Im Konflikt mit Minsk gibt sich EU-Ratspräsident Charles Michel entschlossen. Man prüfe die Finanzierung neuer Grenzzäune. Auch Stimmen aus den EU-Mitgliedstaaten schließen sich immer mehr dieser Forderung an. Was ist aus der Flüchtlingspolitik 2015 geworden? Wie ist es möglich, dass Migration nun in negativen Begriffen der Bedrohung und des (hybriden) Krieges gefasst wird? Zwar muss man auch 2015 differenziert betrachten. Weder standen damals die Visegrad-Staaten der Migrationsfrage offen oder positiv gegenüber, noch galt das für viele andere EU-Staaten. Frankreich hat nur einen kleinen Teil an Migranten aufgenommen, bei England kann man hier sogar den Tropfen auf den heißen Stein des EU-Austritts erkennen. Andere Staaten schließlich, wie Österreich, Dänemark oder Norwegen, haben trotz verhältnismäßig hoher Aufnahmen an Migranten, später einen deutlich zurückhaltenden Kurs eingeschlagen. Zu erinnern sei auch an den EU-Türkei-Deal und Frontex – beides Mechanismen, die Migrationsbewegung zu reduzieren; und beides Mechanismen, die auch von der Merkel-Regierung unterstützt wurden.
Wie ist das also mit den universellen Rechten, mit den universellen Rechten der Freizügigkeit und körperlichen Unversehrtheit, mit der schützenden Aufnahme von Menschen und der Bereitstellung von Lebenschancen? Und – was ist diesmal anders? Nun offenbar ist es nicht so ganz anders, wie die vorangehende Skizze zeigt. Andererseits ist es aber doch sehr unterschiedlich – und das durch den Umstand, dass die Migrationsbewegung beinahe vollständig im Zeichen der Bedrohung und Instrumentalisierung gefasst wird.
Natürlich sind auch die politischen Hintergründe andere – ist eine Instrumentalisierung der Migration 2015 vor allem Spekulation gewesen, werden jetzt von offizieller Seite klare Angaben einer gesteuerten Bewegung und ihrer gezielten Ausrichtung an die EU-Außengrenzen gemacht – in voller Absicht einer Destabilisierung der einzelnen EU-Staaten aber auch des EU-Verbundes durch Belarus. Aus diesem Kontext können sich Blicke auf die Migrationsbewegung gerade nicht lösen – die Instrumentalisierung der Migrationsbewegung erlaubt es offenbar nicht, sie schlechthin in Begriffen der universellen Rechte zu denken.
Natürlich ist das aus der Perspektive universeller Rechte eine durchaus seltsame Situation, denn, so die Frage, kann überhaupt, einmal der Anspruch eines universellen Rechtes erhoben, dieses verloren werden oder in den Hintergrund treten? Das Universelle am Recht steht doch nicht nur für etwas Allgemeines, sondern auch etwas Unbedingtes, immer Gültiges am Recht – so jedenfalls mithin oft der Tenor der deutschen Flüchtlingspolitik 2015. Und mehr noch – warum sollte jemand sein universelles Recht auf etwas verlieren, wenn er von jemandem instrumentalisiert und betrogen wurde? Werden universelle Rechte nicht gerade als Schutz gegen Instrumentalisierungen – und vor allem gegen Instrumentalisierungen durch Staaten gedacht?
Natürlich sehen sich die EU-Regierungen hier einem politischen Machtkampf gegenüber, davon aber müsste eigentlich die Logik der Rechte unberührt bleiben. Aus der Perspektive des Rechts könnten Migranten gar nicht instrumentalisiert werden, weil der Rechtsanspruch, da er ein universeller ist, immer zu Recht erhoben wird und also davon unabhängig ist. Sofern die Regierungen das anders sehen, sofern hier nun andere Rechtskonzepte stark gemacht werden, sollte man mal öffentlich und eindringlich über die Bedeutung universeller Rechte reden, weil sich im Verhältnis zu 2015 gerade eine himmelschreiende Diskrepanz auftut.