von 20.01.2011

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

Mehr über diesen Blog

Das RTL-Dschungelcamp ist das derzeit umstrittenste Format im deutschen Privatfernsehen. Diesmal ist auch Reiner Langhans eingezogen, einer der bekanntesten noch lebenden Protagonisten der 68er-Bewegung. Seiner Ansicht nach ist sein Camp-Einzug eine politische Aktion. Das taz-Gesellschaftsressort tazzwei hat sich entschieden, Langhans dazu kritisch zu befragen und sein Agieren in der Sendung zu begleiten. Am 11. Januar druckte die taz in ihrem Gesellschafts-Ressort tazzwei ein ganzseitiges Interview mit Rainer Langhans. Er sagt darin über das Camp: „Es gibt bisher kein Format im Fernsehen, das so die Urszene der Kommune wieder errichtet wie das Dschungelcamp.“ Reaktion der taz-Interviewerin: „Das können Sie doch nicht ernst meinen?“ Im weiteren Verlauf des Interviews offenbart Langhans seine echten Gründe: „Ich war einmal berühmt, und dann bin ich abgestürzt. Ich kam nicht mehr vor, es gab mich nicht mehr. Ich hoffe, wie die anderen Dschungelbewohner auch, mich durch das Camp zu resozialisieren. Ich lebe seit Langem ja in einem Harem, habe fast nur Frauen gesehen. Jetzt komme ich wieder in die Mitte der Gesellschaft.“

Seit dem 15. Januar erscheint auf einer tazzwei-Seite eine tägliche 90-Zeilen-Kolumne mit dem Titel „Haremsdamen“, geschrieben von zwei der fünf Langhans-Gefährtinnen. Sie kommentieren darin die TV-Übertragung des Camps. Am ersten Tag wunderten sie sich über Langhans Kleidung: „Rainer trägt Schwarz! Ein richtig teurer Bademantel, sagt er, der sonst immer Weiß trägt. Steht ihm gut, finden wir unisono.“ In der nächsten Kolumne heißt es: „Mir kommt heute die Welt irgendwie magisch vor. Weil mich am Samstag das Dschungelcamp für einen Moment über jede Realität erhob. Fantastisch!“ Der dritte Tag: „Es ist der 3. Dschungeltag. Erste Ermüdungserscheinungen bei mir. Oder doch Kulturschock?“ Die nächste Kolumne: „Mir wurde mein Nachtmahl versaut. Und das wäre ausgerechnet Sarah-Uma zu verdanken, die dank Zuschauer-Rache-Votum schon wieder ranmusste.“ Am nächsten Tag: „Sie müssten bewusst mehr diese Anti-Rolle von Rainer nutzen. Er ist ein wichtiges Gegenüber zum Lauten, zur Action. Manche finden das cool.“

Viele taz-Leser sind mit der Berichterstattung unzufrieden. Rita A. Hermann aus Hannover meint:

Habt ihr sie noch alle? Vor 20 Jahren hab ich mein allererstes Weihnachtsgeld geopfert, um guten, linken Journalismus zu fördern. Nicht, um die Lohhudeleien zweier Langhans-Gefährtinnen zu lesen. Ich bin eine taz-Genossin, holt mich hier rauuus!

Bernd Flossmann aus Stade schreibt:

Nachdem ich zu der Erkenntnis kommen musste, dass Sie ernsthaft beabsichtigen, den Aufenthalt von Herrn Langhans im Dschungelcamp durch die „Haremsdamen“ kommentieren zu lassen, und zwar fortlaufend, kann ich Sie nur bitten: Hören Sie auf! Sofort! Es interessiert nicht!

Holger Lüsebrink aus Bendorf fragt:

Welche gesellschaftliche, politische oder kulturelle Relevanz hat das „Dschungelcamp“? Warum muss die taz einen eitlen, mediengeilen, scheinbar verarmten, inhaltsleeren „Pseudo-68er-Linken“ interviewen, ohne dass, erwartungsgemäß, irgendein Inhalt transportiert wird? Der Gipfel ist eine Kolumne (!!) über das Dschungelcamp. Mehrteilig, ihr scheint das wiederholen zu wollen?! Ich dachte, ich sei auf der Wahrheit-Seite, Verfasser: „Die Haremsdamen“. Von Satire aber keine Spur. Dummes Dampfgeplauder über „Rainer“ und die „Kakerlaken“, ich glaube, die beiden meinen das ernst. Ihr scheinbar auch?! Ich bin absolut sicher: Es gibt Wichtigeres unter der Rubrik „Gesellschaft + Kultur“ zu berichten. Und der Schlusssatz: „Die Sendung wird immer besser.“ Um mit dem Kabarettisten Priol zu sprechen: Ja geht’s denn noch?!

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und taz-Genossin Monika Lazar aus Leipzig bittet:

Liebe taz, bitte verschone mich mit dieser Rubrik! Die passt in die Bild-Zeitung, aber nicht zu euch. Ich jedenfalls will nicht wissen, was die „Haremsdamen“ von Rainer Langhans zu seinem Ausflug ins (hoch bezahlte) Dschungelcamp von sich geben. Das ist doch unter eurem Niveau, extrem peinlich und Platzverschwendung! Dafür bin ich nicht Genossin bei euch geworden, um diese unterirdischen Zeilen täglich zu lesen. Bitte stellt die Serie ein oder ich muss hoffen, dass Rainer Langhans bald aus dem Dschungelcamp fliegt und seine Haremsdamen nichts mehr öffentlich zu berichten haben.

Stephan Heider meint:

Da geht Rainer Langhans ins Dschungelcamp … und die taz berichtet darüber!? Wollt Ihr zur „Superillu“ werden? Also: bitte keine weiteren Berichte mehr zum Dschungelcamp!

Harry Harrendorf aus Braunschweig findet:

Seit – sagen wir mal – 1972 bewegt sich Rainer Langhans in Gefilden, über die die taz eigentlich nicht berichtet. Nun geht diese Flitzpiepe ins sogenannte Dschungelcamp und wird mit einem längeren Interviewgefasel von der taz gewürdigt. Dann dürfen auch seine Dienerinnen gegen Zeilengeld irgendwelchen Nichtsnutz absondern. Die Frage sei erlaubt: Seid ihr noch ganz frisch?

Jetzt interessiert uns natürlich: Was meinen Sie? Sollten wir über TV-Formate berichten, die wir widerlich finden? Wenn ja, in welcher Form? Oder verschaffen wir dem Trash-TV, das von der Erniedrigung seiner Darsteller lebt, damit nur zusätzliche Aufmerksamkeit?

Nachtrag: Linktipp zum Blog von Fotografiona, die sich ausführlicher mit der Frage auseinandersetzt.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausblog/wie_viel_dschungelcamp_soll_in_die_taz/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • das dschungelcamp ist kein „gesellschaftliches phänomen“. es wird von interessierten medien dazu gemacht, das interesse der taz, hier mizumachen, ist in meinen augen das einzig diskussionswürdige an dem ganzen thema.
    nichts an den wieviele-auch-immer abends vor der glotze mit dschugelcamp drauf abhängenden zuschauern und ihrer passiven aufsaugung ist „gesellschaftlich“ relevant oder als „phänomen“ zu bezeichnen. so alt, wie ‚brot und spiele‘ sind, so sehr hätte man sich gewünscht, dass die gute taz weiß, auf welches der beiden sich zu konzentrieren eher lohnt.

  • Macht doch so etwas nicht! Ich bin Genossin und lese die taz ja gerade deshalb, weil sie sich so wohltuend von den anderen Printmedien unterscheidet.
    Und warum muss ich hier in letzter Zeit dauernd meine Meinung zu so komischen taz-Ideen sagen? (Bilder von Toten in der taz und zweifelhafte Themen)
    Das kann einem ja richtig Angst machen.

  • Ihr habt doch schon längst Dschungelcamp auf taz.de, wenn man sich so diese ganzen PI-Fans mit ihren widerlichen Kommentaren durch liest.

  • Hallo,
    ich war anfangs auch ein bisschen irritiert über die Berichterstattungen von Reiner Langhans, weil sie so rüber kam als würde er im Harem leben. DAS ist nicht so. Ich habe gelesen, dass er schon seit Jahrzehnten den spirituellen Weg gegangen ist und in der Zeit keinen Geschlechtsverkehr hatte. Ich finde es toll, dass endlich einmal ein Mann bewiesen hat, obwohl er von so vielen Frauen umgeben ist, dass es möglich ist ohne Geschlechtsverkehr zu leben und man dann nicht unweigerlich krank wird. Das widerspricht dem Mainstream, der behauptet, dass ein Mann so schwach ist, dass er von seinen starken Geschlechtstrieb getrieben wird und so eigentlich sogar Vergewaltigungen gerechtfertigt werden. Er ist der lebende Beweis, dass das eine patriarchale Lüge ist. Insofern war die Berichterstattung hervorragend und was spricht gegen eine Wohngemeinschaft?

  • Das enorme Interesse am Dschungelcamp ist ein gesellschaftliches Phänomen. Das sorgt offenbar bei dem ein oder anderen für großes Unbehagen und massive Entrüstung.
    Aber so ist es nun mal. Und damit halte ich es für absolut gerechtfertigt, wenn die taz darüber berichtet.

    Es kann bei der Diskussion um Qualitätsjournalismus nicht darum gehen, WORÜBER, sondern WIE berichtet wird. Und da kann ich bei der taz beim besten Willen keine Annäherung an die Bildzeitung erkennen.

    Die taz habe ich noch nie als eine Zeitung gesehen, die nur informiert, anklagt, jammert und moralinsauer Weltuntergangsstimmung verbreitet.
    Dem Leser wird meistens noch ein unterhaltsam-ironischer Blick auf das ein oder andere gesellschaftliche Phänomen angeboten.

    Das Haremsdamen-Duo Ritter/Winkelmann schreibt pointiert und witzig. Mir gefällt’s! Ich lasse mich gern von Zeit zu Zeit gut unterhalten.

  • exakt. wenn mal eine wirklich interessante sendung ist, dann findet man die auch früher oder später im netz, für die paar ausnahmen braucht man keinen staubfresser in der bude. ebenfalls kein TV hier. und ich bin nicht der meinung, dass man mit dem dschungelcamp ansonsten überhäuft wird im alltag (hängt vom alltag ab), es sei denn – offensichtlich – dass man gelegentlich die taz-redaktinosräume streift.

    sorry, aber da kann man schon explodieren. themen gibt es haufenweise, braucht man nur die hand auszustrecken. es gibt keine saure-gurken-zeit, nicht für echten journalismus. aber wenn die taz jetzt von couchpotatos mit tv-sucht gefüllt wird, dann abgewunken.

  • Natürlich sollten Sie auch mal etwas über widerliche TV-Formate berichten. Es reicht aber eine kurze Info, dass Rainer Langhans sich jetzt im Dschungelcamp suhlt. Wer sich für das Dschungelcamp begeistert, liest nicht unbedingt die taz und falls doch, kann er sich auch noch woanders ausreichend informieren. Also verschonen Sie bitte Ihre Leser mit dieser Art Volksverblödung. Wen interessiert das schon?!

  • Thomas Wieczorek würde ich jetzt gerne schimpfen hören/lesen! :-)
    „Selbst Qualitätsmedien berichten mit Hingabe über platteste Boulevardthemen … die Auswüchse und Abgründe der Massenverblödung“ (Aus dem Klappentext von „Die verblödete Republik“, Wieczorek)

    Ich lese die TAZ in der Hoffnung, der Massenverblödung wenigstens nur langsam zu folgen. Dass ihr komplett zu entgehen kaum noch möglich ist, beweisen
    a. solche Themen/Artikel in der TAZ und
    b. dass man sich dabei erwischt, sie dann auch noch zu lesen

  • Berichte über den echten Stadtdschungel Berlin könnten mit dem RTL Quark in Australien ohne weiteres mithalten. Leider druckt die TAZ seit fast 3 Jahrzehnten, auf mehr als 2 Seiten Kinoprogramme im Lokalteil, die auch in den bekannten Stadtmagazinen ausreichend zu finden sind. Das betrübt den lokal interessierten Leser mehr, als ein lächerliches Kunstevent mit bezahlten Akteuren in Australien.

  • Mal n Bericht ost okay, aber jeden Tag das Zeug wirkt wie Werbung für Privatfernsehsender. Wenn Ihr sowas schon macht, lasst es Euch bezahlen und schreibt Werbung drüber, das fände ich dann in Ordnung.

  • Die Kolumne ist unnoetig und peinlich. Ich verstehe nicht wie man sich ernsthaft mit so etwas auseinander setzen kann. Allerdings habe ich das kopfschuettelnd ueberlesen. Ich wuerde euch keinen erbosten Leserbrief schreiben.

    Spon hat sich dazu auch versucht http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,739665,00.html

    „In der ersten Folge des RTL-Dschungelcamps gab Mathieu Carrière den abgebrühten Maden-Profi, während Rainer Langhans die Rolle des seltsamen Einzelgängers zukam. Wie schreibt man darüber mit Niveau, fragte sich Stefan Kuzmany…“ – Gar nicht, antworte ich. Wieso denn auch?

  • Brauche kein Dschungelcamp in der Taz.
    Man kommt eh im Alltag kaum um diesen Mist herum, da braucht kein Mensch darüber auch noch zu lesen.

  • Wegen Formaten wie Dschungelcamp habe ich meinen TV abgeschafft, wegen Berichten darüber und Bildern von Toten auf der taz-Titelseite (http://blogs.taz.de/hausblog/2011/01/15/mit-bildern-effekte-erzielen/) habe ich gestern nach langem Überlegen mein taz-Abo gekündigt.

    Ich habe die taz mal geliebt, weil sie keine „normale“ Tageszeitung war; jetzt ist sie aber anscheinend auf dem besten Weg dazu.
    Mag ich nicht.

    Danke für bisher, alles Gute für eure Zukunft.

  • Nun ja, das Interview fand ich inhaltlich sehr gelungen, das offenbart doch wie man medialen Einfluss einsetzen kann um seine Meinung zu publizieren.
    Die Schlichtung um Stuttgart 21 hat das doch ebenfalls deutlich gemacht. Zu den 90-Zeilen-Kolumnen kann ich gar nicht viel sagen, da ich zumeist die taz nur via Web genieße. Aber die taz scheint sich bei vielen als bürgerliche Presse etabliert zu haben.
    Liebe Leute Tabuisierung hat doch keinen Wert und eine kritische Durchleuchtung, bzw. „sensible“ Themen anzusprechen ist doch der wahre Journalismus. Ich erinnere an die Umfrage über Tunis, wo die Empörung über die Postkarte mit einer Leiche dramaturgisch aufgeblasen wurde – und wenn man den Fernseher anschaltet, sieht man es doch und schaut hin …
    Kommt mal wieder auf den Teppich.

  • Mal einen seitenfüllenden, kritischen Artikel, kann man schon machen, wenn ohnehin gerade saure-Gurken-Zeit ist und sich die Seiten einfach nicht füllen wollen.
    Rein boulevardeske Interviews, die profilneurotischen Alt“prominenten“ Fläche bieten und regelmäßige (sehr schlechte) Kolumnen zu einer eher unbedeutenden Trash-Sendung müssen aber wahrhaftig nicht sein.

  • In der Tat, kann man sich schenken. Auch wenn man sich scheinbar „ironisch-distanziert“ gibt (was de fakto nicht der Fall ist) ist irrelevante Berichterstattung über Themen des Unterschichtenfernsehens genau das, ich sehe da keinen Unterschied ob Bild oder taz drüber berichtet. Möchte taz die Bild 2.0 werden?

  • empfehle, dann gleich offen und aufgeschlossen mit dem glashaus nebenan zu fusionieren. die ganzseitige BILDwerbung haben die leser ja geschluckt, überleben auch das.

    sind zwar dann andere leser aber was solls, immerhin auch leser, hauptsache, die zahlen.

    im ernst? im ernst unterstreiche ich den satz der einen leserin: habt ihr sie noch alle?(!!)

  • Schreiben Sie, was Sie wollen, aber glauben Sie nicht, dass ich Ihren Anspruch, „Qualitätsjournalismus“ zu betreiben, erst nehmen kann, wenn Sie über – wen bitte? – schreiben. Rainer – wer? Und wo sitzt er gerade? Auf einer Waldlichtung in Australien?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert