Die Wehrpflicht wird ausgesetzt, und zu diesem Anlass wollte die taz in ihrem Wochenendmagazin eine Auswahl von Kriegsdienstverweigerungen abdrucken. Aber woher nehmen? Zum Glück hat die taz ein Netzwerk von 10.358 Eigentümern, die Anteile an der taz-Genossenschaft gezeichnet haben und unter denen wir eine Menge Kriegsdienstverweigerer vermuteten. Also haben wir den Mailverteiler der Genossenschaft für redaktionelle Zwecke genutzt und dort am Montagnachmittag dazu aufgerufen, uns die Begründungen zuzuschicken. Wir hofften, bis Mittwoch genug Texte für eine Seite zusammenzubekommen – und wurden von dem Feedback überwältigt. 357 Mails erreichten uns – mit eingescanten oder abfotografierten Verweigerungen. Ein paar Genossen ohne Scanner haben sogar ihre Verweigerungsschreiben noch einmal für uns abgetippt, damit sie sie uns zumailen konnten. Dafür vielen, vielen Dank! Die Seite mit einem Auszug aus einigen Begründungen ist an diesem Wochenende in der sonntaz erschienen.
Rudolf von Schorlemer hat uns dieses Foto von einer Aktion in den frühen Achtzigerjahren aus Köln geschickt: „Ich habe gerade vor ein paar Tagen zufällig ein Foto in der Hand gehabt, wo wir als Reservisten öffentlich den Kriegsdienst verweigert haben. Es war im Jahr 1983 (oder 1982?), da haben wir auf dem Roncalliplatz vor dem Kölner Dom eine öffentliche Veranstaltung gemacht. Jeder sprach durch ein Mikrofon seine persönliche Begründung aus, warum er nun den Kriegsdienst verweigert. Was ich genau gesagt habe weiß ich nicht mehr, ich weiß nur, wie aufgeregt ich damals war. Auf dem Bild stehe ich in der zweiten Reihe (rechts neben dem Plakat, mit dem Wuschelkopf).“
Hier eine Auswahl der Begründungen, die uns erreicht haben. Der vollständige Text liegt jeweils als PDF vor und ist über den Namen des Verweigerers verlinkt:
Benjamin Welle: „Später auf dem Schulweg musste ich leider sehr oft heftigen, handgreiflichen Streit zwischen Kindern beobachten und selbstverständlich war auch ich damals einige Male in handgreiflichen Streit verwickelt. Zwar hatte ich damals noch kein so ausgeprägtes Meinungsbild über Gewalt, allerdings ist mir klar geworden, dass Gewalt als Lösungsversuch für Konflikte immer in Gegengewalt endet.“
Knut Rauchfuss: „Sollte wirklich ein Angriff auf die Bundesrepublik erfolgen, gäbe es für mich als einzige Gegenmaßnahme die soziale Verteidigung.“
Andreas Kirchgeßner: „Meine Überzeugung ist es aber, daß die Menschen nicht geschaffen wurden, um einander umzubringen“
Wolfgang Rims hat nachträglich verweigert, nachdem er sich vorher für 2 Jahre verpflichtet hatte: „Ich kann doch nicht mein Leben durch das Töten anderer Leben ‚erkaufen'“
Michael Luwe (Seite 1, Seite 2): „Ein Krieg hat fast nie dazu geführt, daß nach seiner Beendigung die Kriegsgegner friedlich nebeneinander lebten“
Günther Sinapius wollte 1969 verweigern, fünf Monate nach Ende seines zweijährigen Dienstes als Zeitsoldat: „In meiner Einheit gab es demokratische Berufs- und Zeitsoldaten, mehr als anderswo, wie man mir sagte. Andere jedoch hatten ein faschistoides, militaristisches Weltbild.“ Der Antrag wurde im Februar 1970 in erster Instanz abgelehnt, dem Widerspruch dagegen wurde 1977 stattgegeben.
Jost Guido Freese: „Selbstverständlich muß der Einzelne sich zugunsten der Gemeinschaft einschränken. Dies hat aber nichts damit zu tun, daß er sich selbst für die Interessen Anderer aufgibt: Die Interessen von machthungrigen Staatsführern und der Rüstungsindustrie.“
Julian Maguhn: „Wenn ich aktiv für Freiheit und Demokratie, wie ich sie verstehe, eintrete, muss mir die freie Wahl der Mittel gewährleistet sein. Als Soldat werden mir jedoch weder diese noch die noch grundsätzlichere Entscheidungsfreiheit zugestanden, die für mich Grundlage jeglichen Handelns sein müssen“
Frank Biermann: „Soweit mir dieses möglich ist, versuche ich auch am Aufbau einer gewaltloseren Gesellschaft (im kleinen) mitzuhelfen, in dem ich häufig zusammen mit anderen Musikanten in Altersheime, Altenclubs oder Krankenhäuser gehe, um dort zu musizieren.“
Rolf Schwermer: „Die Erkenntnisse der Psychologie zeigen mir, dass die Aggressivität der Menschen – unabhängig davon, ob es einen Aggressionstrieb gibt oder nicht – durch geeignete Methoden wie zum Beispiel eine überlegte Erziehung in Bahnen gelenkt werden kann, die Kriege und allgemeine Auseinandersetzungen mit Mitteln der Gewalt überflüssig machen, und somit die Grundlage für eine gewaltfreie Gesellschaft gelegt ist.“
Alfred Reehuis: „Ich konnte nicht weiter zusehen, wie ein wehrloser, am Boden liegender Mensch geschlagen wurde und habe mich vor ihn gestellt um ihn zu schützen.“
Hartmut Klein: „Krieg ist Mord, heute ist Krieg anonymer Massenmord.“
Klaus F.H. Schaumann: „Eine staatliche Obrigkeit kann mir das Töten nicht befehlen, denn die Bindung an Gott ist stärker.“
Erwin Saint Paul: „Denn wie kann ich meinen Nächsten lieben, wenn ich eine Waffe auf ihn richte?“
Harald Munding: „Da ich von mir behaupten kann, ein einigermaßen intelligenter Mensch zu sein, der zur Kritikfähigkeit und alle Gewalt ablehnend erzogen wurde, ist es von meinem Gewissen her nicht möglich Kriegsdienst mit der Waffe zu machen.“
Jürgen Tress: „Ich sah die Schrecken eines Krieges und kam zu dem Ergebnis, daß ich niemals in der Lage wäre einen Menschen zu töten ohne dabei in schwere Gewissenskonflikte zu kommen, daß eine solche Tat schwere Depressionen bei mir auslösen würde.“
Volker Blohm: „Die Meinungen einiger Lehrer, die mit kaum verborgener Begeisterung Kriegserlebnisse oder Erlebnisse aus ihrer eigenen Bundeswehrzeit erzählten sowie die häufige Anwesenheit von Jugendoffizieren einer sehr nahen Kaserne haben bei mir wohl eher das Gegenteil dessen erreicht, was bezweckt werden sollte.“
Tobias Boos: „Ich kann mich bei meiner Entscheidung zwischen Bundeswehr und Zivildienst nur für den Zivildienst entscheiden. Denn der Dienst an der Waffe, der die Abschreckungspolitik unterstützt, kann für mich nicht als Friedensdienst gelten. Der Zivildienst ist ein sozialer Dienst, ein Dienst für die Gemeinschaft, und daher für mich wertvoller als der Dienst an der Waffe“
Winfried Eichel: „Die Militärs lernen den Wehrpflichtigen das theoretische Töten. Dieses theoretische birgt schon die spätere praktische Anwendung in sich.“
title=“Was ich erlebt habe, um Staatlich anerkannter Gewissensträger zu werden“
Es war 1972, die Vorbereitung mit dem Pfarrer war gut, ich wusch die Haare und zog eine saubere Hose mit Bügelfalte an. Ich nahm mir fest vor, ordentlich „Guten Tag“ zu sagen und gab auch jedem der 2 Herren und der Dame die Hand. Ort des Geschehens: das ehemalige Luftflottenkommando, dann Kreiswehrersatzamt, heute eine IGS in Braunschweig. Ich blickte auf das Franzsche Feld. Mein Herkommen: ich wohnte damals in einer offenen Diakonischen Anstalt für Behinderte, mein Vater arbeitete dort.
Alles lief wie bekannt: nur war es kein Russe, sondern ein durchgeknallter Franzose, der meine Familie bedroht, und ich hätte Zugriff auf ein Gewehr…Die Frage, die mich in Schwierigkeiten gebracht hätte, wurde glücklicherweise nicht gestellt: was würden Sie tun, wenn Sie in Chile wären und sich gegen die Putschisten verteidigen müssten?
Interessant war nur die Frage zu Beginn: Was, Sie haben nun 10 Jahre in Neuerkerode mit Behinderten gelebt, ja haben Sie denn da keinen Schaden genommen???
Der Beisitzer war bald eingeschlafen, die Beisitzerin stellte auch mal eine Frage, Das Ganze war nach 3 Stunden mit der Anerkennung erledigt.
Hinterher stellte sich heraus, der Vorsitzende, also der Angestellte der Wehrbereichsverwaltung, war ein ehemaliger SS-Mann!