aber dieser Intuition, läuft man geradewegs auf die Position einer kriegerischen Demokratie zu.

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