vonHelmut Höge 28.09.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Bei meiner Pollerforschung habe ich mich nicht speziell mit den Poller-Unikaten von Hausmeistern befaßt, aber sie erregten dann doch ziemlich schnell – ab etwa 1990 – mein Interesse. Einen etwas anderen Weg ging zur gleichen Zeit der Künstler Dida Zende, der sich auf Pilonen konzentrierte – das sind diese kleinen rotweißen Spitzhütchen aus PVC (in der DDR waren sie aus Gummi), die man bei Unfällen und Ähnlichem aufstellt. Zende kam darüber auf Verkehr und Kunst. Seit ein paar Jahren betreibt er die „Freie Internationale Tankstelle“ (FIT) in der Schwedter Straße 262 (Berlin- Prenzlauer Berg), wo regelmäßig Kunstaktionen stattfinden, die derzeitige heißt „Autopoesie & Lichthupen“.

Kürzlich besuchte eine Verkehrs-Kommission aus Nowosibirsk Berlin. Sie wunderten sich über die vielen Poller in der Stadt – Verkehrsabweiser von ihnen bzw. ihren Dolmetschern genannt. Es gab hier einmal einen FDP-Abgeordneten, der sich dem Kampf gegen die „Verpollerung der Innenstadt“ widmete. Er wußte, welche Bezirks-Tiefbauämter die meisten Poller aufgestellt hatten und welche die wenigsten. Und was das alles kostete. Das war vor der Wende im Westen.

Danach fingen auch die Tiefbauämter im Osten an, wie verrückt alles abzupollern. Im Osten hatte es früher so gut wie gar keine Poller gegeben. Dort vertraute man auf die Straßenverkehrsordnung und die Vopos, die jeden erwischten, der auf dem Bürgersteig parkte. Nun sollten die „stummen Polizisten“ – aus Gußeisen, Beton oder Stahl – sie ersetzen.

In Kreuzberg verwendet man vornehmlich die in Ungarn von einer hessischen Firma hergestellten „Wellmann-Poller“, die im dortigen Bezirksamt „Kreuzberger Penisse“ genannt werden. Nach den ersten zwei 1.Mai-Krawallen im Problembezirk kaufte man „ankerverstärkte“. Ähnliches galt für die Steinpoller vor den amerikanischen Militäreinrichtungen in Zehlendorf und jetzt vor den Botschaften der Engländer und der Amis: Damit sollten islamische Selbstmordkommandos auf LKWs mit Sprengstoff schon im Vorfeld aufgehalten werden. Nach der Wende wurden – zur Sicherheit – auch die Synagogen in Mitte und Prenzlauer Berg derart abgepollert. Zusätzlich stellte man dort aber auch echte, sprechende Polizisten ab.

Ein Architekt, Natubs, der früher den edlen „Kudamm-Poller“ entworfen hatte, beteiligte sich am „Ersten Entpollerungs-Programm“ – in Amsterdam, von wo aus einst die Poller die Verkehrswelt überschwemmt hatten. Grenzen setzte ihnen damals nur der „Eiserne Vorhang“ und speziell die „Berliner Mauer“ (von Verkehrsplanern scherzhaft „der längste Poller der Welt“ genannt).

Unterdes war aus der westlichen Poller-Produktion und -Distribution ein blühender Industriezweig geworden – mit eigenem expandierenden „hermeneutischen Apparat“. In der Single-Hochburg Westberlin lag es z.B. nahe, die Poller als Signifikanten einer „vaterlosen Gesellschaft“ zu dechiffrieren. Ihre phantasievolle Inbesitznahme durch die Habermasschen Alltagsexperten, von einer New Yorker Urbanistin „Nutzungsspuren“ genannt, wurde von den Stadtplanern sogleich multimedial aufbereitet. Die Radikalen unter ihnen sprachen von „Proletkult“, wenn sie ein tag oder graffito auf einem Poller identifizierten.

Dergestalt fand insbesondere der rotweiß gestreifte Verkehrsabweiser aus Metall schnell auch einen Platz auf den Bühnen. Dostojewski, Goethe, Dario Fo, Botho Strauß: in jedem Stück gab es mindestens ein Dialog mit einem Poller. Es kam auch zum hilflosen Versuch, dem entgegenzuwirken: Man sprach plötzlich von „Stadtmöblierung“ – und meinte damit alle Gegenstände des öffentlichen Raumes: Bänke, Waschbeton-Blumenkübel, Abfallkörbe, Schaltkästen, Fahrradständer etc. – bis hin zu den „Drop Sculptures“ genannten Plastiken im öffentlichen Raum. Die Poller waren fortan Teil der Straßenmöblierung.

So wie diese flugs industrialisiert wurden, drehte sich die Entwicklung jedoch auch wieder: All diese Stadtmöbel-Elemente wurden einfach in so genannte Pollerketten integriert: d.h. man stellte sie so auf, daß man damit einige „stumme Polizisten“ ersetzte. Bleiben wir bei den echten Pollern! Die Neurosibirsker fanden heraus, daß es ziemlich genau 6 Millionen Poller in Berlin gibt. Die Siegessäule nicht mitgerechnet. Diese Zahl sollte uns Deutschen zu denken geben, meinten sie, wie ebenso, dass die von der Springerpresse sogenannte blinde Wut der 1.Mai-Randalierer in Kreuzberg sich stets auch gegen die dort zu tausenden „gepflanzten“ ankerverstärkten Wellmann-Poller richtete, die über 500 Euro pro Stück kosten. Wenn die Neurosibirsker Recht haben, dann hat die Stadt seit Beginn der Abpollerung ihrer Gehsteige und Hauseinfahrten dafür über 3 Milliarden Euro ausgegeben, es gibt jedoch a) regelrechte Luxus-Poller, die bis zu 2000 Euro kosten und b) welche, die regelmäßig durch neue ersetzt werden müssen, so daß Verkehrsexperten von einer Poller-Summe ausgehen, die weit über 5 Milliarden Euro liegt.

Nach dem 1.. Mai in Kreuzberg – Skalitzer- Ecke Görlitzerstraße:

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Zurück zu den Hausmeisterpollern – dieser – dritte  (unten) – wurde vom Hausmeister einer neuen teuren Wohnanlage in Berlin-Wilmersdorf, in der Nähe des Rüdesheimer Platzes (Rüdi) gebaut. Und zwar in seiner privaten kleinen Metallwerkstatt, die dort nun in einem Kellerraum untergebracht ist. Der Hausmeister, Herr Schinske, hat früher bei der AEG gearbeitet. Sein fahrbarer und mit einer Kette gegen Diebstahl gesicherter Poller soll verhindern, dass Unbefugte den Parkplatz hinter der Wohnanlage benutzen, der für die Besitzer der Eigentumswohnungen angelegt wurde. Befugte können/müssen/dürfen dagegen den Poller einfach zur Seite rollen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/09/28/hausmeisterkunst-3/

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