vonHelmut Höge 19.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Seit Wochen beschäftige ich mich nun schon mit dem Wald. Einen Teil hat jetzt die Jungle world weggedruckt. Es geht mir dabei um das Wald-Werden – z.B. mit einem Zaubertrank, Maji-Maji, den die Aufständischen vereinigten Stämme in Ostafrika vor dem Kampf gegen die deutschen Kolonialtruppen einnahmen – und der sie vor deren Kugeln schützen sollte, indem er sie und ihre Dörfer notfalls in Termitenhügel bzw. Wälder verwandelte. Der Aufstand wurde zwar niedergeschlagen, aber heute gibt es ein Denkmal dort – für den Aufstandsanführer, der das Maji-Maji “erfand”.

Anders sah es bei den europäischen Aufständischen aus, die sich fast immer erst im Wald sammelten und von diesem “befreiten Gebiet” aus dann wieder losschlugen – im Zweiten Weltkrieg vor allem gegen die Deutschen. In Frankreich ist das Wort für “Buschwald” – Maquis – sogar identisch mit den Partisanen – den Maquisards – geworden.
Ansonsten ist das Wort “Werden” ein zentraler Begriff bei den Franzosen Deleuze und Guattari in ihrem Buch “Tausend Plateaus”. Ich komme später darauf zurück. Hier erst einmal ein Text aus dem vor kurzem digital erschlossenen taz-archiv für die Jahre 1978-1986, die bisher fehlten. In dem Artikel von bzw. mit Wolfgang Neuss, der für einige tazler eine fast täglich Inspirationsquelle war, geht es ebenfalls u.a. um den Wald:

Das Ende des Holzwegs

Das Gespräch über geistiges Eigentum würden wir nicht fuhren, wenn es nicht um Psychedelik und Mystik ginge. Wir erwähnen das geistige Eigentum, weil wir uns in einen Zustand versetzen, wo wir erkennen, daß wir es nicht alleine sind, die sprechen und Gedanken haben. Wenn wir jetzt schweigen, rauchen, schweigen, rauchen, schweigen, dann sprechen wir innen, dann sagen wir innen ganz leise: “Jetzt machen wir mal innen im Kopf Verkehr”. Wir sitzen hier im Kreise. “Was machen wir jetzt?” fragt der Erste. “Ich habe gleich eine Idee”, sagt der zweite. Der Dritte sagt schon die Idee: “Wir essen Eis!” Der Vierte sagt: “Ach, wir lassen es lieber”. Alle vier starren sich an und schweigen, aber sie haben sich innen einmal kurz unterhalten. Also es geht, wenn wir uns über geistiges Eigentum unterhalten, zuerst darum, daß wir über die schweigende Quatscherei sprechen, die heute die eigentliche Unterhaltung ist, wo ja auch die Literatur, wenn schon Literatur und Geschreibse, zuhause ist. Dort vom Schweigenden, da kommt es her.

Der Enzensberger’ hat etwas über den Wald gemacht -im Stern; ich muß ja mal lachen, muß das noch mal kurz erwähnen, die schönen Bilder und die Literatur -ist ja klar, daß der Wald spricht, raunt, und daß die Deutschen von Eichendorff her den raunenden Wald gehört haben. Und nicht nur die Deutschen, in jedem Land gibt es eine übermäßige Zeitungs- und Bücherproduktion.

Ja was machen wir denn da? Wir Schreiberlinge, Kellner, die abends einen Roman. schreiben, Döblins, Musils, Mann ohne. Eigenschaften, Kafkas? Wir alle machen den Wald nach! Der Wald unterhält sich, wir holzen ihn ab, wir machen Papier draus und was drucken wir drauf? Was der Wald’ sich unterhalten hat!

Der Mensch ist ein Rauschwesen. Ein unglaubliches Rauschwesen. Er ist geboren, um zu rauschen. Und darum ist auch’ die Alkoholseuche auf der Erde ein Ersatzrauschen für den eigentlichen Rausch, den der Mensch machen sollte. Wieder kommt das Wort aus dem Wald, Ja, raunen, rauschen, dichten, blättern, Papier, Wälder, Bäume …und die Leute, die am meisten grün sind und gegen dieses Baumsterben schimpfen, die schreiben am meisten.

Weißte, es ist doch so, wenn heute die Sache mit Marx nicht mehr funktioniert, dann nicht, weil Marx weg vom Fenster ist. Jesus ist ja auch nicht weg vom Fenster. Marx wird durchs Fernsehen benutzt, überall findet Marx im Kleinen statt. Im Großen wird er nicht benutzt, weil wir abschreckende Beispiele vor uns haben. Dort, wo das die Leute staatlich machen, wird sich niemals eine Mehrheit dafür finden. Wenn es z.B. bei den Linken, oder bei den Unteren, keinen Marx mehr gibt, dann gibt es doch die Idee, daß es gar kein geistiges Eigentum gibt. Das ganze materielle Eigentum wird fragwürdig, beginnt zu wackeln, wenn man nach dem geistigen Eigentum fragt. Da nämlich stellen wir dann Urkommunistisches fest, ohne daß wir Marx erwähnen brauchen. Beim Schweigen stellen wir fest, daß die Gedanken, die wir haben, uns allen gehören.

Einer hat sein Hirn besonders gut trainiert. Da könnte schon einer von euch sagen: “Dafür muß er bezahlt werden!” Ich würde sagen: “Für einen Gesichtsausdruck muß er bezahlt werden!”

Gehirn trainieren heißt doch, nicht hier oben mit den Fingern dran rummachen, sondern mit dem Gesicht Grimassen schneiden, eigentlich innen. Mit dem Gehirn Grimassen schneiden, und meistens sehen die Leute ja so aus, wie das Gehirn sich innen bewegt. Und es bewegt sich in Unart, unglaublich. Die Gehirne lassen sich nun heute bezahlen. Diese Gehinrmenschheit läßt sich heute ihre besten Gedanken sofort bezahlen. Das habe ich über geistiges Eigentum entdeckt, daß dieses total die Kommunikation zwischen den Menschen verhindert. Das ist doch eigentlich eine Gemeinheit, wo der Mensch eine Sprache hat und ein Gehirn, um sich mit den anderen zu verständigen. Über die besten Sachen nimmt er einen Umweg.

Das ist natürlich auch bei Sloterdijk, allerdings nicht von ihm, das beste, so ein Satz: “Nicht im Tun liegt die Sache, sondern im Lassen.”

Heute sind wir aber, auch dank Sloterdijk, und das ist die Anmache dabei, das ist das Positive an diesem Mann, es könnte noch mehr davon geben. Wir sind dabei, die Gehirne der Menschen auszuschalten. Und zwar nicht wir Menschen, irgendeine Gruppe, eine Clique, eine Mafia, niemand, niemand. Wir Pflanzen, könnte ich höchstens sagen, sind dabei, die Gehirne der Menschen langsam auszuschalten. Es ist genug. Es ist genug angeschafft”, sagen die Gehirne. “Nun schwingt mal schön, denn ihr seid reif zum Schwingen”. Schwingen heißt törnen, geistig arbeiten. Es heißt aber auch tanzen, sich freuen. Und dies drückt Sloterdijk am geschicktesten aus. Vom Zynismus zum Kynismus, es heißt, sich freuen.

Im Seinlassen? Nein. Stell dir doch mal die Linke vor? Ich sage allerdings, dazu brauche ich keinen Sloterdijk, diese Leute und auch die Frankfurter Schule, die brauchen den Bhagwan. Den Bhagwan,-der Sloterdijk kommt ja gar nicht in die Nähe des Orgasmus, und beim Orgasmus fängt es heute an. Du kannst den kleinsten Guru nehmen, der lehrt dich schon, fick, was dir in die Quere kommt, wenn die Schwingung stimmt. Gleichzeitig beklaust du den, den dudafickstundtörnstihnan. Das lehrt der kleine Guru und macht die Kleinkriminalität zu einer Null.

Dann der TM’ler (Transzendentale Meditation). Der ist der Wertvollste. Der sagt: “Unterhaltet euch innen, Leute! Bitte Neuss, laß doch deine penetrante Stimme weg, unterhalte dich doch beim Schweigen!” -wie ich es Eingangs beschrieb. Dann brauchen wir doch nicht mehr über geistiges Eigentum zu sprechen. Wie sieht dann der Literaturbetrieb aus? Na, dann ist der Unseld der Krupp. Dabei muß man bedenken, diese Neuphilosophen dabei auch erwähnen, daß viele Leute nur durch Verzweiflung zum Guten kommen. Darum gibt es den Zynismus. Nur durch Verzweiflung kommen sie zum Guten. Würden sie durch Freude zum Guten kommen, das wäre too much! Das wäre zu viel, dann wären unsere Irrenhäuser supergroße Anlagen. Der Mensch ist durch sich selbst geschützt und dadurch, daß er durch sich selbst geschützt ist… natürlich gibt es zuviel Weltuntergangsstimmung im Moment. Da darf man aber nicht die naturgebende Kraft des Kapitalismus vergessen, der lebt einfach von Weltuntergangsstimmung! In Wirklichkeit lodert hinter dieser Weltuntergangsstimmung allenthalben ein klares, friedliches Feuer. Aber ein Feuer. Womit ich sagen will: Die psychedelische Schlacht ist geschlagen, der Geist hat gesiegt. Allerdings mit Drogen und durch Drogen, sonst hätte er nicht gesiegt, sonst wäre er tatsächlich im Material untergegangen. Die Literatur ist noch gefährlicher als die Stahlindustrie, weil Stahl, da kann man noch sagen, den muß man bezahlen. Also dieser Meter Stahl, wie er da liegt, den muß man bezahlen, der sieht zu gut aus,erstmal. Der blinkt, ist angemacht, da haben Hände dran gearbeitet, ist schon verbrannt, den muß man doch bezahlen.

Bei der Literatur, eigentlich einwandfrei, die muß man nicht bezahlen. Aber es ist doch gedruckt worden, da haben Hände dran gearbeitet. Da haben Leute gesetzt, die muß man doch bezahlen. Muß man also auch den Geist bezahlen? Nein, man kann Geist nicht bezahlen, weil Gedanken kann man ja nicht anfassen. Man kann sie erst anfassen, wenn sie gedruckt sind, eher nicht, während du Stahl immer anfassen kannst, von Anfang an. Deshalb ist die Literatur viel gefahrlicher, weil sie etwas verkauft, was man eigentich nicht bezahlen kann. Jetzt kannste sagen, “zu teuer”, oder “Die nehmen zu wenig Geld dafür!” Nein, sie verkaufen etwas, wofür man absolut nichts nehmen kann. Die machen etwas zu einem Artikel, zu einem dollen Ding, und eigentlich ist es doch mein Lebensmaterial, die Phantasie! Ich sitz doch hier auf der Erde und lebe davon. Und was macht ihr daraus? Ja, wir nehmen es uns immer wieder aus den Köpfen heraus, drucken es rein und verkaufen es für einen Fünfer. Fünf Gedichte für fünf Mark, so verscheuern wir es unter die Leute. Eigentlich müßten wir es verschenken? Nein, ist ja genauso wie verkaufen. Na, was denn dann? Man müßte sich alles einfach wieder erzählen!

Dann würde eine Kommunikation auf der Erde stattfinden, wenn die besten Gedanken nicht beim Verlag landen, sondern bei der Frau im Bett.

Wir wissen schon, wo die Falschspieler sitzen. Die sitzen im Literaturbetrieb, nicht so sehr in der Stahlindustrie. Das ist durchschaubar. Dank Jörg Schröder zum Beispiel. Aber der macht zu wenig. Sieh mal, so ein Mann wie Arno Schmidt, der muß doch davon gelebt haben, daß es kein geistiges Eigentum gibt.

Eine taz-kurzmeldung vom 7.12.83:

Schwarzwald eingepackt

Mit Aktionen in Freiburg, Berlin, Hamburg, Bremen und Kiel hatdieUmweltorganisation ‘Robin Wood* gestern gegen Luftverschmutzung und sterbende Wälder protestiert.

Ein Stück Schwarzwald packten gestern bei Freiburg Mitglieder der hier erst kürzlich gegründeten Robin-Wood-Gruppe zusammen mit Freiburger Forststudenten ein: Am Schauinsland, Freiburgs Hausberg, deckten sie um acht Uhr morgens eine etwa 1.000 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Fichtenschonung mit einer 1.500 Quadratmeter großen Plastikplane ab, um die jungen Bäume einen Tag lang symbolisch vor Giftstoffen aus der Luft zu schützen. In themenbezogener Abwandlungeines überlieferten indianischen Spruches war die schwarze Plane in drei Meter großen weißen Buchstaben mit der Mahnung beschriftet: «Wir haben den Wald nur von unseren Kindern geborgt.”

Mit der Aktion “Robin Wood packt den Schwarzwald ein” sollte im Rahmen des bundesweiten Aktionstages anläßlich des Athener EG-Gipfels auf die ungeheuren Belastungen der Wälder gerade in dieser Region hingewiesen werden. So fallen im Schauinslandgebiet nach einer Untersuchung des Forstwissenschaftlers Prof. Günther Reichelt bereits über 60 % der Baumbestände in die Schadstufen “kritisch geschädigt” oder sogar “absterbend oder tot”. Kein Wunder also, daß die Verpackungskünstler von Robin Wood ihr Werk unter den billigenden Blicken des herbeigeeilten zuständigen Forstdirektors vollenden konnten.

Die Vietkong-Guerilla griff ebenfalls vom Wald – den “befreiten Zonen” – aus an. In ihm schafften sie ein Unwahrnehmbar-Werden. Die Amis setzten dagegen Entlaubungsgifte aus der Luft ein, die die Guerilla wieder ins Sichtbare zerren sollten.

die taz berichtete am 16.2. 1983:

Hamburg. Acht Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs fand gestern in Hamburg die Auftaktveranstaltung über die Ökologischen und Medizinischen Folgen des Vietnamkrieges statt. Unter der Leitung von herrn Tran Kinh CM, Kommisaion zur Untersuchung der Kriegsverbrechen, stellten die beiden Fachmediziner Prof. Dr. med. Ton Duc Lang und der Dekan der Universität von Hanoi, Prof. Dr. bio. Vo Quy, die Ergebnisse des Mitte Januar in Vietnam durchgeführten Internationalen Kongresses vor.

Vor 120 Wissenschaftlern aus 21 Ländern, darunter erstmals auch aus den USA, legten die Gastgeber ihre Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von genetischen und ökologischen Katastrophen in Süd-Vietnam dar. Die US-Regierung weigert sich bis heute, die Folgen der Besprühung von Vietnam durch Agent Orange anzuerkennen.

90.000 Tonnen chemische Kampfstoffe versprühten die GIs über den Wäldern von Süd-Vietnam. Einer der Hauptgründe für die Sprühaktion war (so Tom Nußbaumer, ehemaliger GI), neben der Entlaubung auch der Versuch, den Flüchtlingsstrom in die Städte zu verstärken, um eine bessere Überwachung der Bevölkerung zu erreichen. Die Zerstörung von etwa 44% des tropischen Regenwaldes führte amerikanische Wissenschaftler zu dem Begriff des Ökozids.

Der Biologe Vo Quy beschrieb die ökologischen Folgen der Entlaubungsaktion, durch die 4 Mio. ha Wald, davon 2 Millionen ha tropischer Regenwald, zerstört worden seien. Für diesen Wald gebe es auch zehn Jahre später kaum eine Erholungsmöglichkeit, da infolge des Fehlens von Unterholz und Blättern, sowohl die stechende Sonne der Trockenzeit als auch der Regen in der Regenzeit völlig ungehindert bis zum durch die Bomben schon teilweise zerstörten Boden durchdringen könne. Dadurch steige während der Trockenzeit die Brandgefahr, und andererseits werde der ganze Humus fortgeschwemmt. Die großen Tiere -wie Tiger und Elefanten, verließen Vietnam und, was bleibe, seien die Ratten, die zu vermehrten Pestepidemien führten. In den – Millionen Bombenkratern fänden im übrigen die Malariafliegen beste Brutstätten. Die Veranstaltung war der Auftakt zu einer Reihe ähnlicher Veranstaltungen in der BRD und der Schweiz. Zu hoffen wäre, daß durch dieseundandere Informationen der Druck .auf die Bundesregierung und die USA, endlich Hilfe an Vietnam zu leisten, verstärkt wird.

Im Wald versteckte sich auch ein Teil der uruguayischen Stadtguerilla Tupamaro. Es war aber laut Abraham Guillen ein Fehler, ihre “Kampfkolonnen” aus der Stadt abzuziehen und aufs Land – in die Wälder – zu schicken, wo sie sich in “Tacuteras”, einer Art von unterirdischen Kasernen, verbargen”. Dadurch zersplitterten sie nicht nur ihre Kräfte, das Verschanzen in “Tacuteras” war auch ein Fehler, da diese leicht eingekreist und eingenommen werden konnten. Die Guerilla muß unter allen Umständen beweglich bleiben. Der Tupamaro León Dúter erzählte der Journalistin Gaby Weber: “Meine Gruppe ist zuerst in die Gegend von Paysandú gegangen, in den Queguay-Wald, für uruguayische Verhältnisse ist er sehr groß, aber für einen wirklichen Schutz reicht er nicht aus.” Mit ihrer Aufspaltung in Stadt- und Landformationen und deren partieller Vernichtung setzte gleichfalls ein Verschwinden der Tupamaros ein.

Ähnliches passierte Ende der Achtzigerjahre mit der chilenischen Untergrundbewegung MIR: Ein Teil wollte die Organisation auflösen, ein anderer “im Wald einen Guerillaherd – Focus – aufbauen, so wie in El Salvador und Guatemala” – diese Gruppe wurde aus der Organisation ausgeschlossen. Die meist ländlichen Guerillabewegungen hat der Wald ansonsten jedoch eher vor dem Verschwinden geschützt. Von dort – aus dem Unsichtbaren heraus – griffen sie dann auch wieder an. Der Wald war immer ihr zuerst “befreites Gebiet”.

In Polen mußten sich die Aufständischen in ihrer Geschichte mehrmals in die Wälder zurückziehen. In Warschau verschwanden sie nach den letzten Aufständen 1943 und 1944 durch die Kanalisation – und versuchten von dort ebenfalls in den Wald zu gelangen. In Burma, Sri Lanka, auf den Philipinen und in Lateinamerika halten sich noch heute größere Partisanenverbände in Wäldern versteckt. Die mexikanischen Zapatistas haben ihre Basis im “Lakandonischen Regenwald”. Neben den “Lacandonen” leben noch Tzotziles und Tzeltales in der Region. Darüberhinaus ist der Urwald Heimat von vielen Tieren und Pflanzen. In Nicaragua veröffentlichte der Sandinista Omar Cabezas seine Erinnerungen unter dem Titel: “Der Wald ist etwas mehr als eine große grüne Hölle”. Nicht nur provisorisches Rückzugsgebiet sondern auch Ort ihrer Klärung, Zweifel und Einsamkeit. Gleichzeitig bietet er ihnen Nahrung und gibt ihnen die Möglichkeit, die komplizierten Lebensverhältnisse und -stile im Wald zu verstehen.

In einer der letzten “Botschaften” der Zapatistas – aus dem Regenwald von Chiapas – heißt es: “Den ganzen Nachmittag haben wir im Komitee diskutiert. Wir haben das Wort für ‘Sich ergeben’ gesucht. Es gibt keine Übersetzung weder im Tzotzilischen noch im Tzeltalischen, niemand erinnert sich daran, dass dieses Wort auf Tojolabalisch oder Cholisch existiert. Seit mehreren Stunden suchen sie einen äquivalenten Ausdruck. Draußen regnet es und eine Genossin Wolke neigt sich zu uns herab. Der alte Antonio wartet, bis alle verstummt sind und nur noch das vielfache Trommeln des Regens auf das Wellblechdach zu hören ist. Schweigend nähert sich der alte Antonio mit Tuberkulosehusten und sagt mir ins Ohr: ‘Dieses Wort gibt es in der wahrhaften Sprache nicht, deshalb ergeben sich die Unsrigen auch nicht und sterben lieber, denn unsere Toten bestimmen, dass die Worte, die es nicht gibt, nicht gelebt werden.'”

Ein anderer Widerstandskämpfer (aus dem Zweiten Weltkrieg), Shmuel Ron, schreibt in seinen “Erinnerungen”: “Vor allem aber brannten wir darauf, uns den Partisanen in den polnischen Wäldern und in Weissrussland anzuschließen.” Ähnlich äußerten sich 1995 auch die “Waldpartisanen” Jack und Rochelle Sutin, denen Ende 1942 die Flucht aus einem schlesischen Ghetto gelang: “Wir teilten uns in kleine Gruppen auf und machten uns daran, in den Wäldern zu überleben. Wir hofften noch immer, uns russischen Partisanen anschließen zu können, aber wir hatten keine Ahnung, wo sie sich aufhielten…Tief im Wald begannen wir, einen Bunker für den Winter zu graben…Unser Zeitplan sah so aus, dass wir um zwei Uhr nachts zu kochen begannen, dann aßen und tagsüber schliefen.” Im 2.Band der “Kleinen Enzyklopädie Sowjetlitauens” wird erwähnt, dass Marijonas Miceika, Deckname “Gabrys”, im Juli 1943 von Moskau aus mit dem Flugzeug im Wilnaer Distrikt abgesetzt wurde und dass er die Geflüchteten und Untergetauchten im Rudniker Wald sammelte, von wo aus sie unter seiner Führung den Partisanenkampf aufnahmen. Diese Waldgebiete in Nordosteuropa waren zu groß, als dass die Deutschen sie systematisch hätten “säubern” können – im Gegenteil, umfaßten die “befreiten Waldgebiete” bald mehrere tausend Quadratkilometer.

Anders im baumarmen Süditalien: Dort führte 1861 z.B. Carmine Donatelli Crocco “seine Brigantenarmee gegen die Scharen des italienischen Nationalhelden Garibaldi in einen Krieg ohne Chance,” schreibt Thomas Hauschild in seinem Buch “Magie und Macht in Italien”. Der Ethnologe lebte 20 Jahre lang in Ripacandida, wo der Aufstand der Briganten seinen Anfang nahm. Nicht weit davon – im Wald unter dem Gipfel des Vulture und über den Almseen am Heiligtum von Sankt Michael – fanden sie vier Jahre lang Schutz vor den berittenen Truppen, wobei sie von den Bauern und Hirten der Umgebung unterstützt wurden. Schließlich gelang es der Armee jedoch, die “wüsten Waldmenschen”, wie Hauschild sie nennt, einzukreisen und zu vernichten: Etwa 18.000 von ihnen, Männer und Frauen, wurden hingerichtet. “Bei vielen toten und eingekerkerten Briganten hat man ‘Schutzbriefe’ gefunden, von Priestern geschrieben, die Zettel sollten sie unverwundbar machen.” Und es gelangen ihnen auch immer wieder erfolgreiche Aktionen bis hin zur Einnahme ganzer Städte. Das war dann ein magischer Moment – “il momento magico, über den in Italien so viel gesprochen wird, das Aufgehen im erfolgreichen Tun.” An sich ist die (subversive) Magie in Süditalien jedoch eher Sache der Frauen, der Heilerinnen, während die katholischen Priester auf der Seite des Staates stehen. “Seit dem 19. Jahrhundert gehen die Priester nicht mehr zum offenen Angriff gegen die Magier über. Dafür murmeln die Heilerinnen bei der Messe mit.” Man könnte fast von einer friedlichen Koexistenz zwischen Schamanismus und Katholizismus sprechen.

Wo die offizielle Religion mit dem Gegner identisch ist, bleiben die Magierinnen allerdings unversöhnlich – sogar noch über ihren Tod hinaus. Das war z.B. in den zwei großen Aufständen gegen die weißen Kolonisatoren in Zimbabwe der Fall, die 1890 und 1970 von der bereits 500 Jahre zuvor gestorbenen Mbuya Nehanda angeführt wurden, indem sie der Guerilla als “Medium” bzw. “Orakel” diente.

Der englische Soldat Stuart Hood, der im Zweiten Weltkrieg aus einem norditalienischen Gefangenenlager floh und sich dann zusammen mit einem Kriegskameraden den toskanischen Partisanen anschloss, entschied unterwegs zunächst auf “magische Weise”, welches Versteck einigermaßen sicher zu sein schien und welcher Bauer sie wohl nicht verraten würde. Auch die Partisanen, die er dann fand, hatten ihre Lager im Wald. Heute, so meint Stuart Hood, wäre ein solcher Kampf nicht mehr möglich, weil die bäurische Kultur ebenso wie der Wald weitgehend zerstört sei. Hood beschäftigte sich deswegen in den letzten Jahrzehnten vor allem mit der Stadtguerilla.

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