vonzwiespalt 14.02.2023

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

Mehr über diesen Blog

Man kann sagen, dass die Idee der Menschenrechte aus dem Krieg geboren worden ist. Es ist das Problem des Konflikts der Menschen in einem Zustand gewesen, der keine befriedende Macht des Staates kennt. Andererseits war es gerade die Macht des Staates, die als übermächtiges Mittel der Streitschlichtung zur Lösung des Konflikts herangezogen wurde. Das führte schnell zur Forderung nach Menschenrechten als Grenze staatlicher Macht. Menschenrechte kamen hier vor allem als Freiheitsrechte und Abwehrrechte gegen den Staat in den Blick. Seitdem sind Menschenrechte als Fundament der politischen Ordnung kaum mehr wegzudenken. Ihr Status und Gehalt ist zum Gegenstand immer differenzierterer Konzeptualisierungsversuche geworden.

Verweisen möchte ich hier auf die Erwägung, ob es Menschenrechte nur im staatlichen Zustand und im Verhältnis zum Staat >gibt<, oder tendenziell auch darüber hinaus. Im ersten Fall bleiben Menschenrechte virtuell, d.h. sie werden erst durch den staatlichen Rahmen auf den Weg gebracht. Also dadurch, dass (und wie) sich Menschen eine Verfassung geben, um diese Rechte zu konkretisieren und ihnen mit dem Staat praktische Geltung zu verleihen. Allenfalls gibt es hier Menschenrechte im Vorfeld als vagen theoretischen Bezugspunkt, als ein >Recht auf Rechte<, das noch keinerlei konkrete Gestalt in der Welt hat. Der zweite Fall allerdings verweist auf die Möglichkeit, dass Menschenrechte (als mehr oder weniger konkrete Ansprüche) immer schon in der Welt bestehen und auch Geltung beanspruchen. Was ihnen an dieser Stelle fehlt, ist >nur< eine staatliche Macht, die ihre Einhaltung und >praktische Wirksamkeit< verbürgt.

Im Folgenden möchte ich die zweite Lesart in den Blick nehmen. Und das deshalb, weil die Regierungspolitik der letzten Jahre (als auch passiver, aber bejahender Teil einer westlichen Allianz) sich überwiegend auf diese Position einer generellen Geltung der Rechte bezog, ohne sie hinreichend ernst zu nehmen. Wie lässt sich diese Behauptung mit Blick auf das Kriegsgeschehen der letzten Jahrzehnte klar machen? Zunächst ist, bezogen auf die vorangehende Erörterung, zu sagen: Der Anspruch einer generellen Geltung der Menschenrechte muss auch für den Kriegszustand gelten, gleichwohl die Sicherung der Rechte nicht geregelt ist. Was bedeutet das aber weiter?

Der westliche „Widerstand“ oder „Freiheitskampf“ gegen autoritäre Regime geht offenbar davon aus, entlang seinem Kampf für eine freiheitliche Regierung, auch mit den Menschenrechten konform zu sein. Ich glaube, diese Annahme ist in einer wichtigen Hinsicht falsch. Ich glaube, ein Krieg kann, zumindest in einigen Hinsichten, nicht Menschenrechtskonform sein – und eine Beteiligung daran auch nicht (zumindest nicht im >konventionellen< Menschenrechtsverständnis).

Zwar kann man hier zweifeln: Haben nicht alle diejenigen, die sich in einem Krieg entschieden haben zu kämpfen, den Anspruch der Geltung ihrer Rechte aufgegeben? Werden nicht gerade in Konfliktkonstellationen, die wir seit Afghanistan bis zur Ukraine kennen, Menschenrechte verteidigt? Vielleicht. Vielleicht nicht. Letzteres >vielleicht nicht< wäre z.B. der Fall, sollten Menschenrechte unabgebbar sein. Darum soll es an dieser Stelle aber nicht gehen.

Mir geht es um die Zivilbevölkerung. Das Leiden der Zivilbevölkerung, über deren Köpfen der Krieg ausgetragen wird, wird oft vergessen. Das war in Afghanistan so, das ist in der Ukraine ähnlich. Das Leiden der Zivilbevölkerung spielt zwar eine Rolle, sofern auf einen >Aggressor< geschaut wird, der sich am Volk versündigt (die Taliban, Putin etc.). Es kommt aber nicht infolge der Kampfhandlungen in den Blick, die sich aus einer konfliktuellen Dynamik zweier (oder mehrerer) Seiten ergeben. Vergessen wird dabei, dass Menschenrechte gleichgültig dagegen sind, wer sie verletzt – ob Freund oder Feind. Ihnen ist es egal, welche Seite aus welchen Gründen den Krieg >gebracht< hat – der bloße Umstand des Krieges lädiert die Menschenrechte aller Menschen, die trotz zweifelhafter Herrschaftsansprüche im Nacken, nicht kämpfen wollen. Von Menschen, die gewisser Weise duldende, unbeteiligte, leidende Dritte sind.

Wenn Menschenrechte eine allgemeine Geltung beanspruchen sollen, dann können sie auch dann verletzt werden, wenn sie im „Kampf für das Gute“ lädiert werden. Mitunter aus dieser Einsicht zehrt die historische Emphase und Bedeutung dieser Rechte: Es gibt keinen Altar, auf dem die Rechte der Menschen einem höheren Gut geopfert werden können sollen.

Gleich also, ob es die Bevölkerung Afghanistans, des Irak oder der Ukraine ist – die Zivilbevölkerung, die schon aus begrifflichen Gründen nicht eigentlich Akteur im Konflikt ist, wird durch den Kampf in ihren Menschenrechten übergangen. Der Umstand, dass der Westen, trotz seiner vielfältigen Beteiligung an Feldzügen, diesen Punkt kaum zur Kenntnis genommen hat und ihn meist unter die Dichotomie von Freiheit und Unfreiheit oder Despotie subsumierte, verweist auf eine gravierende Lücke im Menschenrechtsbezug. Offenkundig gibt es mit den Rechten der Zivilbevölkerung ein Drittes, das in dieser Dichotomie nicht aufgeht.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/zwiespalt/krieg-und-menschenrechte-politik-russland-afghanistan-frieden-freiheit-despotie-demokratie-autokratie-volk-bevoelkerung/

aktuell auf taz.de

kommentare