vonHelmut Höge 22.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Als wir in den Achtzigerjahren als taz-sommerlochteam (tst) auf dem Dauercamperareal des Zeltplatzes Niedermoos im Vogelsberg anfingen, über diese oberhessische Region, die man bis dahin zumeist für einen Berg gehalten hatte, regelmäßig zu berichten, war dieses „Feld“ bereits von F.K.Wächter, Jörg Schröder, Mathias Horx, Albert Sellner und vielen anderen Schriftstellern vor uns beackert worden.

Nichtsdestotrotz bekamen wir für unsere Bemühungen dann im Rahmen der Lauterbacher „Strolch“-Woche den „Benno-Martiny-Preis für sauberen Journalismus“ in Bronze verliehen. Und der Tourismusverband „Hoheropdskopf“ freute sich, dass dadurch der Name „Vogelsberg“ noch bekannter wurde. Bis dahin hatten zumeist sparsame holländische Touristen dieses Mittelgebirge besucht, die sogar ihre Kartoffeln mitbrachten. Und die Restaurants in der Gegend boten im Winter ein spezielles „Ski-Menü“ an, das aus einem Hamburger und einem Glas Glühwein bestand.

Es hätte trotzdem noch alles gut werden können, wenn dann nicht plötzlich die Wende gekommen wäre – und kein Schwein mehr den Vogelsberg ankuckte bzw. als Urlaubsort wählte. Die umliegenden Pensionen der Kurorte – z.B. in Bad Soden, die sich bis dahin noch mit der Beherbung von Solidarnosc-Polen über Wasser gehalten hatten, die bei ihnen auf ihr USA-Visum warteten, wußten schon gar nicht mehr, was tun?!

Licht am Ende des Tunnels verhieß dann jedoch das Internet. Dort konnte man preisgünstig Werbung für die Region machen – bis fast ans Ende der Welt. Die Vogelsberger Pensionswirte, Skiliftbetreiber, Restauranteigentümer und Volksgolfplatz-Besitzer wurden geradezu belagert von Webdesignern aus Frankfurt, Fulda, Gießen, Hanau, Nidda, Gelnhausen, Lauterbach und Lich.

Und nun haben wir den Salat: Unter dem Stichwort „Vogelsberg“ finden sich bei Google genau 1.470.000 Eintragungen – aber sie haben so gut wie keine Wirkung, d.h. es kommen noch weniger Touristen als damals in die Region.

Dabei hatten wir das an sich schon anspruchsvolle taz-sommerloch-team-konzept (tstk) zuletzt sogar noch in eine ganze Sachbuchreihe münden lassen – unter dem anspruchsvollen Titel „Vogelsberg“ und unter dem kollektivistisch angelegten Autorennamen „Agentur Standard Text“ (AST).

Hierzu ließe sich Ähnliches wie zu der Region selbst anmerken – was die spätere Internetwirkung, die wir aus Zeitgründen gar nicht mehr selbst erlebten, betrifft: Unter dem AST-Begriff (ausgeschrieben) finden man beim Googeln inzwischen über eine halbe Million Eintragungen, der Begriff selbst kam jedoch als Autorenname über den ersten Band bei Rotbuch nicht hinaus, ja wir kauften sogar noch die letzten 300 unverkäuflichen Exemplare beim Verlag auf, nachdem wir wegen eines verlorenen Prozesses gegen einen Vogelsberg-Adligen in 400 Exemplare, die schon beim Vertrieb in Stutgart lagerten, jeweils einen Satz eingeschwärzt hatten.

Als nächstes versuchten wir es mit einem anderen Berg – den Babelsberg, und mit einem anderen Verlag – Nautilus, wobei wir diesmal in bezug auf den Autorennamen auf Nummer Sicher gingen – und zwar indem wir uns dafür den vom Vogelsberger Jörg Schröder vorübergehend auf Eis gelegten Namen „Bismarc Media“ ausliehen – ohne zu fragen, zugegeben.

Dieser Name brachte es auf bisher 1.320.000 Eintragungen. Aber weder gibt es noch die dahinterstehende Autorengruppe, die immerhin nur halbfiktiv war, noch erschien seitdem ein weiterer Band in unserer Berg-Triologie. Dafür brachte Jörg Schröder irgendwann sein Mißvergnügen über die Verwendung des Namens der seinerzeit im Hotel Beau Rivage bei Genf gegründeten S.A. deutlich zum Ausdruck. Und einige andere Leute fühlte sich darin „inhaltlich“ verunglimpft.

Wir hatten diese (und andere) Berge schon fast aufgegeben, da kam uns nun ein alter Bekannter, Heiner Boehncke, zu Hilfe. Wir erfuhren davon im Internet. Dort stand plötzlich (auf der Webpage „hr-online.de“):

„Wussten Sie, dass Leopold von Sacher-Masoch, Namensgeber des Masochismus, im Vogelsberg lebte?“ Das hatten wir geahnt, weiter heißt es dort – über das neue „bisher einzigartige Projekt: noch nie zuvor hat sich jemand systematisch mit dem literarischen Erbe und der literarischen Gegenwart dort beschäftigt“. Das Projekt wird denn auch von staatswegen schwer gefördert.

Und weiter:

„Die beiden Initiatoren des Projekts, Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz, haben als ausgewiesene Hessen-Spezialisten jahrelang die hessischen Literaturlandschaften bereist und erforscht. Jetzt haben sie ihr umfangreiches Lese- und Reisebuch „Literaturland Hessen“ vorgelegt, in dem sie erstmals eine umfassende Darstellung der hessischen Literaturgeschichte vornehmen. Auf den Spuren der Autoren beschreiben die Verfasser kurzweilig deren Leben und Werk, eingeordnet in den historischen Rahmen. „Wir laden ein, mit dem Buch in der Hand Schlösser, Gärten, Archive und Museen zu besuchen“, sagt Boehncke.
Auf diese Weise erfährt der Leser, dass Leopold von Sacher-Masoch, Namensgeber des Masochismus, im 19. Jahrhundert in Lindheim im Vogelsberg lebte. Dort engagierte er sich für die Volksbildung und kämpfte gegen den Antisemitismus. An ihn erinnert eine Tafel, die an seinem ehemaligen Wohnhaus angebracht ist.“
Das war 2005 – seitdem hat sich an der Tourismusfront trotzdem nichts oder kaum was „bewegt“.
Aber Anfang 2007 klärte sich immerhin mit der neuen Ausgabe des online-magazins „Vogelsberg-Netz“ von Brigitta Möllemann das Problem, warum die Besucherzahl im Vogelsberg mit der steigenden Zahl der Publikationen und Interneteintragungen über den „Berg“ stetig zurückgegangen war: Da jubelte „bm“ nämlich über „eine Million Besucher“ und sprach davon, dass ihr online-magazin einen „neuen Klickrekord gebrochen“ habe – was immer das heißen mochte. Klar war jedenfalls, dass die Touristen seit der Erfindung des Internets nicht mehr real den Vogelsberg besuchen, sondern ihn nur noch anklicken. Sollte uns das nicht zu denken geben? Wir denken, nein.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/01/22/vervogelsbergisierung/

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kommentare

  • Hallo Hilfshausmeister,
    vielleicht kannste den Rob Alef mit seiner ewigen Verdammnis vom 5. 2.07 mal aufklären, daß Lauterbach eben nicht in Süddeutschland liegt, sondern in Oberhessen und der Strolch (der auf der Käseschachtel den Stumpf verliert) als erster Camembert Deutschlands in der dortigen Molkereigenossenschaft hergestellt wurde.
    Er war lange Zeit der Lieblingscamembert meines Vaters , meine Oma bevorzugte Ilbeshäuser Babbegei (Papagei), eine für uns Kinder grauenhaftes Rotschmiere Exemplar.
    So viel für heute aus Kreuzberg und dem Vogelsberg
    Ciao
    Bertel Baumgart

  • Nach einem arbeitsreichen Samstag… abends mit müden Augen, kaum etwas noch erkennend, habe ich durch Sie, lieber Hausmeister, heute noch einmal echtes Vergnügen verspürt – und reiche das vergessene „m“ für das Somerloch nach, das Sie erdulden mussten am Nieder-Mooser See. (Kann ich mehr darüber erfahren, BITTE?)

    *wink* von einer Helding des Alltags (bm = täglich im Vogelsberg)

  • Danke, Hausmeister Höge für diese „Fundstelle“, die Erwähnung meines kleinen Ein-Frau-Magazins http://www.vogelsberg-netz.de ;-P.

    Sie haben ja SOOO recht mit Ihren hausmeisterlichen Gedanken über den Vogelsberg, den man(n) oft nur durch Zufall findet – und auch nur, wenn man aus purer Somerloch-Verzweiflung am Nieder-Mooser See campiert. (Eine Million Klicks waren 4me auch Zufall 😉 Daher schlage ich mich (bm) als Heldin für Ihren taz-Panter-Preis vor… *grien*.
    KissU

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