vonDarius Hamidzadeh Hamudi 30.06.2025

Zylinderkopf-Dichtung

Essays, Glossen, Kommentare und Neuigkeiten aus der Menagerie der kleinen Literatur.

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Wer in einem Rechtsstaat politisch handelt, geht immer das Risiko ein, dass unabhängige Gerichte politische Entscheidungen für nichtig erklären. Die Umwidmung von Corona-Milliarden für den Klimaschutz stellte ein solches Risiko im Koalitionsvertrag der Ampel dar. Scholz, Lindner und Habeck sind es eingegangen, um trotz unterschiedlicher politischer Grundüberzeugungen eine Koalition zusammenzubekommen. Ohne diesen Buchungstrick wäre das schwierig geworden. Glaubt man Scholz’ Biografen Lars Haider, so hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse der Ampelregierung den entscheidenden Knacks versetzt. Olaf Scholz habe sich nie davon erholt, einen verfassungswidrigen Haushalt aufgestellt zu haben, zumal er im Wahlkampf seine hohe Kompetenz in den Vordergrund gestellt habe.

Friedrich »Mr. Zurückweisung« Merz verspricht die »Asylwende«

Merz setzte auf das Migrations-Thema, um sich gegen die Ampel zu profilieren. Sein Zauberwort lautete: Zurückweisung. Den Integrationsgipfel im September 2024 ließ die Union mit großem Hallo platzen, da Rot-Gelb-Grün Zurückweisungen an der Grenze aufgrund europarechtlicher Bedenken ablehnte. Am 23. Januar 2025 twitterte der damalige Oppositionsführer:

»Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen.«

So demonstrierte der Sauerländer – Brandmauer hin oder her – seinen festen Willen, den »Zustrom« zu begrenzen. »Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen.« Die Union ging in gewisser Weise als AfD-Alternative in die Bundestagswahl, allerdings mit mäßigem Erfolg: 28,6%. In Umfragen hatte die Union längere Zeit über 30% gelegen.

Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin (VG 6 L 191/25 u.a.)

Der frisch gebackene Bundesinnenminister Alexander Dobrindt beschließt wenige Stunden nach seinem Amtsantritt Zurückweisungen an Grenzen auch bei Asyl-Gesuchen, ohne dass Friedrich Merz seine Richtlinienkompetenz zücken muss. Keine zwei Wochen später urteilt das Verwaltungsgericht Berlin, dass drei somalischen Asylsuchenden der Grenzübertritt zu gestatten ist, um im Anschluss ein Dublin-Verfahren durchzuführen. Der Migrationsforscher Gerhard Knaus hält das Konzept der Zurückweisungen für komplett gescheitert: »Alle Fälle, die vor Gericht kommen, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will.« Dobrindt will trotzdem an den Zurückweisungen festhalten und relativiert die Bedeutung des Urteilsspruches des Verwaltungsgerichts Berlin. Man warte das Hauptsacheverfahren ab. Es handele sich sich nur um Einzelfälle. 

Kleiner Exkurs zur politischen Kultur und der Außenpolitik

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung begründet der Bundeskanzler die Verwendung des Wortes »Drecksarbeit«: Zur Außenpolitik gehöre nicht nur Diplomatie, sondern auch »analytische Klarheit«.  Merz wolle die Dinge »beim Namen nennen«, denn sonst »übernehmen das die Falschen für uns«. – Das wirft eine Reihe von Fragen auf: Schielt der CDU-Vorsitzende bei seiner Wortwahl nach der AfD? Wenn ja: Bemüht Friedrich Merz sich, die AfD, wie es so oft heißt, inhaltlich zu stellen, oder versucht er sie zu übertrumpfen? Leidet eigentlich die politische Kultur darunter, wenn ein Bundeskanzler solche Worte wählt?

Was allerdings noch schlimmer wiegt: Merz rechtfertigt die Anwendung von Gewalt als Mittel der Konfliktregulierung in den internationalen Beziehungen auch dann, wenn es sich nicht um ultima ratio handelt. Schließlich stand, als die Bomben fielen, der eigene Außenminister zusammen mit einer europäischen Delegation gerade in Verhandlungen mit Iran.

Bundesverwaltungsgericht: Merz droht eine Niederlage mit Ansage

Die Härte des BVG-Urteils zur Schuldenbremse hatte damals alle überrascht. Es war nicht absehbar, wie streng und rigoros die Obersten Richter’innen die Prinzipien von Jährigkeit und Jährlichkeit ausgelegt wissen wollen würden. Dieses Urteil widersprach so sehr den politischen Realitäten, dass das Grundgesetz noch auf den letzten Metern der vergangenen Legislaturperiode mit den Mehrheiten des alten Bundestags geändert werden musste.

Im Gegensatz dazu ist abzusehen, dass die Zurückweisungen der Regierung Merz an den deutschen Grenzen vor europäischen Gerichten keinen Bestand haben werden. Inzwischen hat sich sogar der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Andreas Korbmacher, öffentlich zu Wort gemeldet (!) und der Sichtweise Dobrindts widersprochen: Das Verwaltungsgericht sei letztinstanzlich für diese Entscheidung zuständig. Auf das Hauptsacheverfahren wird Dobrindt also lange warten können. Das Verwaltungsgericht sei verfassungsrechtlich verpflichtet, die Rechtslage intensiv zu prüfen. Das hätten die Berliner Richter getan. – Erinnerungen an Andreas Scheuers LKW-Maut-Pleite werden wach. Oh je!

Vorsicht zerbrechlich

Der frisch gebackene Kanzler Merz hält nach wie vor Zurückweisungen für ein probates Mittel, um die Zuwanderung zu reduzieren. Im Gegensatz zu Angela Merkel scheinen für Merz christliche Werte zumindest in diesem Zusammenhang allenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dennoch sollte für den starken Mann der CDU schon allein aus realpolitischen Erwägungen aufgrund seiner »analytischen Klarheit« außer Frage stehen, dass er keinesfalls eine Niederlage vor europäischen Gerichten riskieren sollte. Im Fall einer Niederlage wäre der Flurschaden im gegenwärtigen politischen Umfeld zu groß. Denn ein entsprechendes Urteil des EuGH böte den Rechtsextremen in ganz Europa eine Steilvorlage, um gegen die europäische Idee zu hetzen. Auch die Glaubwürdigkeit des kürzlich ins Amt gekommenen Bundeslanzlers Merz selbst steht auf dem Spiel. Daher sollte er es auch im eigenen Interesse gar nicht erst auf solche Verfahren vor europäischen Gerichten ankommen lassen.

Tatsächlich stellt das Urteil der Verwaltungsgerichts Berlin eine günstige  Gelegenheit für die Union dar, gesichtswahrend eine geräuschlose Neujustierung der pompös angekündigten »Asylwende« vorzunehmen. Ein solcher Schritt wäre sogar vom Koalitionsvertrag gedeckt.¹ – Sich zu irren, ist verzeihlich. Aber wer auf einem Irrtum beharrt, läuft sehenden Auges vor die Wand.  

 

Fußnote

¹ »Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren. Die Grenzkontrollen zu allen deutschen Grenzen sind fortzusetzen bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz und der Erfüllung der bestehenden Dublin- und GEAS-Regelungen durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.« (Koalitionsvertrag der GroKo, Hervorhebung von DHH). 

 

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Artikelfoto: eigene Illustration

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