vonzwiespalt 28.07.2021

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

Mehr über diesen Blog

Laschets Lachen hat mittlerer Weile einige Prominenz errungen – das kann man mit gutem Grund wohl über ein doch flüchtiges Ereignis sagen, das nur wenige Sekunden dauerte und nun seit vielen Tagen immer wieder in Medienberichten und Leser-Kommentaren diskutiert wird – sogar im zdf-heute-journal etwa eine Woche später wurde darauf noch zurückgegriffen. Gemeint ist der Moment, an dem Laschet im Hintergrund einer Steinmeier-Rede zur Flutkatastrophe vor Ort in äußerst heitere Stimmung verfällt. Ungewollt und doch Kamerawirksam wird dieses Moment zum Politikum.

Dabei trifft der Vorfall auf eine kritische Stimmung, die sich ansatzweise bereits im Vorfeld zum Besuch von Politikern in den Krisenregionen herausgebildet hat – ein Teil der Betroffenen freute sich über die Anteilnahme und hoffte auf gesteigerte Hilfsbereitschaft von politischer Seite durch die persönlichen Eindrücke der Verwüstung. Ein anderer Teil stand den Besuchen bereits eher ablehnend gegenüber, misstraute der Bereitschaft oder Hilfe der Spitzenpolitik und setzte dagegen auf zivilgesellschaftliches Engagement. Hier fügt sich, außerordentlich unglücklich, Laschets Lachen ein, das dann als Ausdruck mangelnder Anteilnahme, aber auch als Zeichen von Geltungssucht und Profilierungsdrang gewertet wurde, die Krise zu eigenen Zwecken auszunutzen. Eine dritte Position hat Laschet für seine mangelnden >Schauspielkünste< kritisiert, als Kanzlerkandidat zumindest so tun zu müssen, als mache ihn die Krise der Menschen persönlich betroffen – hier treten vermutlich Ansprüche des guten (sorgenden) Staates und Herrschers auf den Plan.

Worauf ich näher blicken möchte, ist die Kluft, oder der Zusammenhang von Eigennutz und Gemeinwohl, der nun anlässlich Laschets Lachen verschärft ins Blickfeld gekommen ist – man den angereisten politischen Eliten also entweder eigennütziges oder gemeinwohlorientiertes Handeln zugeschrieben hat. Ich glaube, dass man nicht von einer Trennung der beiden Momente ausgehen muss, sondern von ihrer Verbindung, und dass es gerade deshalb schwer ist, im berufspolitischen Handeln eigene Interessen bzw. Parteiinteressen vollständig auszusparen. Der Grund: Oft lassen sich die eigenen Interessen kaum vom Gemeinwohl trennen. Der Umstand, dass man in einer Krise hilft und selber helfen möchte, kann beispielsweise schwer abgelöst werden von dem Umstand, dass eine schlechte Performance bei dieser Hilfe sich negativ auf die Popularität der eigenen Person und Partei niederschlägt – Laschets Lachen ist dafür das entsprechende Negativ-Beispiel. Dann aber stellt sich immer auch die Frage, ob derjenige tatsächlich helfen wollte und – wenn er es denn nicht wollte und nur zweckmäßig handelte – ob denn das Handeln zugunsten des eigenen Vorteils und abseits des Gemeinwohls irgendwann bald vielleicht nicht doch beginnen wird.

Schon Kant war bekanntlich kritisch gegen die Möglichkeit, eigennützliches Handeln zu überwinden und sprach sich für ein einziges Moment aus, in dem das stattfinden kann: Den guten Willen, der nur dann gut ist, wenn er dazu führt, dass alleine oder vor allem aus Einsicht in das allgemeine Gesetz gehandelt wird. Damit wäre zwar ein Unterscheidungskriterium benannt, an das man sich halten kann – alleine das Problem wird dadurch nur verschoben. Es liegt nicht nur darin einzustimmen, was allgemeines Gesetz sein könnte, sondern man wird die Unsicherheit nicht los, die darin liegt, an den guten Willen als stetes Motiv des künftigen Handelns auch glauben zu müssen und die Berufspolitik nicht irgendwann in einer Spirale der Eigennützlichkeit entgleisen zu sehen.

Aus dieser Perspektive, so ist zu vermuten, bleibt die Hoffnung oder Sehnsucht nach dem guten Herrscher, wie es das politische Vorbild der Antike gewesen ist, weiterhin zumindest für einige Teile der Gesellschaft erhalten. Erst die mühsam erworbene, innere Eintracht und gute Beschaffenheit der >Seele< des Regenten kann Garant für eine gute Regierung und damit in der Lage sein, die Ambivalenz zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl dauerhaft zu überwinden. Freilich könnte man auch sagen – und das wäre irgendwie ein Rousseauscher Gedanke – dass man diese Ambivalenz zumindest dann nicht überwindet, solange unsere Gesellschaft strukturell so gestrickt ist, dass die persönlich-politischen Interessen überhaupt starke, distinkte, innere Motive werden können. Dass es also möglich ist, dass Eigennutz und Gemeinwohl so auseinanderfallen bzw. sich so verbinden, dass Eigennutz zu Gemeinwohl führt, oder sich damit decken kann und nicht selber schon Gemeinwohl >ist<.

Nun ist es heute freilich schwer, im starken Sinne von der einen, oder der anderen Position auszugehen: Weder glauben oder haben wir heute Mechanismen zur Herausbildung tugendhafter Herrscher, wie sie die Antike (theoretisch) besaß, noch leben wir in einer Gesellschaft, die in struktureller Hinsicht die Ambivalenz von Eigennutz und Gemeinwohl überwindet. Zwar lässt sich sagen, dass, je weniger Eigennutz und Gemeinwohl auseinanderfallen, umso eher man vor einer >politischen Instrumentalisierung des Lebens< verwahrt bleibt – und man kann versuchen diesen Weg zu gehen. Auch kann man sagen, dass Beispiele wie die Flutkatastrophe zeigen, dass weiterhin (zumindest einige) starke Ansprüche gemeinwohlorientierten Handelns bestehen bleiben. Allerdings bleibt ein insgesamt starker Gedanke des Gemeinwohls schwer haltbar und wiederkehrende Zweifel um die Tugendhaftigkeit der politischen Führungsringe erinnern daran, dass man mit instrumentellen Momenten in der Politik durchaus rechnen muss. Das soll sicher nicht bedeuten, in der Berufspolitik ein feindliches Lager auszumachen, dem nur mit Misstrauen begegnet werden müsse. Die Skepsis könnte aber – und das wäre eine Art kleines Fazit dieser Gedanken – für eine innere Spannung sensibilisieren, in die Berufspolitik und ihre Akteure in unseren Gesellschaften sozusagen generell eingetragen sind, mit der sie selber kämpfen müssen, von der sie aber auch überwältigt werden können oder die eben auf die eine oder andere Art und Weise dazu neigen kann, das, was an Gemeinwohlansprüchen bleibt, weiter durch Eigeninteressen aufzuweichen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/zwiespalt/laschets-lachen-laschet-flut-nrw-flutkatastrophe-moral-eigennutz-gemeinwohl-krise-profilierungsdrang-berufspolitik/

aktuell auf taz.de

kommentare