Die FDP hat ihren D-Day über mehrere Monate hinweg generalstabsmäßig geplant. Die Liberalen nahmen ein nicht zu großes Loch im Bundeshaushalt zum Anlass, um die Koalition zu sprengen und als Hüterin der Schuldenbremse in die offene Feldschlacht zu ziehen. General Djir-Sarai musste sich opfern und blieb auf dem Feld … – Auch die Union hält im Grundsatz an der strengen Schuldenregelung fest. Trotz der historischen europa- und sicherheitspolitischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen, vor denen Deutschland gegenwärtig steht, stellen CDU/CSU Steuersenkungen in dreistelliger Milliardenhöhe ins Schaufenster, ohne eine plausible Gegenfinanzierung vorzulegen. Dennoch entblödet Merz sich nicht, Olaf Scholz im TV-Duell Realitätsverlust vorzuwerfen: »Sie leben nicht in dieser Welt!« – Geschadet hat es Merz‘ Umfragewerten nicht. Der Glaube der Wähler:innen an die gottgegebene Wirtschaftskompetenz der Christlich Demokratischen Union ist unerschütterlich.
Die Slogans der CDU klingen nach Konrad Adenauer
Schon am 6.11. bei der Entlassung Christian Lindners intonierte Olaf Scholz das Leitmotiv seines Wahlkampfes:
»Meine feste Überzeugung lautet: Niemals, niemals dürfen wir innere, äußere und soziale Sicherheit gegeneinander ausspielen. Das gefährdet unseren Zusammenhalt. Das gefährdet am Ende sogar unsere Demokratie.« – Olaf Scholz
In Anbetracht der abenteuerlichen Steuerpläne der Union scheinen die Sorgen vor sozialer Kälte unter Friedrich »The Blackrock« Merz nicht unbegründet zu sein. Die SPD hält dagegen, und man könnte annehmen, sie hätte die Sorgen der Menschen in anbetracht der multiplen Krisen punktgenau adressiert: »Für innere, äußere und soziale Sicherheit«. Doch Scholz‘ Mahnung zu Gemeinsinn und Miteinander verfängt derzeit nur ungefähr halb so gut wie das wenig verbrämte Bürgergeld-Bashing der CDU: »Fleiß muss man wieder im Geldbeutel spüren«.
Habecks Ringen um Zuversicht
Ukraine … europäische Außen- und Sicherheitpolitik … Klimawandel … Wohnungsnot … Strukturkrise der Wirtschaft … Schuldenbremse … Nicht wenigen Menschen fällt es angesichts der albtraumhaften Nachrichtenlage schwer, nicht in Resignation zu versinken. Die Publizistin und Autorin Thea Dorn warnt kurz vor Silvester am 30.12.24 eindringlich davor, sich Passivität, Zynismus und Verzweiflung zu überlassen. Stattdessen rät sie, Zuversicht wie einen Muskel zu trainieren, auch und gerade, wenn es keinen Anlass dazu gibt:
»Das tut weh. Das brennt. Das ist anstrengend. In Wahrheit will man das nicht. Man fragt sich, warum man, wenn schon die Oberschenkel zittern, man immer noch in der Hocke bleiben soll. Oder wenn die Oberarme, der Bizeps zittert, warum man immer noch dieses blöde Gewicht halten soll. (…) Zuversicht ist nichts, was sich quasi automatisch oder gratis einstellt, weil man es mit ’ner rosigen Lage oder mit günstigen Prognosen zu tun hat.« – Thea Dorn
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Ob ihr ehemaliger Schriftsteller-Kollege Robert Habeck dieses Interview gehört hat, ist nicht bekannt. Feststeht nur, dass die Bündnisgrünen das Konterfei ihres Vizekanzlers in der ganzen Republik plakatieren ließen: »Ein Mensch. Ein Wort.« Im Wahlkampf erläutert der grüne Wirtschaftsminister, dass Zuversicht »Arbeit an der Hoffnung« sei. Wie hart diese Arbeit ist, kann man auf grünen Wahlplakaten bestaunen. Über dem Schriftzug »Zuversicht« blickt Habeck ernst und nachdenklich von den Straßenlaternen der Republik.
Die Botschaft lautet: Dieser Kandidat ist ein mentaler Bodybuilder.
Große Verwirrung
Die CDU plakatiert Sprüche wie »Recht und Ordnung wieder durchsetzen« oder»Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können« und scheint damit bei vielen einen Nerv zu treffen. Vielleicht verfangen diese Slogans nicht trotz ihrer Biederkeit, sondern deswegen? Doch wie kann das sein? Eine Antwort findet sich eventuell beim Literaturkritiker Jörg Magenau, der sich Gedanken über den Verkaufserfolg von Büchern gemacht hat. Das Geheimnis von Bestsellern erläutert er folgendermaßen: »Sie machen ein Angebot, in ferne, andere Welten zu entkommen (…) und tragen gleichzeitig aber, hinterrücks sozusagen, das mit, vor dem man davonläuft.« Als Beispiel nennt er das im Jahr 1949 erschienene Sachbuch Götter, Gräber und Gelehrte über Schliemanns Troja.
»Die Trümmer, die Nachkriegszeit, die Beschäftigung mit der Geschichte, die Hoffnung, man könnte in den Trümmern doch noch etwas Kostbares entdecken. Dass nicht alles kaputtgeht, dass etwas bleibt. Diese Bedürfnisse und Sehnsüchte von 1949 werden in diesem Buch bedient, und zwar genau deshalb, weil die unmittelbare Geschichte gar nicht darin vorkommt. Kein Wort über den Zweiten Weltkrieg, kein Wort über Deutschland. Dass der Autor selbst Kriegspropaganda-Schriftsteller im Zweiten Weltkrieg war – kein Wort davon. Aber das alles ist subkutan vorhanden und spielt eine Rolle.« – Jörg Magenau
Der Kölner Trend- und Meinungsforscher Stephan Grünewald (rheingold) beobachtet in der Wählerschaft eine große Verwirrung. Vielleicht erinnert Olaf Scholz‘ Plädoyer die Menschen zu sehr daran, wie bedroht die innere, äußere und soziale Sicherheit in den kommenden Jahren sein könnte? – Vielleicht wollen die Menschen nicht von Robert Habeck vor Augen geführt bekommen, wie hart es ist, in diesen Zeiten um Zuversicht zu ringen?
Herr Biedermeier grüßt recht freundlich
Im Gegensatz zu den Kampagnen von SPD und Grünen wirken die CDU-Sprüche wie aus der Zeit gefallen und lassen für einen Moment die Krisen und Herausforderungen der Gegenwart vergessen. Magenau bringt seine Bestseller-Formel folgendermaßen auf den Punkt: »Es gibt keinen Eskapismus. Alles, wovor Leser davonlaufen – und man läuft ja immer davon, (…) man sucht eine andere Welt, eine Gegenwelt – transportiert zugleich das, was einem als Gegenwärtiges zu schmerzhaft ist.«
»Für ein Land, auf das wir wieder stolz sein können« könnte wohl als »Götter, Gräber und Gelehrte« des Jahres 2025 durchgehen. Doch bei allem Eskapismus schwingen in dem vermeintlich platten CDU-Slogan auch sorgenvolle Ahnungen, Zweifel und Ängste mit: Müssen wir uns mit Friedrich Merz irgendwann wieder für unser Land schämen?
Hoffentlich nicht.
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Links
- Martin Greive/Jan Hildebrand: Wahlversprechen von CDU, FDP und AfD belasten Staatshaushalt, Handelsblatt vom 10.2.25.
- Philipp Henrich: Beurteilung der Parteikompetenzen beim Thema Wirtschaft im Februar 2025, Statista am 21.2.25.
- Scholz entlässt Lindner, ganze Rede vom 6.11.24 (YouTube).
- Autorin Thea Dorn im Interview mit dem Deutschlandfunk (30.12.24).
- Autor und Literaturkritiker Jörg Magenau im Interview: »Bestseller sind wie Fieberthermometer«, In: Aus Politik und Zeitgeschichte vom 18. März 2019 (APuZ 12/2019), S.5.
- Rheingold-Wahlstudie: Frustration und Ratlosigkeit sind vorherrschende Gefühle, Deutschlandfunk vom 30.1.2025.
Bildnachweis
- Das Artikelfoto ist eine Fotomontage unter Verwendung von:
- Eigene Aufnahme. Die Aufschrift »Weiter so« wurde von einer mir unbekannten Person angebracht.
- Clker-Free-Vector-Images: Sonnenbrille, pixabay.
- Habeck-Plakat (eigene Aufnahme)
- Merz-Plakat (eigene Aufnahme)