vonDarius Hamidzadeh Hamudi 30.04.2024

Zylinderkopf-Dichtung

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1982 und 2013. Zwei große Traumata aus der jüngeren Geschichte haben sich tief in die Seele der FDP eingegraben: 1982 stürzten sie Helmut Schmidt, wählten den anderen Helmut ins Amt und mussten sich fortan als prinzipienlose Umfallerpartei schmähen lassen. 2013 flogen sie unter dem glücklosen Fipsi Rösler nach vier weiteren Jahren Schwarz/Gelb aus dem Bundestag. Den Absturz um fast zehn Prozent erklärten sich die Freien Demokraten damals gemeinhin damit, als Merkels Juniorpartner nicht hinreichend sichtbar, unterscheidbar gewesen zu sein. Deshalb hätten die Wähler:innen beim nächsten Mal lieber gleich CDU gewählt. Christian Lindner, einst von Möllemann als »Bambi« verspottet, übernahm die Partei 2013 in ihrer schlimmsten Stunde. Aus den beiden genannten Traumata hatte er gelernt: Mit dem Vorurteil, die FDP wäre wenig mehr als ein machtgeiler Mehrheitsbeschaffer ohne eigenes politisches Profil, räumte Lindner 2017 auf: »Lieber nicht regieren, als falsch regieren.« Was für ein Paukenschlag!

Bambi und Barbie

Um einem erneuten Absaufen der Liberalen wirkungsvoll vorzubeugen, setzt die FDP in der Ampelregierung auf permanente Profilierung. Den FDP-Markenkern bildet die Schuldenbremse, über die Lindner in seiner Funktion als Finanzminister höchstselbst zu wachen pflegt. Auch eine Steigerung der Staatseinnahmen ist mit den Liberalen nicht zu machen, so dass die kleine Partei letztendlich im Alleingang über die finanzpolitischen Spielräume der Bundesregierung bestimmt. Überdies wird immer wieder klar gestellt, was mit der FDP nicht geht, beispielsweise ein Tempolimit. Lindner versteht sich in erster Linie nicht als Partner von SPD und Grünen, sondern als deren Korrektiv: »Die wichtige Rolle der FDP ergibt sich ja daraus, dafür zu sorgen, dass Deutschland aus der Mitte regiert wird und nicht nach links driftet«. – Auch ohne das grelle Barbie-Rosa des Parteitags hat die FDP ihre Zeit als farblose Mehrheitsbeschafferin erfolgreich hinter sich gelassen. Trotzdem stehen die Freidemokraten in der Sonntagsfrage bei drei bis vier Prozent. Wie kann das sein?

Die Marketing-Logik der FDP greift für eine Regierungspartei zu kurz

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai betonte auf dem jüngsten Parteitag, dass die FDP sich durch ihr Staatsverständnis wesentlich von SPD und Grünen unterscheide. Das mag sein, aber tun sich die Liberalen wirklich einen Gefallen damit, ausgerechnet bei der Bekämpfung von Kinderarmut ihr Leitbild vom schlanken Staat in den Vordergrund zu rücken? Schließlich versteht die FDP sich auch als Partei der Leistungs- und Chancengerechtigkeit.

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Sogar libertäre Marktfanatiker würden sich schwer damit tun, Kinderarmut etwas Gutes abzugewinnen. Und auch aus neoliberaler Perspektive darf man »Humankapital« (Unwort des Jahres 2004) doch nicht brachliegen lassen, oder?

Abgesehen davon übersieht die FDP, dass im politischen Wettbewerb andere Maßstäbe gelten als im Marketing. Politische Programmatik ist kein Produkt, Parteien sind keine Marken und Wahlergebnisse keine Verkaufszahlen. Gewisse Anleihen aus dem Marketing mögen für den erfolgreichen Oppositionspolitiker Christian Lindner nützlich gewesen sein. Von einer Regierung erwarten die Wähler:innen in Deutschland jedoch vor allem Geschlossenheit und pragmatische Lösungen. In beiden Punkten versagt die FDP aufgrund ihrer Marketing-Orientierung kläglich und reißt auch ihre Koalitionspartner mit in den Abgrund.

Die Wähler:innen erwarten Geschlossenheit und pragmatische Lösungen

Trotz Polykrise beharren die Freidemokraten auf der Beibehaltung der Schuldenbremse, obwohl die strenge Auslegung derselben durch das BVG auch die FDP überrascht hatte. Wie man am Beispiel Angela Merkel sieht, wünschen die Wähler:innen sich von politisch Verantwortlichen aber ein hohes Maß an Pragmatismus und keinen »Schulden-Taliban« (Wortspiel von Ulrike Herrmann) als Finanzminister. Beim Lieferkettengesetz und dem Verbrenner-Aus ließen die Freidemokraten auf europäischer Ebene mühsam ausgehandelte Kompromisse in letzter Minute platzen, so dass in Brüssel erste Zweifel an der Verlässlichkeit des deutschen Abstimmungsverhaltens um sich greifen: »German Vote«. Dass die FDP im Allgemeinen wenig von koalitionärer Geschlossenheit hält und sich stattdessen immer wieder auch auf Kosten der Regierungspartner profiliert, ist nichts Neues. Dabei übersehen die Liberalen jedoch ein bemerkenswertes Detail der politischen Kultur in Deutschland: Unterschiedliche Positionen innerhalb einer Regierungskoalition werden von der Öffentlichkeit in aller Regel pauschal als »Streit« abqualifiziert. Man sieht gemeinhin nichts Gutes und Nützliches darin, sich gemeinsam im Diskurs der Lösung komplexer Probleme anzunähern.

Höchste Zeit, das hohe Potenzial der Ampelregierung auszuschöpfen

Eine lagerübergreifende Kooperation von industrie- und  arbeitgebernahen Freidemokraten mit SPD und Grünen könnte als politische Konsensmaschine funktionieren, die auf den zentralen Konfliktfeldern »Arbeit versus Kapital« sowie »Ökologie versus Ökonomie« am laufenden Band tragfähige Kompromisse ausspuckt. Durch das Erstarken der AfD werden lagerübergreifende Koalitionen ohnehin auf absehbare Zeit zum politischen Alltag in Deutschland gehören. Dennoch werden solche Regierungsbündnisse in erster Linie an ihrer Geschlossenheit gemessen. Deswegen täte die FDP gut daran, sich nicht länger an ihrem einleitend geschilderten Trauma, eine profillose Umfallerpartei zu sein, abzuarbeiten. Die Freien Demokraten hätten deutlich bessere Umfrageergebnisse, wenn sie als Regierungspartei weniger auf Sichtbarkeit und Profilierung gesetzt, sondern mehr Koalitionsdisziplin gewagt hätten. Aber noch ist es nicht zu spät.

Die FDP ist dabei, sich selbst ins Aus zu schießen

Eingedenk ihrer Erfolge als Oppositionspartei hat die FDP sich letzte Woche jedoch dazu hinreißen lassen, ihren Parteitag wie zu Groko-Zeiten zu inszenieren. Der Generalsekretär erheiterte die Delegierten mit Sätzen wie: »Ich schätze unsere Koalitionspartner sehr, aber …«. Außerdem entblödete man sich nicht, frontal gegen Kompromisse zu opponieren, die man als Regierungspartei selbst zu verantworten hat. – Warum inszeniert die FDP sich nicht als verantwortungsbewusste, staatstragende und weltoffene politische Kraft der rechten Mitte, als kompromissbereiter, marktorientierter Machtfaktor? Warum stellen die Liberalen nicht selbstbewusst ihre finanzpolitischen Regierungserfolge ins Schaufenster, die sie gemeinsam mit SPD und Grünen errungen haben?  – Mit der Strategie, sich gegen die eigene Regierungspolitik zu profilieren, ist offensichtlich kein Blumentopf zu gewinnen. Das haben die vielen Misserfolge bei den vergangenen Landtagswahlen hinlänglich bewiesen. Die FDP scheint dennoch nicht von dieser Strategie abzubringen zu sein und befindet sich auf dem besten Weg ins politische Abseits.

Links

Frankfurter Rundschau vom 2.8.22: »Christian Lindner sieht FDP-Rolle in der Ampel als Korrektiv gegen ›links‹«.

Bildnachweis

  • Badeente mit Schnorchel via pxhere mit CC0-Lizenz
  • Eigene Bildcollage in Rosa.

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