vonzwiespalt 17.01.2022

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Ob die Krise in der Ukraine derzeit überraschend ist? Irgendwie schon – aus der Ferne wirkt es, als wäre plötzlich ein Sack voller Probleme aufgeplatzt, wo es doch in der letzten Zeit recht ruhig gewesen ist. Auf der anderen Seite geht es durchaus um einen schwelenden und fortlaufenden Konflikt – und nicht wenig hat der Wechsel zur Biden-Administration zu den Spannungen beigetragen. Nicht, dass Biden etwas sehr Neues mit Russland oder der Ukraine im Schilde führen müsste – vielmehr zeigt sich, dass Trump der russischen Seite wohl doch einige Versicherungen gegeben hat, was den Ukrainekonflikt angeht.

Es genügt vermutlich, wenn das Russlandverhältnis nun etwa an dem Punkt ansetzt, wo Obama und Clinton aufgehört haben. Dem Konflikt ist nicht etwas hinzugekommen, sondern (mit Trump) etwas weggebrochen und damit etwas Altes wieder sichtbar geworden. Die alten Probleme und Sorgen sind wieder auf dem Tisch und haben sich, so scheint es, in den letzten Jahren kaum verschoben.

Hier muss man sich die historische Dimension bewusst machen. Die Krise ist eingebettet in ein, seit dem Kalten Krieg, nicht abgebautes Misstrauen. Ein Misstrauen, das sich schon kurz nach dem Ende des Ostblocks in der Kündigung gegenseitiger Abrüstungs- und Sicherheitsverträge gezeigt und bis heute fortgesetzt hat. Jahrzehnte lang schaukelten sich Spannungen hoch, in deren Verlauf die Ukrainekrise eines der dramatischen Momente ist, aber eben das Moment einer historischen Entwicklungsrichtung.

Ein stets krisenhafter Naturzustand

Ich glaube, um die Ost-West-Krise bzw. Nato-Russlandkrise zu verstehen, ist es wichtig, die große und gegenseitige Portion Misstrauen zu sehen, die gegenseitige historische Feindschaft und Angst, die es schwer machen die Situation(en) wohlwollend einzuschätzen oder konstruktiv zu wenden. Ich denke die verzerrende Rolle des Misstrauens bleibt, bei allen Informationen, die Staaten übereinander sammeln, und trotz der Beteiligung zahlreicher Analysten, in signifikantem Maße bestehen. Irgendwie sind wir von den Ereignissen alle betroffen und wissen alle zu wenig übereinander – es herrscht eben, wie Hobbes es damals beschrieb, der stets krisenhafte Naturzustand – in der Betroffenheit gibt es kein Außen, bezüglich notwendiger Informationen herrscht notorischer Mangel.

Vermutlich würden wir uns unter solchen Umständen in vielen Lebensbereichen vom Handeln distanzieren. Wir würden einsehen, wie schwer es ist rational zu handeln und würden uns, so es geht, durch Eltern oder Anwälte mit kühlem Kopf und besserem Wissen vertreten lassen. Die Tragik internationaler Politik besteht darin, dass das nicht möglich ist. Hier spitzen sich Konflikte als Staatenkonflikte auf ihre Unvertretbarkeit zu – auch das Nato-Bündnis hilft hier nicht wirklich weiter – nur Gott oder ein Globalstaat könnte eine übergeordnete Position bereitstellen – beides ist nicht greifbar.

Rhetorisch geschickt

Ich möchte noch einen Punkt ausführen, den man als einen der größten Streitpunkte der Ukrainekrise bezeichnen kann – den Nato-Beitritt der Ukraine: Im Allgemeinen wird Russlands Anspruch kritisiert der Ukraine die Nato-Mitgliedschaft zu verwehren – meist mit Bezug auf den Souveränitätsbegriff. Wer souverän ist, so heißt es, muss die Möglichkeit haben über seine Zukunft alleine zu entscheiden. Souveränität ziele auf staatliche Entscheidungshoheit bzw. das Recht der Selbstbestimmung über die eigene Zukunft. Es gibt in dieser Perspektive keine höhere Macht, der das Recht zukommt, einem Staat diese Entscheidung zu nehmen. Damit freilich ist ein Beitrittsanspruch nicht automatisch begründet.

Wenn eine Reihe von Staaten sich entschließen einen exklusiven Klub zu gründen, gibt es kein Recht eines dritten Staates, diesen Klub zu verbieten oder seine Beteiligung zu erzwingen (so laufen z.B. EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei). Insofern wäre eine Verweigerung der Nato-Staaten zur Aufnahme der Ukraine völlig d`accord mit den staatstheoretischen Grundlagen.

Worum es hier eigentlich geht, ist die aktive Ablehnung der Nato-Staaten die Ukraine auszuschießen und ein politisches Motiv oder Strategie, mit Russlands Forderungen auf eine rhetorisch durchaus geschickte Art umzugehen.

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