vonzwiespalt 25.05.2023

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Die Klimaproteste fordern die Politik heraus. Diese wehrt sich mit Verweisen auf Rechtsstaat und Demokratie. „Der Rechtsstaat lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen“ – so wird Nancy Faeser viel zitiert derzeit. Oder: „legitimer Protest endet immer dort, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden“ – ebenfalls Nancy Faeser. Damit wird nachdrücklich eine strafrechtliche Verfolgung der Aktivistinnen und Aktivisten betont.

Das klingt einleuchtend – die Verbindung von Rechtsstaat und Demokratie zeichnet sich in der Moderne doch dadurch aus, dass die Gewalt im Staat von allen Seiten eingehegt ist. Staatsgewalt darf sich nur im Kontext rechtsstaatlicher Bindungen und entlang demokratischer Gesetze äußern. Die Gewalt der Straße wiederum findet Platz bei Demonstrationen oder in Phasen zivilen Ungehorsams – sie bleibt verortet und begrenzt durch das rechtsstaatliche Gefüge.

Dennoch stellt sich die Frage nach Faesers Wendung vom >legitimen Protest<. Hier möchte ich auf Jürgen Habermas` Kritik an Max Weber erinnern (1986). Habermas grenzte sich von Webers Legalitätsbegriff ab, Recht als bloße Korrektheit von Satzungsprozeduren zu denken. Das könne modernen Demokratieansprüchen nicht genügen, so Habermas. Demokratisches Recht müsse auch rechtfertigbar sein, was bedeutet, dass es vor dem Willen seiner Bürger bestehen können muss. Diese Vorstellung geht über einen Demokratiebegriff hinaus, der das repräsentative Schauspiel qua Wahl ins Werk setzt. Erst damit wird Legalität zu Legitimität.

Die Grenzen, die dem Aktivismus gesetzt werden, gehören nicht dem Bereich des Legitimen zu

Wenn Faeser also behauptet, dass legitimer Protest dort endet, wo Straftaten begangen werden, dann bindet sie, hier mit Habermas gesprochen, die Grenze eines politischen Handelns, das rechtens ist, an die Einstimmung der Bürger zu dieser Grenze.

Nun ist es mithin gerade das, was bezweifelt wird. Die Möglichkeit einer Einstimmung in Grenzen des Handelns, die das Klimaproblem nicht ernst nimmt, ist für die Aktivisten untragbar (es kann nicht rechtfertigbar sein). Da sie sich also selber aus einer solchen Einstimmung herausnehmen, können die politischen Regeln, die infrage stehen, nicht legitime Regeln sein. D.h. die Grenzen, die dem Aktivismus gesetzt werden, gehören nicht dem Bereich des Legitimen zu.

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Mit Jürgen Habermas kann man sagen: Was Faeser als legitimen Protest erkennt, zeigt sich für die Klimaaktivistinnen nur eine schwächere Form der Legalität von Ordnung zu sein. Das Fehlen der eigentlich demokratischen Komponente wird reklamiert. So wäre aus Gesichtspunkten der Legitimität der politische Kampf für eine klimakonforme Rechtsordnung nicht strafbar, auch wenn er den Strafbestand durch Legalitätsgründe erfüllt. Hier müssten Regierungen Verantwortung für Probleme übernehmen, die durch aktivistischen Handlungsdruck erzeugt worden sind.

Natürlich hätte Habermas selber das nicht so gesehen. Sein Denken des zivilen Ungehorsams ist ein verhaltenes Denken. Er würde auf Reform setzen und die geltenden gesetzlichen Grenzen als legitime Grenzen verstehen. Dennoch – man könnte Habermas vorwerfen, auf halber Strecke stehen geblieben zu sein. D.h. die Einstimmung der einzelnen gefordert, sie dann aber in Vertretung und Reform im und durch das politische System begraben zu haben. Dagegen gälte es einen partizipativeren Anspruch der Legitimität als politischer Handlungsgrundlage und eine Herausforderung der politischen Verhältnisse zu behaupten.

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