Irgendwann in den Nullerjahren kam in der Jugendsprache ein neues Schimpfwort auf: »Du Opfer!« Ich habe nie verstanden, wie man auf diese Beleidigung kommen konnte. Bis ich mir zum ersten Mal alle Staffeln »Stromberg« angesehen hatte. Das Mobbing-Opfer Berthold »Ernie« Heisterkamp verhält sich derart unbeholfen und tölpelhaft, dass die Täter-Opfer-Umkehr geradezu zwingend erscheint. Nicht nur Stromberg, der stellvertretende Ressortleiter Schadensregulierung der fiktiven Capitol-Versicherung, macht sich über »Ernie« lustig, sondern das ganze Großraumbüro. Doch das ist nur ein Beispiel dafür, wie in der Comedy-Serie Maßstäbe gesetzt werden – oder genauer gesagt: wie sie das Sag- und Denkbare unmerklich verschiebt.
Geistreicher Ego-Taktiker
Stromberg überredet den asthmakranken Kollegen Hilpers mit Hilfe einer Zigarre dazu, ihm einen besseren Parkplatz zuzuweisen. Dieser landet im Krankenhaus und stirbt. Die Sachbearbeiterin Erika kandidiert für den Betriebsrat, um sich gegen Strombergs sexistische Sprüche zur Wehr zu setzen. Dieser bringt einen schwachen und beeinflussbaren Mitarbeiter gegen Erika an den Start und setzt ihn durch, indem er das Mitleid der Belegschaft instrumentalisiert. Ganz am Schluss der fünften und letzten Staffel kippt Stromberg seinem Widersacher Becker Wodka in den Kaffee, obwohl der gerade von einer Entwöhnungstherapie zurückgekehrt ist.
Das Besondere ist, dass es dem Meisterschauspieler Christoph Maria Herbst gelingt, den Zynismus und die widerwärtige Skrupellosigkeit der Figur so lässig und eloquent zu verkaufen, dass Stromberg als Sympathieträger erscheint. Herbsts Figur erschöpft sich nicht darin, als Abziehbild des tyrannischen Büro-Ekels seine Untergebenen zu schikanieren. Er wird auch selbst zum Opfer der Willkür des Versicherungs-Konzerns, den er verkörpert. In der fünften und letzten Staffel bändelt Stromberg mit der warmherzigen Jennifer Schirrmann an, die er liebevoll »Schirmchen« nennt. Sie wird schwanger und verliert das Kind. Stromberg weint auf dem Parkplatz. Das Wunder ist perfekt: Die hölzerne Lügenpuppe hat sich in einen Menschen verwandelt. In der fünften Staffel schleicht sich übrigens ein besonderer Seriendarsteller ein. Es handelt sich um kleine Plastikbecher, die von Stromberg und seinen Kollegen ostentativ ausgelöffelt werden. Außerdem gibt es da noch diese Schnellfeuer-Spielzeugpistolen. Aber dazu später mehr.
Die Mitte-Studie (FES) untersucht die Anschlussfähigkeit rechtsextremer Narrative
Alle zwei Jahre untersucht die Friedrich-Ebert-Stiftung die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in der Mitte der Gesellschaft. Menschen, die sich vollständig unternehmerischen Leitbildern wie Wettbewerbs- und Erfolgsorientierung unterwerfen und ihre Lebenswege in einer ökonomisch effizienten, Kosten und Nutzen abwägenden – eben unternehmerischen – Weise führen, wird ein marktförmiges und konkurrenzbasiertes Menschenbild attestiert. In diesem Denken rangiert Individuum vor Gesellschaft und Wettbewerb vor Solidarität. Das Motto lautet: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.
In dem Essay »Das giftige Erbe des Neoliberalismus« habe ich ausgehend von der Mitte-Studie 22/23 den Zusammenhang von marktförmigem Denken und der tendenziell höheren Zustimmung zu rechtsextremen Thesen erläutert. Die Quintessenz ist, dass grollende, durch und durch entsolidarisierte Selbstunternehmer eher die Demokratie infrage stellen als die Logik des Marktes. Ein Item, anhand dessen die Mitte-Studie ein solches Mind-Set festmacht, ginge auch als Stromberg-Zitat durch: »Wer keine Ideen hat, wie er sich gut verkaufen kann, der ist selber schuld, wenn er scheitert.«
Stromberg macht marktförmiges Denken salonfähig
Um Missverständnissen vorzubeugen: Gemäß der Mitte-Studie 2022/23 wiesen ca. 28 Millionen (!) Menschen in Deutschland ein marktförmiges Weltbild auf. Zum Glück sind bei weitem nicht alle rechtsextrem eingestellt. Aber ein marktförmiges Weltbild ist gemäß der neuesten Mitte-Studie essenzieller Bestandteil des libertären Autoritarismus. Dabei handelt es sich um eine rechtskonservative, autoritäre Bewegung, die progressive gesellschaftliche Veränderungen der letzten Jahrzehnte wie Gleichstellung, Vielfalt und Minderheitenrechte zurückdrehen möchte.
Die Figur Stromberg ist nicht rechtsextrem. Aber sie normalisierte im Schutz der Satire ein Mind-Set, das den Gesetzen des Marktes huldigt, zweckrationales, zutiefst unmoralisches Handeln zelebriert und Solidarität zersetzt. Wenn Büro Krieg ist, werden Kolleg:innen zu Feinden und die Gesellschaft zum Schlachtfeld, auf dem jede:r gegen jede:n kämpft. Die Büroschlachten mit Spielzeugpistolen gegen Ende der fünften Stromberg-Staffel erscheinen vor diesem Hintergrund heute nicht mehr heiter-skurril, sondern unheimlich. Als Ikone der Popkultur hat Stromberg kulturell zu einem gesellschaftlichen Klima beigetragen, von dem rechtsextreme Parteien profitieren. Natürlich darf Satire sehr viel. Aber sie ist nicht harmlos, wenn systematisch fragwürdige Denkformen attraktiv dargestellt werden.
Schützenhilfe vom Molkerei-Unternehmer
Derselbe Molkerei-Unternehmer, der 2011 Gefallen an Stromberg gefunden hatte und sein Produkt via Schleichwerbung penetrant in der Serie platzieren ließ, lässt sich mehr als eine Dekade später mit Alice Weidel in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen ablichten. Das ist kein Zufall, sondern erscheint in der Rückschau folgerichtig. Schließlich trug Strombergs marktförmiges Denken dazu bei, rechtsextremes Gedankengut an die Mitte der Gesellschaft anzuschließen.
Wer noch nicht genügend Belege dafür hat, dass die Figur Stromberg rechtsextremer Ideologie indirekt Vorschub geleistet hat, dem seien Ausschnitte aus der Serie Switch empfohlen (Suchbegriff: »Obersalzberg«). Zu sehen gibt es da eine Stromberg-Parodie auf Hitler. Oder handelt es sich um eine Hitler-Parodie auf Stromberg? Strombergs Devise »Büro ist Krieg« wird in grotesker Weise umgekehrt. Massenvernichtung und Faschismus des ausgehenden Zweiten Weltkriegs mutieren zur Büro-Klamotte unterm Hakenkreuz. So funktioniert die Banalisierung des Bösen.
Witzfigur – Anti-Held – Krieger
2011 konnte man Stromberg aufgrund seiner sexistischen und xenophoben Ausfälle, seiner fragwürdigen Moral und seines feigen Opportunismus guten Gewissens als satirische Witzfigur bezeichnen. Zum Sympathieträger avancierte Stromberg jedoch als tragischer Anti-Held, der um Zugehörigkeit und Anerkennung ringt, sich verletzlich zeigt und scheitert. Gleichzeitig gelingt es Stromberg ein ums andere Mal, sich trotz Inkompetenz durchzusetzen und kleine Erfolge zu verbuchen. Lachen die Fans tatsächlich über ihn, wenn er Frauen herabwürdigt oder Menschen auf ihre Zuwanderungsgeschichte reduziert? Oder feiern eingefleischte Stromberg-Fans ihn als Krieger gegen die Zumutungen der Political Correctness, weil er ausspricht, was man »heutzutage nicht mehr sagen darf«?
Im Interview mit dem NDR erklärte Christoph Maria Herbst vor Kurzem, Stromberg sei Satire, deshalb sei »Applaus von der falschen Seite« nicht zu verhindern. Ebenfalls 2025 stellt Drehbuchautor Ralf Husmann im Interview fest, dass er Stromberg nicht als Rassisten und Sexisten angelegt habe. »Das sind Dinge, die ihm passieren …«. Im Gegensatz zu Stromberg spiele die AfD »ganz bewusst« mit Vorurteilen und agiere »ganz bewusst« gegen gewisse Bevölkerungsgruppen. – Herbst und Husmann verkennen, dass ihre Kreatur deshalb so wirkungsvoll sein kann, weil sie keine böse Absichten verfolgt. Stromberg ist witzig, tragisch und verletzlich. Er betreibt keine platte Hetze und ist genau deswegen in der Lage, wirkungsvoll das kulturelle Vorfeld zu beackern – und das marktförmige Beet zu bestellen, auf dem autoritäre und rechtsextreme Ideologien gedeihen können.
Weiterführende Links und Belege
- Franziska Schröter: Die angespannte Mitte, Mitte-Studie 24/25, S.214-220.
- Das giftige Erbe des Neoliberalismus: »Er hätte alleine zurechtkommen müssen!«, Zylinderkopf-Blog vom 30.10.2023
- Ralf Husmann im Interview mit Jürgen Wittner: Stromberg ist oft eine sehr traurige Figur, Kulturnews.de am 2.12.2025.
- Christoph Maria Herbst im NDR-Interview: Ich verorte Strombergs Wiege im Sauerland, 3.12.2025.
- Theo Müller und die AfD, Campact.
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