In einem Interview erläutert Terry Jones, ein Mitglied der britischen Komikergruppe Monty Python, eine grundlegende Idee des Flying Circus: Sie hätten versucht, in jedem Moment der Show vollständig unvorhersehbar (»completely unpredictable«) zu sein. Darum produzierten sie Sketche, die abrupt ohne Pointe abbrechen, und prägten die geflügelten Worte: »And now for something completely different«.
In gewisser Weise erinnert das an Donald Trump. Immer wieder liest und hört man, Trump sei sprunghaft und impulsiv, er treffe erratische Entscheidungen und sein Politikstil sei unberechenbar. Monty Pythons Vorsatz, einen völlig unvorhersehbaren Humor zu schaffen, ist jedenfalls gründlich gescheitert. Den Beweis dafür liefert Terry Jones: Der Begriff »pythonesque« ist inzwischen im Oxford Wörterbuch der englischen Sprache verzeichnet. Donald Trump hat den Beweis angetreten, dass politische Rhetorik weder widerspruchsfrei noch faktenbasiert sein muss, um zu überzeugen. Auch über »Trumpismus« wurden bereits Bücher geschrieben. Sein Politikansatz folgt den immer gleichen Mustern, und trotzdem gelingt es Trump wieder und wieder, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen.
Trumps fliegender Zirkus: Willkommen in der »Manege der ausverkauften Eitelkeit« (André Heller)
Bestseller-Autor:innen konzentrieren sich in erster Linie auf die Gefühle, die sie bei ihrer Leserschaft auslösen wollen. Die Hauptfigur dient der Identifikation und gleicht einem Schlitten, mit dem man als Leser:in eine rasante Achterbahnfahrt unternehmen kann. Durch rasante Kurven und Wendungen der Story lenken erfolgreiche Autor:innen wohlkalkuliert die Gefühle der Leser:innen, führen die gebannte Masse in ungeahnte Höhen empor und lassen sie dann unvermittelt in die Tiefe stürzen und Loopings drehen.
Hier gibt es wiederum eine wichtige Parallele zu Donald Trump. Im Wahlkampf stülpte er seinen tiefen Groll gegen das elitäre Establishment nach außen, von dem der belächelte Entertainer nie anerkannt wurde, und präsentiert sich mit zur Schau gestellter gekränkter Eitelkeit als Identifikationsfigur aller Zukurzgekommenen. Trump versteht es, die Emotionen seiner Anhängerschaft virtuos zu bespielen.
Vom Reality-TV zum medialen Illusionskünstler
Der öffentliche Donald Trump ist eine Kunstfigur, das Geschöpf des Stegreif-Darstellers Donald Trump, der sich seine Sporen im 20. Jahrhundert als Immobilienunternehmer und B-Promi im Fernsehen verdient hat. Er bedient nicht nur gekonnt die Erwartungen seiner Fan-Base, sondern tänzelt meisterlich und mit der Selbstverständlichkeit eines Reality-TV-Darstellers auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Fiktion.
In der Mediengesellschaft verläuft die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit mitnichten entlang der Fakten. Trump versteht Wahrheit und Wirklichkeit als soziale Übereinkünfte. Und Realität und Fiktion fallen im digitalen Nirwana zusammen, sobald Scripte – egal wie schlecht sie sind – mit der notwendigen Überzeugungskraft in medialen Endlosschleifen wiederholt werden: Aus einer Wahlniederlage wird ein Wahlbetrug der Demokraten. Und beim vermeintlich gewalttätigen Mob des sechsten Januars handelt es sich in Wahrheit um »Geiseln«, um Opfer einer politischen Justiz. – Trump kennt und nutzt diese Spielart der digitalen Amnesie, um Tatsachen gezielt umzudeuten.
Beeinflussen – Provozieren – Ablenken – Einschüchtern – Erpressen
Als Immobilienunternehmer bekam Trump früh mit, wie man durch spektakuläre Geschichten den Preis einer Immobilie maßgeblich beeinflussen konnte. Auf diese Weise lernte er schon früh, die mediale Öffentlichkeit zum Spielfeld seiner persönlichen Interessen zu machen und Profit daraus zu schlagen. Es ist kein Zufall, dass Trump ausgerechnet kurz vor der zweiten Inauguration seinen Bitcoin auf den Markt warf.
Sobald Trump in die Defensive zu geraten droht, reißt er mit wohlkalkulierten Provokationen die öffentliche Aufmerksamkeit an sich. Diese wichtige Figur aus Trumps Zauberkasten heißt »Flooding the Zone«. Die Medien werden mit Lügen, Provokationen und allerlei weiterem Unrat überflutet. Damit lenkt Trump von anderen Themen ab. Statt über »childless cat ladies« diskutierte die Öffentlichkeit nach dem zweiten TV-Duell auf einmal über die vermeintlichen kulinarischen Gewohnheiten in Springfield/Ohio. Und als kürzlich die Bruchlinie in Trumps Anhängerschaft zwischen libertären Tech-Giganten und rechtsextremen Ultranationalisten öffentlich zutage trat, zauberte der mediale Illusionist die Annexion Kanadas und Grönlands aus dem Hut, um seine MAGA-Meute bei Laune zu halten und die Öffentlichkeit auf eine falsche Fährte zu setzen.
Diese alptraumartige Variation seines Grundmotivs »Make-America-Great-Again« zeigt, dass Trump nicht nur den Hass seiner Gefolgschaft anstachelt, sondern die eigene Stärke auch nutzt, um andere politische Akteure gezielt einzuschüchtern und Angst und Schrecken zu verbreiten. Er drohte Mark Zuckerberg, ihn ins Gefängnis zu stecken. An die Hamas sandte Trump die Botschaft: Wenn ihr den Deal nicht akzeptiert, werde »die Hölle losbrechen«. Im vergangenen Jahr kündigte er an, Putin zu ermutigen, mit zahlungsunwilligen NATO-Mitgliedern zu tun, was er wolle. Auch Strafzölle fallen in diese Kategorie. Es ist immer das gleiche Spiel mit der Angst.
Zuckerbrot und Peitsche: Die Verbindung von Gegensätzen
Trumps Berater Ken Weinstein gewährt im Interview der Woche des Deutschlandfunks einen bemerkenswerten Einblick in Trumps Werkzeugkasten:
»Genau so funktioniert Donald Trump. Er hat oft komplette Gegensätze und bringt sie in Einklang. Das haben wir genau so in Nord-Korea gesehen. Drohungen mit Wafffengewalt, um deren Atomprogramm zu stoppen, und wenig später geht es wieder um Gespräche, um Nord-Korea zu denuklearisieren und die dortige Wirtschaft anzukurbeln, zum Beispiel in Form von Eigentumswohnungen am Strand in Nord-Korea. So tickt Trump. Er denkt ungewöhnlich. Kein normaler Politiker denkt so wie er.«
Ob Trumps Denken tatsächlich so originell ist, wie Ken Weinstein es behauptet, sei dahingestellt. Interessant ist jedoch, dass Trump nicht nur auf die Peitsche setzt, um sein Gegenüber auf Linie zu bringen, sondern auch das Zuckerbrot griffbereit hält. – Offenbar wird bei Trump nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Resumee
Die Politologin Cathryn Clüver Ashbrook empfiehlt: »Man sollte bei Trump immer darauf achten, was er tut, und nicht, was er sagt.« Die Medien und die Menschen hierzulande sollten sich gegen Trumps Manipulation der Öffentlichkeit immunisieren und den meisten Dingen, die er sagt, viel weniger Beachtung schenken. Zurecht bezeichnet Gilda Sahebi Empörung als Treibstoff der autoritären Kräfte: »Sie brauchen Empörung, um zu spalten. Sie brauchen Spaltung, um aufzusteigen.«
Die Berichterstattung sollte stattdessen US-amerikanische Interessen in den Vordergrund stellen. Trumps Wortgeklingel, seien es Lügen, Drohungen oder sonstige postfaktische Ungeheuerlichkeiten, sind letztendlich rhetorisches Beiwerk und müssen unbedingt entsprechend eingeordnet werden. Es ist absehbar, dass der US-Präsident irgendwann Europa oder die Bundesrepublik Deutschland einzuschüchtern versucht. Dann gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht in German Angst zu verfallen.
Links
- In Memorial Terry Jones, Pop Culture Uncovered vom 22.1.2020.
- Trumpismus in der Wikipedia.
- Old Man Trump – Die wirklich wahre Geschichte des größten Lügners von Amerika, Süddeutsche Zeitung 2024.
- André Heller: Rodolfo Valentino, YouTube.
- Interview der Woche mit dem Trump-Berater Ken Weinstein, Deutschlandfunk am 5.1.25, Zitat ca. bei Minute 11.
- Flooding the zone: Politologin Clüver Ashbrook – »Trump will provozieren und ablenken«, Interview im Deutschlandfunk Nova mit Till Haase, gesendet am 9.1.25.
- Posting von Gilda Saheby am 21.1.25 auf Instagram.
Bildnachweis
- geralt: Do we get the leaders we deserve, pixabay (bearbeitet).