vonHelmut Höge 20.05.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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 „Mein Herz ist rein, mein Popo  ist schmutzig, ist das nicht putzig…“
Die UNO kürte 2008  zum „Jahr der Toiletten“. Dazu erklärte der  UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon passend zum  „Weltwassertag“, der seit 2003 jährlich am 22.März stattfindet: „Knapp 40% der Weltbevölkerung, 2,6 Milliarden Menschen, haben keinen Zugang zu ordentlichen Toiletten. Alljährlich sterben deswegen 15 Millionen – an ansteckenden Krankheiten wie Durchfall.“ Der Leiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), David Heymann, ergänzte: „Die Zahl der Todesopfer könnte durch Verbesserungen bei Wasserversorgung und sanitärer Ausstattung um zwei Millionen gesenkt werden“.

In Deutschland ist eher das Gegenteil zu befürchten: Dass weitere „Verbesserungen“ zu irreversiblen Schäden führen. Hier sind aus den Klos im Zuge der Fitness- und Wellnessbewegung wahre „Wohlfühl-Oasen“ geworden. Mit der Folge, dass immer mehr Menschen sich bei der Ausgestaltung ihrer narzistischen Naßzellen pekuniär verausgabten. Auf der inzwischen sämtliche Hallen füllenden Frankfurter Sanitärmesse, die 215.000 Interessierte 2007 besuchten, wurde z.B. das „Dusch WC“ von Designer Uli Witzig am „Balena“-Stand geradezu umlagert: „eine Kombination aus Klo und Bidet – mit einem ausfahrenden Duscharm für sanfte Reinigung, weiters mit Geruchsvernichtung, Fernbedienung und einem Fön ausgestattet.“ Der Preis – 900 Euro – schien keinen abzuschrecken.

Noch extremer ging und geht es in Ostdeutschland zu, wo sofort nach der Wende Privatkredite in Höhe von mehreren Milliarden DM primär zur Modernisierung von Bädern und Latrinen  ausgegeben wurden und ganze Kommunen sich mit dem Bau von utopisch überdimensionierten Kläranlagen sowie neuer Kanalisation ruinierten. Der Journalist Wolfgang Sabath schreibt in seinem Buch „Das Pissoir“ über das Ostberliner Intelligenzblatt „Sonntag“, wo er Redakteur war, dass zwei seiner Kollegen 1991 plötzlich  anfingen, das Klo zu putzen, als der  Zeit-Herausgeber Bucerius sich zu einem Besuch ansagte. Sie hofften, dass er den „Sonntag“ übernehme, der damals noch dem Kulturbund gehörte. Bucerius ließ sich dort jedoch überhaupt nicht blicken, nachdem ihm der neue Chef des Kulturbunds die Abokartei verkauft hatte. Ich selbst erinnere mich, dass man in dem an die Treuhand gefallenen Batteriewerk in Oberschöneweide das gerade geräumte Büro des Parteisekretärs als erstes zu einem dort so genannten „Investorenscheißhaus“ umbauen ließ. Der Raum wurde eierschalenfarbig gekachelt und mit Topfpalmen dekoriert. Die Spülung der Pißbecken funktionierte fortan automatisch über Lichtsensoren. Dieser Einzug der Hightech in den „stillen Ort“ galt dem Philosophen Jean-Francois Lyotard als Signum der Postmoderne. Er begegnete ihm bereits 1980 auf der Toilette des Fachbereichs Informatik der dänischen Universität Aarhus, wo er ihn als „neue Aussage“ begriff sowie als eine „Gewissheit“ darüber, „daß es keine Ohnmacht gibt, außer durch Depression“.

Die Ostler fielen mit dieser „Aussage“ jedoch bloß in eine neue – postsowjetische – Depression,  und kamen damit quasi vom Regen in die Traufe: „Früher hatten wir Gäste ohne Ende, aber keine Waren, jetzt haben wir jede Menge  Waren, aber keine Gäste mehr,“ so sagte es der Wirt der „Truckerstube“ bei Magdeburg, der  21.000 DM allein in seine Gästetoiletten investierte: „Jeder Klodeckel ist anders!“ In manchen Ost-Baumärkten gibt es bis zu 100 verschiedene Toilettendeckel. Besonders beliebt sind dort durchsichtige Plastikdeckel mit eingegossenem Stacheldraht. In Thüringen verkaufte eine West-Santärfirma vielen Kneipen Klobrillen zum Auflegen auf die Klobrillen. Die Aufleger hingen nach Art von Rettungsringen über den Becken an der Wand. Die Erfindung war ein Flop, aber noch heute sieht man dort in vielen Abtritten diese inzwischen leeren Halterungen an den Wänden.

Vollends verarscht fühlten sich die Ostler, als auch noch überall auf den öffentlichen Plätzen farbig illuminierte  „City-Toiletten“ auftauchten, die „Challenge“, „Campo“, „Avenue“, „Helios“ oder „Streetline“ hießen. Und von der  Privatfirma „Wall AG“ aufgestellt wurden, die dafür bis in alle Ewigkeit alles drumherum mit Reklame zuscheißen darf. Der Klobesitzer Hans Wall bekam das Bundesverdienstkreuz, während gleichzeitig die Klofrauen in den ganzen DDR-„Pachttoiletten“ schnöde „abgewickelt“ wurden. Der „Wall“-Wahn ist inzwischen schon so weit gediehen, dass z.B. die Redakteure der Kreuzberger  Schülerzeitung „Borsign“ in ihrem Artikel über einen Wandertag, der sie nach Tegel führte, diese Klos als einzige Sehenswürdigkeit dort lobten: Wegen Regen hatten sie sich in eine dieser neuen musikbeschallten „City-Toiletten“ verdrückt – und sich darin prächtig amüsiert. Weil Bucerius den „Sonntag“ nicht übernahm, durften wenig später einige seiner Redakteure, die ganz umsonst das Klo für ihn geputzt hatten, ein Zeit-Magazin („Start ins neue Deutschland“) füllen. Sie schrieben darin: „Die Werbung überzieht das Land flächendeckend, wie früher die Stasi!“ Und bekamen dafür, ebenso wie die Zeit-Chefredaktion, sofort  Ärger – vom „Zentralausschuß der Werbewirtschaft“. Dieser hat nebenbeibemerkt seit 2003 auch noch die Klowände in Gaststätten als Werbeflächen entdeckt. Dem Vernehmen nach experimentiert er gerade mit akustischer Werbung, die beim Hochheben des Klodeckels aus dem Becken tönt.

Wie wäre es z.B. mit dem neuesten  Album der Berliner Popband „Die Türen“, es heißt „Popo“ und die Musiker verweisen darauf bereits auf das „Jahr der Toiletten“, wobei sie sich jedoch nicht auf den UNO-Generalsekretär, sondern auf die – ebenfalls in Berlin ansässige – „German Toilet Organization“ (GTO) berufen, die sich für „nachhaltige Abwassersysteme“ einsetzt. Eine ihrer Forderungen lautet: „Das ‚Toiletten-Tabu‘ muß gebrochen werden!“

Aus seinen Analysen der bürgerlichen – von allen Exkrementen säuberlich abgesonderten – Psyche gewann Sigmund Freud einst die Erkenntnis, das ihre Erziehung zur Reinlichkeit, speziell in der frühkindlichen analen Phase, zu einer fatalen Entsprechung von Scheiße und Geld führe – beides halten sie später zwanghaft zurück. Noch in der Studentenbewegung bezeichnete man deswegen nervige Zwangscharaktere, die übergroßen Wert auf Sauberkeit und Ordnung (bis ins Demographische und Biologische hinein) legen, als verschissene „Analkacker“.

Seit der gigantischen nachgeholten Aufrüstung der Naßzellen im Osten ist nun ganz Deutschland quasi analfixiert. Und so weiß man nicht mehr: Ist z.B. die „German Toilet Organization“ ein verkackter Klowitz, eine bloße Webpage-Windbeutelei oder eine ernsthafte „Bürgerinitiative“? Schon früher war Deutschland das Land mit den meisten Anal-Schimpfwörtern. Inzwischen wird in den Autobahn-Toiletten jede etwa zweistündige Reinigung schriftlich an der Tür festgehalten. Und Klosprüche scheinen für viele Deutsche die beliebteste Form der freien Meinungsäußerung zu sein. Wegen eines solchen (führerkritischen) Spruchs – auf die Wand der öffentlichen Toilette am Kreuzberger Mariannenplatz – wurde 1943 der Arbeiter Wilhelm Lehmann  hingerichtet.

Erwähnt seien ferner die mobilen Dixi-Klos: Weit über Deutschland hinaus gibt es kaum noch eine öffentliche Veranstaltung, auf denen diese Chemietoiletten nicht stehen, die von der Ratinger Firma ADCO hergestellt  werden – und das in solchen Mengen, dass sie damit inzwischen laut Wikipedia ein „umgangssprachliches Begriffsmonopol“ etablierten. Weltweit einzigartig ist auch „www.toilette.oglimmer.de“: die  „1.Webseite, die sich ausschließlich mit dreckigen und verschissenen Toiletten beschäftigt“ – und zwar mit Fotos und in Farbe! Typisch deutsch dürfte auch sein, dass die neue Mode, seine Arsch- und Schamhaare abzurasieren, sich hier sofort bis in die untersten Klassen durchsetzte. Und ein Lied wie „Katzenklo“ (von Helge Schneider) zu einem Dauerhit werden konnte.
Dazu  gehört auch der beliebte „Flachspüler“, den die Nazis einst als echtdeutsch favorisierten, und der sich noch immer nicht gegen die „Tiefspüler“, wie ihn alle anderen Völker benutzen, durchsetzen konnte. Der korsische Naßzellenforscher Guillaume Paoli spricht deswegen bei dieser Form der fäkalen Entsorgungs-Zwischenlagerung, bei der man sein „Geschäft“ vor dem Wegspülen noch einmal kritisch bzw. begeistert  begutachten kann,  von einem „deutschen Sonderweg zum Gully“, der nur äußerst langsam – mit der Amerikanisierung – verschwindet. Wie überhaupt das Wort „Zwischenlager“ geradezu kerndeutsch ist. So wie auch das einstige „Torfklo“ für Arme, das sich heute bei den Hardcore-Ökos, insbesondere auf dem Land und in Schrebergärten, als – nunmehr teure und edle – „Komposttoilette“ wieder durchsetzt.

Was den Umweltschutz angeht, ist Deutschland inzwischen führend. Am ökologisch sauberen deutschen Wesen wird dereinst die Welt genesen. Der  ehemalige KZ-Häftling Wieslaw Kielar besc hrieb 1979 Auschwitz unter dem Titel „Anus Mundi“. Diese Metapher vom „Arsch der Welt“ griff später der Partisan und Auschwitzhäftling Primo Levi auf.

1918 war bereits ein Roman über die deutsche  „Arschkriecherei“ erschienen – von Heinrich Mann: „Der Untertan“. Das Buch, von Kurt Tucholsky als „Herbarium des deutschen Mannes“ gelobt, löste auch noch in seiner 1951 von Wolfgang Staudte verfilmten Fassung heftige Kontroversen aus. Erst recht dann Daniel Goldhagens Analyse des nazideutschen Untertanengeistes. Der sich hier und heute auch unter Heteros immer größerer Beliebtheit erfreuende „Arschfick“ könnte eine postmoderne Variante dieses spezifischen autoritären Charakters sein, die sich bis in die Systemzeit meist noch mit Pornos  begnügte, auf denen Frauen „anständig der Hintern versohlt“ wurde, und dann langsam in das massenhafte „Schleifen“ von Rekruten überging – bis ihnen  „das Arschwasser kochte“.

Für „die deutsche Tiefgründigkeit“ machte Nietzsche einst „eine harte und träge Verdauung“ verantwortlich. Jetzt gibt es dagegen für die „deutsche Elite“ in Frankfurt am Main einen Proktologen, der einen sündhaft teuren Einlauf zusammenstellte, den er seinen Patienten vor wichtigen Sitzungen und Entscheidungskonferenzen rektal verpaßt – das Mittel sollte sie entspannen und vitalisieren. Bald war es unter dem lokalen Führungspersonal derart begehrt, dass er seinen Naßzellenbereich vergrößerte und ein spezielles Klistier konstruierte sowie einen Bock, auf den der betreffende sich rüberlegen mußte. Schließlich  stellte er noch einen Bademeister ein. Der Einlauf darf nicht zu oft gemacht werden, aber seine Patienten bestachen den Bademeister schon bald mit immer höheren Summen, um auf den Bock zu gelangen. Entscheidend ist, was hinten reinkommt, um hier ein Bonmot des Restaurationskanzlers Kohl zu paraphrasieren.


Zum Vergleich:

Russland:
Russland ist toilettenmäßig das genaue Gegenteil von Deutschland.  Nachdem schon das verdreckte  sowjetische Primitivklo von Ilja Kabakov auf der 9. Kassler documenta die antikommunistische deutsche Kunstseele umschmeichelt hatte, kommt uns nun der Moskauer Kunsthistoriker Pavel Pepperstejn erneut mit einer Analanalyse, indem er die Künstlerscene in das teilt, was er „Zellendasein“ und „Gemeinschaftsleben“ nennt – und auf christliche „Eremiten/Mönche“ bzw. „Priester“ zurückführt. Im Kommunismus  tauchte diese Dichotomie noch einmal mit den „Massen“ einerseits und „Stalins Lokus“ andererseits auf. In diesen Zusammenhang sieht er auch noch die endlosen Besucherschlangen, die sich nach unten ins Lenin-Mausoleum bewegend – so quasi „durch den Darm der Initiation schieben“. Zur damaligen Öffentlichkeit gehörten ferner die sowjetischen Zeitungen, die hernach (beim Endverbraucher) als Toilettenpapier benutzt wurden. Das erzeugte auf Dauer eine „besondere Art des analen Lesens und der analen Information.“ Darüberhinaus fanden die Zeitungen, in noch kleinere Schnipsel zerrissen, auch als Einstreu in Katzenklos und Meerschweinchenkäfigen Verwendung. Und dies sei  der  „Punkt, wo sich ‚Gemeinschaftlichkeit‘ und ’stille Zurückgezogenheit‘ verbinden. Für den Moskauer Pepperstejn ist „die Welt der Toilette in einer Stadtwohnung die maximale Variante der stillen Zurückgezogenheit“.

Das „Zellendasein“ der heutigen Künstler äußere sich im Gebrauch von Homecomputern, privaten Videorekordern und halluzinogenen Effekten“. Sie sind damit technisch in der Regel besser ausgestattet als die „gemeinschaftlich orientierten“ Künstler, die fortwährend Anschluß an die Medienöffentlichkeit suchen. Während erstere die Medien meiden und  gewissermaßen „ständig auf dem Klo sitzen“. Dabei kommunizieren sie mit der Öffentlichkeit nicht in der „mentalen Horizontalen“, sondern eher in der „mentalen Vertikalen – wobei sie „das Kanalisationssystem in den Häusern der Stadt“ imitieren.

In seinem Peenemünde-Roman „Die Enden der Parabel“ hat Thomas Pynchon diese exkrementale Initiation mit ihrer ganzen schmutzigen Verlaufsform und anschließenden Unsterblichkeit bzw. „Langlebensdauer“ bereits am Beispiel von „Byron, der Glühbirne“ buchstäblich durchgespielt.

P.S. An den sowjetischen Umgang mit Zeitungen erinnert  erinnerte auch schon der 1969 veröffentlichte Roman von Jurek Becker „Jakob der Lügner“, der seine „Radionews“ aus Zeitungsschnipseln zusammenstellte, die er aus der Toilette der deutschen Wachmannschaften des jüdischen Ghettos entwendete.

Frankreich:

 

Die von Managern vor wichtigen Sitzungen aufgesuchte Naßzelle des Frankfurter Proktologen, das ist keine „Klappe“! Die Macht macht sich daran, das Geschlechtliche zu überwinden.

In seinem Film „Weekend“ (1967) hat Jean-Luc Godard dies bereits – allerdings nicht in restaurativem, sondern mit revolutionärem Schwung – auf den Punkt gebracht, an einer Stelle – mit dem Zwischentitel „Anal Ysis“. Alle erotischen Handlungen sind dort auf den Anus bezogen: Paul bewundert Corinnes Arschbacken,  Monique steckt ihren Finger in Corinnes Arschloch, Paul fickt mit Corinnes Hilfe Monique von hinten,  Monique sitzt mit dem Arsch in einer Milchschüssel, und Paul steckt Corinne ein Ei in den Arsch.

Für den französischen Schwulentheoretiker Guy Hocquenghem ist der Anus als sexueller Bereich dem Geschlecht gegenüber indifferent:  Während der Penis und die Vagina der Differenz zuarbeiten, stiftet der Anus Ähnlichkeiten. Das gilt auch für die Macht und ihre Arschkriecher – deswegen ist es Jacke wie Hose, ob es sich dabei um einen  Mann oder eine Frau handelt. Die Naßzelle  aber, in dem der Arsch genüßlich entblößt wird, ist eine „Heterotopie“, mit Michel Foucault zu sprechen, der darunter reale „Gegenorte“ versteht, die immer an ein „System von Öffnungen und Schließungen“ gebunden sind. Demgegenüber stehen all jene „ordentlichen WCs“, die von der WHO in diesem „Jahr der Toiletten“ für die Armen eingefordert werden: es sind „Utopien“ – „stille Orte“, die es noch nicht gibt und wahrscheinlich auch nie geben wird, weil unsere heterotopischen Aborte alles Wasser verbrauchen.

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  • Ein typisch Bremerisches Klo-Verbrechen:

    Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen lehnt es ab, den Fall eines behinderten Schülers anzuklagen, der regelmäßig in ein altes Klo verfrachtet wurde. In der Schule sei es nötig, Kinder „einzusperren“. Ein Bericht von Jan Zier (taz v. 9.2.2007):

    In den nächsten Tagen wird Sven M. neun Jahre alt. Noch immer „kann er keinen Meter alleine gehen“, sagt seine Mutter, Christa M.. „Noch immer ist er voll von Ängsten.“ Für sie gibt es dafür eine klare Erklärung, ebenso für Svens Psychotherapeutin. Schließlich verfrachteten seine Lehrerinnen in der Grundschule Rönnebeck den schwer behinderten Jungen regelmäßig in eine ausrangierte Toilette, weil er den Unterricht störte. Das ist mehr als zwei Jahre her. Nun hat die Generalstaatsanwaltschaft entschieden, es sei „völlig abwegig“, anzunehmen, Sven sei „roh misshandelt“ worden.

    Damit wies Oberstaatsanwalt Mathias Glasbrenner die Beschwerde der Mutter gegen eine ähnliche Entscheidung der Staatsanwaltschaft als „unbegründet“ zurück. Glasbrenner kann im Verhalten der drei beschuldigten Pädagoginnen weder eine Misshandlung Schutzbefohlener erkennen, noch eine Nötigung. Im Gegenteil: In der Schule sei es in jedem Fall nötig, Kinder „einzusperren“, jedenfalls in einen Klassenraum. Von Freiheitsberaubung könne bei Sven M. also keine Rede sein, so Glasbrenner. Schließlich sei er „immer nur für einige Minuten“ in einen anderen Raum verbracht und dort auch beaufsichtigt worden.

    Mehrmals täglich, das räumten die Pädagoginnen ein, brachten sie den damals Sechsjährigen in das als Ruheraum deklarierte ausrangierte Klo. Über sechs Wochen sei das so gegangen, sagt die Mutter – ohne dass die Eltern davon erfahren hätten. Eine Nötigung, entschied die Staatsanwaltschaft – aber keine rechtswidrige. „Sie haben ihn mit Gewalt über den Flur gezerrt“, sagt die Mutter. „Das Kind wurde durch Ziehen am Arm aus dem Klassenraum entfernt“, sagt die Generalstaatswaltschaft.

    Zuvor sollen Bauklötze geflogen sein, auch Scheren. MitschülerInnen wurden geschlagen, ihre Sachen zerstört. Sven gilt als verhaltensauffällig, als aggressiv, leidet unter schweren Sprachstörungen, ist in seiner Entwicklung zurückgeblieben. Seine Klasse war eine Integrationsklasse: vier Förderkinder, eine Sozialpädagogin.

    Eine Psychotherapeutin attestierte Sven M. im vergangenen Jahr eine „erhebliche Panikstörung“, eine „posttraumatische Belastungsstörung“, eine „tiefgehende Verzweiflung“. Und die führt sie eindeutig auf jene Ereignisse in der Schule zurück. Bremens Schulbehörde verweist auf „unglückliche Umstände“, widerspricht aber der Vorstellung, der Schüler sei „eingesperrt“ worden.

    Auch der Oberstaatsanwalt kann nichts „verwerfliches“ feststellen, jedenfalls nicht im juristischen Sinne. Das ist nur, was „sozial unerträglich“, „grob anstößig“ und „sozialethisch in besonders hohen Maße zu missbilligen ist“. Allenfalls eine Körperverletzung käme in Frage, sagt Glasbrenner, doch fehle es dafür an einem Nachweis „einer ganz konkreten Handlung, die völlig aus dem Rahmen des Üblichen fallen würde“. Und der sei schwer zu erbringen, erst recht aus „derart großem zeitlichem Abstand“. Gut zwei Jahre lag die Akte bei der Staatsanwaltschaft.

    Rechtsanwalt Philip Koch findet Glasbrenners Worte „extrem verharmlosend“ und „erschreckend“ in Inhalt wie Wortwahl. Die Mutter ist nach eigenen Angaben „total schockiert“, was „scheinbar als pädagogisch“ angesehen werde. Ihr bleibt, als letzte Instanz das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen anzurufen und eine Entscheidung zu verlangen.

    Sven M. geht mittlerweile auf eine Förderschule. Doch die Hoffnung, dass sich seine Ängste „mit der Zeit verlaufen“, habe sie aufgeben müssen, sagt seine Mutter. Einst ein „fröhlicher Junge“, sei Sven nun ein „psychisches Wrack“. Und das, sagt sie, „ist keine Übertreibung“.

  • Die Koreaner gelten als die Preußen Asiens – und so darf es nicht wunder nehmen, das 2006 neben der WTO dort eine World Toilet Association (WTA) gegründet wurde:

    Die FAZ berichtete:

    Sie wird getragen von einem 67 Jahre alten Abgeordneten der regierenden Uri-Partei, der nichts dagegen hat, „Mr. Toilet“ genannt zu werden. Vor einigen Jahren war er in Südkorea noch besser unter dem Spitznamen „Toiletten-Bürgermeister“ bekannt.

    Die Toilette zieht sich wie ein roter Faden durch Sim Jae-ducks Lebenslauf, und das mag ein Grund sein, warum er sich für dieses Thema engagiert. Sim behauptet, er sei in einer Toilette geboren worden. Vor sieben Jahrzehnten herrschte in Südkorea noch der Aberglaube, daß auf jene, die in einer Toilette zur Welt kämen, ein langes und ertragreiches Leben wartet. Das glaubte auch Sims Mutter. Und siehe da: Aus Sim ist tatsächlich etwas geworden, Politiker, Bürgermeister seiner Heimatstadt Suwon, Mitglied der Nationalversammlung und jetzt „Vorsitzender des Organisationskomitees der Gründungsgeneralversammlung der Welt-Toilettenvereinigung“. Als Südkorea sich anschickte, für die Fußball-Weltmeisterschaft 2002 zu kandidieren, erinnerte sich Sim an die kritische Frage eines Ausländers: Und was macht ihr mit den Toiletten? Tatsächlich hatte der Standard der öffentlichen Bedürfnisanstalten nicht mit dem enormen Tempo der Wirtschaftsentwicklung mitgehalten. Vor allem im Vergleich mit dem Konkurrenten Japan, der schließlich Mitorganisator der WM wurde, schnitten die südkoreanischen Aborte schlecht ab. Japan war und ist der Inbegriff für höchste Hygieneansprüche und High-Tech-Luxus. Und so machte sich Sim an die Aufgabe und gründete 1999 die Koreanische Toiletten-Vereinigung. Als Bürgermeister beglückte er die Millionenstadt Suwon, eine halbe Autostunde südlich von Seoul, mit fünfzig neuen öffentlichen Toiletten. Die Vorzeige-Klos liegen neben der Hwaseong-Festung, der alten Stadtmauer oder dem „World Cup Stadium“: frisch und sauber, mit Blumenbuketts aus Plastik, Bildern, Aromaspendern, Solarenergie und berührungsfreien Sensoren. In Stadtplänen Suwons ist die „Glühwürmchen-Toilette“ schon als Sehenswürdigkeit markiert: Bei längeren Sitzungen hat man aus den Kabinen einen herrlichen Ausblick auf den nahen See, der für seine Glühwürmchen berühmt ist. Dieser Ort wurde 2005 und 2006 als „schönste Toilette“ Koreas ausgezeichnet, davon zeugt eine Bronze-Plakette des „Toilet Culture Quality Certification Committee“. Am Anfang habe er für seine Initiative Spott erfahren. Doch inzwischen seien die Bürger stolz darauf, daß Suwon der Ursprungsort der südkoreanischen Toiletten-Revolution ist.

  • Die ganze Welt – ein „verstopftes Klo“ (taz v. 26.1.2007):

    Die Anatomie der Kultur findet sich in Fäkalien. Theater ist nur noch der Kadaver der Gesellschaft. Und der stinkt. Der österreichische Dramatiker Werner Schwab (1958-1994) hat dies fäkal auf die Bühne gebracht. Die kommunalen Schauspielhäuser dankten es ihm und machte ihn zu Star. „Wirklich verstanden werden meine Stücke nur im Freundeskreis“, sagte er gern in Interviews – und der Pöbel zahle mit seinen Steuern die Subventionen dafür. Doch nicht allzu lange. Schwab starb in einer Silvesternacht jung an Alkoholvergiftung. Im Bochumer Schauspielhaus wurde daraufhin eine seiner angebrochenen Wodka-Flaschen zur Reliquie, bis Matthias Hartmann als Intendant kam, das Haus desinfizierte und sie dabei wohl entsorgte. Schwabs meistgespieltes Stück „Die Präsidentinnen“ hatte jetzt am Oberhausener Theater Premiere.

    Worum geht in einem Fäkal-Drama? „Das Stück handelt davon, dass die Erde eine Scheibe ist, dass die Sonne auf- und untergeht, weil sie sich um die Erde dreht; es handelt davon, dass nichts Funktion sein will, nur, Zerstreuung,“ sagt der Autor und lässt im ort- wie zeitlosen Nirwana der Armut drei Frauen aufeinander los. Erna hat gerade die nächste Ebene des sozialen Aufstiegs hinter sich. Sie besitzt nun eine Pelzkappe aus dem Müll und einen Farbfernseher. Gemeinsam mit der flotten Grete, deren Tochter vom Vater immer im Ehebett sexuell missbraucht wurde, und der tumben Mariedl, Heldin aller verstopften Kloschüsseln, schaut sie sich Papst Benedictus` Popshow in Köln an. Ein urkomisches Kaffeekränzchen mit Alkohol, penetranter Frömmelei und aus Echthaut gedrückter Lebensgier nach Wurst, Männern und Fäkalien beginnt. Ein bestialischer Mord beendet das lustige Treiben. Zwei Präsidentinnen bleiben übrig, sinnestrunken nach einem Fleischer namens Ratzinger (bei Schwab hieß der noch Wottila), und einem immergeilen, feschen Musiker mit Landgut, wo die Hündin Lydi kein Scheißdreck mehr fressen bräuchte.

    Werner Schwabs Scheißdreck-Welt ist immer noch um uns herum und so macht die Inszenierung in Oberhausen viel Sinn. Regisseurin Anke Schubert lässt die bereits verwesenden Menschenskulpturen (Schwab war studierter bildender Künstler) in einem dunklen Keller ohne viel Requisiten hausen. Der phänomenale Text braucht keine Wohnküchen-Hülle. Es reicht bis heute, dass Mariedl mit ihrer Fingerfertigkeit ohne Gummi-Handschuhe bei der Klo-Reinigung prahlt, um bei Teilen des Publikums Ekel zwischen dem endlosen Grinsen zu erzeugen – und erstaunlicherweise immer noch heftige Reaktionen. „Ein Stück, das die Welt nicht braucht“ murmelt jemand beim Hinausgehen. Eigentlich hat er gerade ein Stück gesehen, das die Welt ist und das mit seiner Schwabischen Sprachschöpfung aus merkwürdigen Wortkausalitäten die meisten jungen Stücke, nebst Pseudo-Zeitgenössischkeit, locker hinter sich lässt.

  • Noch ein Klo-Verbrechen:

    An der Uni Freiburg sorgt die überzogene Strenge des Aufsichtspersonals bei einer Medizinklausur für Aufregung: Ein behinderter Student musste während des einstündigen Tests vor rund 120 Kommilitonen in eine Trinkflasche pinkeln, weil er nicht zur Toilette gelassen wurde. Das sei menschenunwürdig, so der Studiendekan.

    (taz vom 28.2.2007)

  • Deutsche Klo-Verbrechen

    Auf dem Klo werden nicht nur junge Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen, weiße Mäuse und Ähnliches entsorgt, sondern immer öfter auch neugeborene Kinder. Die Aufklärung solcher Verbrechen gelingt so gut wie nie. Ein Ausstellungsmacher in Münster hat es 2007 thematisiert – die taz schrieb:

    Das Stück „Der beste Mensch von Hannover“ im Münsteraner Pumpenhaus zeigt den Mörder Fritz Haarmann kunstvoll distanziert. Als rührend-naives Produkt einer sozialdarwinistisch grundierten Gesellschaft

    Die Szenerie ist karg. Im weiß getünchten Keller des Münsteraner Pumpenhauses stehen lediglich ein Tisch mit Lampe und zwei Stühle. Links und rechts zwei Wände, hinter denen die Schauspieler verschwinden können. Pitt Hartmann spielt die Rolle von Fritz Haarmann, dem „Werwolf von Hannover“ schon zum zweiten Mal. Bis zu 24 „Puppenjungs“ (Stricher) soll der Gelegenheitshändler und Polizeispitzel Haarmann zwischen 1918 und 1924 umgebracht haben. Er tötete sie im „Liebesrausch“ durch Biss in die Kehle. Die Leichen zerteilte er mit seinem Kartoffelmesser (kaum mit dem „Hackebeilchen“ aus dem Gassenhauer) und versuchte, Teile im Klo auf dem Hof zu beseitigen. Der Gerichts-Psychiater Ernst Schultze sollte seine Zurechnungsfähigkeit feststellen.

    Die Protokolle dieser Befragung wurden zur Basis von Romuald Karmarkars Film „Der Totmacher“ mit Götz George. Auch Hartmann, das „Urgestein“ der Münsteraner Off-Theater-Szene, hat vor Jahren für die freie Truppe „Freuynde + Gaesdte“ den „Totmacher“ gespielt. Im Zwinger, einem frühneuzeitlichen Knastbau, der auch als Gestapo-Folterstätte diente. Für sein eigenes Label „Hartmann & Konsorten“ werden nun andere Teile dieser Protokolle verwandt. Schon um wegzukommen vom Grusel-Hype à la Hannibal Lector. Der Truppe geht es darum, den „Massenmörder“ auch als – immer wieder fast rührenden – Menschen auf der Suche nach Nähe zu zeigen. Auch als rührend naiv, wobei dies auch „bauernschlau“ gespielt sein könnte. Stolz besteht Haarmann immer wieder darauf, dass „Polieren“ und „Lutschen“ unter Männern erlaubt sei. Stolz ist er auch auf seine zweifelhafte Berühmtheit.

    Diesen „besten Menschen von Hannover“, wie Haarmann sich einmal selbst nennt, setzt Hartmann beeindruckend in Szene. Als jemand, der seine Taten als eine Mischung aus Kaffeetischplauderei und Zeitzeugenschaft erzählt. Andreas Ladwig als Schultze ist dagegen ein Mensch mit christlicher Moral, gewissenhaft, der nur manchmal Nähe aufkommen lässt, aber immer wieder empört die Contenance verliert, obwohl er doch weiß, es zählt nur ein „schuldig“. Haarmann soll geköpft werden.

    Andreas Ladwig hat das Stück auch inszeniert. Als Collage mit sehr kurzen Szenen, mit harten Lichtwechseln montiert. Von den grausigen Details bleibt kaum etwas. Sie tönen nur im Off. Einige Male ertönt eine gurgelnde Klospülung, dann wieder hallendes Tropfen und Stöhnen. Dazu eine kitschig-sentimentale Drehorgel, die Haarmann neugierig ans Fenster lockt, und Teile des Protokolls als pseudo-authentisch verrauschte Audiospuren. (MARCUS TERMEER)

  • Die Amis wollen immer gleich die ganze Welt retten. Ähnlich dämlich wie der Dokufilmer Michael Moore, dem anscheinend der Erfolg zu Kopf gestiegen ist und der deswegen in seinem albernen Buch ein Kapitel seiner Lösung des „Palästina-Konflikts zwischen Juden und Palästinenser“ widmete, ist auch laut taz/afp die US-Sängerin Sheryl Crow:

    „Sie beschäftigt sich gern mit Scheiße. Jedenfalls gibt die amerikanische Sängerin jetzt auf ihrer Internetseite Tipps zum Umgang mit Toilettenpapier. Bei jedem Gang ins Badezimmer solle nur ein Blatt Papier verbraucht werden, das wäre ein Mittel gegen den Klimawandel. Wir wissen ja nicht, wie groß Crows Haufen sind, aber ein Blatt Klopapier, das reicht doch hinten und vorne nicht! „Auch wenn meine Ideen noch im Anfangsstadium sind, sind sie es meiner Ansicht nach wert, weiterverfolgt zu werden“, schreibt Crow. Und Ideen hat die Frau. So arbeitet sie nach eigenen Angaben an der Entwicklung eines speziellen Ärmels, der bei Mahlzeiten als wiederverwendbare Serviette benutzt werden soll. Vermutlich soll dann der rechte Ärmel beim Essen und der linke beim Scheißen eingesetzt werden. Das würde tatsächlich einen Klimawandel bewirken.“

  • Berlin ist nicht nur die Hauptstadt aller verschissenen deutschen Analkacker, hier gibt es auch die weltweit einzige Klokneipe – die FAZ berichtete:

    Wenig vornehm geht es in Berlins Erlebnisgasthaus in Ku’damm-Nähe, dem „Klo“, zu. Die Betreiber Coreen und Norbert Finke gestehen: „Nomen est omen“, und so wird der Gast bereits beim Eintreten in die Kneipe „anuriniert“. Zwar bespritzt die neugierigen Gäste, die herausfinden wollen, was der Toilettendeckel an der Eingangstür wohl hinter sich verbirgt, nur Wasser, dennoch ist das Gekreische groß. Vor Ort ist auch eine Mädchengruppe aus dem Sauerland, die auf Abschlussfahrt in Berlin ist. Die Achtzehnjährigen bekommen Urinenten und Nachttöpfe voll Bier sowie mit Salzgebäck gefüllte Bettpfannen und Nierenschalen. Ruhig sitzt dabei jedoch niemand. Zum einen, da die Decke der Kneipe vollkommen mit Plüsch-, Plastik- und Technik-Gegenständen ausgestattet ist, was skeptisch werden lässt. Vor allem aber, weil sich die Barhocker bewegen. Die Hocker in Tresennähe sind von der Bedienung steuerbar. Christin Neumann weicht von dem wackeligen Sitzplatz an den Tisch direkt am Eingang aus. Doch als sich ein Plüschtier von der Decke abseilt und dann eine Hand ihre elektrisch gesteuerten Finger ausstreckt, ergreift die Schülerin die Flucht zum eigentlichen „Klo“. Vorbei an zu Sitzplätzen umfunktionierten Särgen und Klobecken geht es zur Damentoilette.

  • Nachtrag: Im Text oben ist kurz von der German Toilet Organization die Rede, sie ist verbunden mit der World Toilet Organization, 2006 interviewte die taz-redakteurin Plutonia Plarré ihren Gründer:

    Durchschnittlich drei Jahre seines Lebens verbringt ein Mensch auf der Toilette – trotzdem ist das Thema weltweit tabuisiert. Jack Sim, Gründer der „World Toilet Organization“ (WTO), kämpft für mehr und bessere sanitäre Anlagen – und damit für eine bessere Welt

    taz: Herr Sim, gestatten Sie eine persönliche Frage?

    Jack Sim: Mich schockiert nichts.

    Pinkeln Sie lieber im Stehen oder im Sitzen?

    Ich stehe lieber.

    Haben Sie mit Ihrer Frau deshalb Streit?

    Das ist ein kulturelles Problem der Deutschen. Die Toiletten hier haben das falsche Design. In anderen Teilen der Welt geht der Urin direkt in den Abfluss. Das mindert den Spritzeffekt.

    Wie oft gehen Sie am Tag auf die Toilette?

    Ungefähr sechsmal. Man sagt, dass der Mensch im Durchschnitt drei Jahre seines Lebens auf der Toilette verbringt. Da wir nun schon mal bei den Zahlen sind: Die Hälfte aller Klogänger wäscht sich nicht die Hände, obwohl es auf den Toiletten nur so von Krankheiten wimmelt.

    Für einen Menschen wie Sie, der in der Sauberkeitshochburg Singapur zu Hause ist, ist diese Vorstellung vermutlich ein Graus.

    Singapur hat in sehr kurzer Zeit einen extremen Wandel vollzogen. Früher war das Land ganz arm, heute ist es hoch entwickelt und reich. Ich kann mich noch gut dran erinnern, dass für die meisten Leute der Fischteich die beste Toilette war.

    Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

    Meine Familie war sehr arm. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gab es keine Kanalisation. Die Familien gingen in ihren Hütten auf einen Eimer. Ab und zu kam ein Fuhrwagen und hat die Fäkalien abgefahren. Als ich drei Jahre alt war, sollte ich auch die Gemeinschaftstoilette benutzen. Bis dahin war ich immer auf den Nachttopf gegangen. Den Anblick der Exkremente in dem Eimer werde ich nie vergessen. Alles war voller Fliegen und Maden. Ich habe mich so geekelt, dass ich nicht mehr musste.

    Wie lange haben Sie durchgehalten?

    Bis meine Mutter ein Einsehen hatte und mich wieder auf den Nachttopf gehen ließ. Wir hatten Nachbarn, die waren so arm, dass die Kinder keine Kleider hatten. Wenn die Kleinen nackt durchs Dorf liefen, konnte man sehen, wie sich die Würmer aus ihrem Poloch ringelten. Manche Bandwürmer waren so lang, dass es so aussah, als hätten die Kinder einen Schwanz. Als ich fünf war, sind wir in ein Haus mit einer Wassertoilette gezogen. Was war ich glücklich!

    Jahre später, im November 2001, haben Sie in Singapur die World Toilet Organization (WTO) gegründet. Geht das auf Ihre Kindheitserinnerungen zurück?

    Vielleicht. Ich war ein erfolgreicher Unternehmer von Mitte 40, mit ein bisschen Geld, einem Haus, einer wunderbaren Frau und vier wunderbaren Kindern. Singapurer haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 77,7 Jahren. Ich habe mir gesagt: Wenn du glücklich sterben willst, bleiben dir noch 33 Jahre, um etwas Sinnvolles für die Menschheit zu tun. Und dann habe ich damit begonnen.

    Was fesselt Sie so am Thema Toiletten?

    Nichts ist so nah am Menschen dran und trotzdem so tabu. Ich vergleiche das immer mit dem Sex. Über den durfte man früher ja auch nicht sprechen. Die Erfahrung hat indes gelehrt: Wer über Sex spricht, hat besseren Sex. Um eine weltweite Revolution für bessere Toiletten in Gang zu setzen, gilt es, mit dem Tabu zu brechen.

    Pro Jahr sterben fünf Millionen Kinder an Unterernährung. Gibt es nicht wichtigere Probleme?

    Die Toilette ist der Schlüssel zur Armutsbekämpfung. 2,6 Milliarden Menschen auf unserem Planeten haben keine Toilette. 42 Prozent der Weltbevölkerung verrichtet jeden Tag unter katastrophalen Bedingungen ihre Notdurft. 50 Millionen Menschen, hauptsächlich Kinder, sterben jährlich an Diarrhö, die durch verunreinigtes Trinkwasser und mangelhafte Hygienebedingungen verursacht wird. Wenn man das Sanitärproblem nicht löst, wird man auch das Wasserproblem nicht lösen.

    Von Ihnen stammt der Satz „Toiletten bedeuten Würde“. Was meinen Sie damit?

    Es gibt nur zwei Situationen im Leben, wo ein Mensch wirklich verletzbar ist: wenn er schläft und wenn er seine Notdurft verrichtet. Wer das auf dem offenen Feld, hinter einem Busch oder im Meer tun muss, hat keine Privatheit. Das ist vor allem in machistischen Gesellschaften ein großes Problem.

    Was bedeutet das für die Frauen und Mädchen?

    Wir haben keine Zahlen, aber unsere Erfahrung ist, dass sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind, wenn Frauen keine geschützte Toilette benutzen können. Viele Frauen und Mädchen defäkieren deshalb nur zweimal am Tag: vor Sonnenaufgang und nach Einbruch der Dunkelheit.

    Defäkieren klingt ziemlich merkwürdig.

    Das ist ja das Problem. Es gibt keinen Begriff, ganz normal darüber zu reden. In allen Sprachen ist das so. Scheißen oder kacken ist zu vulgär. Defäkieren, ausscheiden, exkrementieren ist zu abgehoben. In Ermangelung eines Besseren benutzen wir Euphemismen: „Big business“ – „Go to number one“ – „Um die Ecke gehen“ – „Für kleine Mädchen“. Die WTO will deshalb Sprachprofessoren bitten, ein neues Vokabular für eine ganz normale Sprache zu entwerfen.

    Sie haben nun eine Woche lang überall in Deutschland Toiletten untersucht. Was ist Ihr Eindruck?

    Bei den öffentlichen Toiletten ist es in Deutschland nicht anders als im Rest der Welt: Man weiß nie, was einen erwartet. Die Männerklos stinken nach Urin. Es gibt viel zu wenig Frauentoiletten. Bei Veranstaltungen führt das regelmäßig zu langen Schlangen vor den Damentoiletten. Frauen brauchen einfach länger als Männer. Sie haben keine Urinale. Sie müssen mehr ausziehen, und sie menstruieren. Außerdem unterhalten sie sich gern auf der Toilette.

    Männer tun das nicht?

    Männer schweigen, wenn sie ihr Geschäft verrichten. Erst wenn sie das Klo verlassen, wird die Unterhaltung fortgesetzt.

    Wenn Sie den Deutschen einen Rat geben könnten, wie würde der lauten?

    Größere Damentoiletten entwerfen und die Bauvorschriften ändern, damit das Vorhaben auch zur gesellschaftlichen Verpflichtung wird. Gute Klos sind im Übrigen auch ein Standortfaktor. In Einkaufszentren mit guten WCs halten sich die Kunden wesentlich länger auf. Immerhin sind 95 Prozent aller Einkäufe Spontankäufe.

    Was für Toilettenkulturen kennen Sie noch?

    Globalisation, Migration und Tourismus lassen die Grenzen zunehmend verschwimmen. Der Hauptunterschied ist wohl der: sitzen oder hocken. Wischen oder waschen. Auch der Grad der Privatheit ist abhängig von der Kultur. In manchen islamischen Ländern müssen die Frauen- und Männertoiletten in verschiedenen Gebäuden sein. Es gibt ländliche Kulturen, wo die Exkremente gelagert und später als Dünger in den Ackerboden eingearbeitet werden.

    Was halten Sie von der Sitte, auf dem Klo zu lesen und zu rauchen?

    Im Sinne einer guten Verdauung sollte es keine Tabus geben. In den USA hat mal eine große Tageszeitung gestreikt. Ein erheblicher Teil der Leserschaft war am nächsten Morgen ziemlich aufgeschmissen, weil die Zeitung nicht kam.

    Ein Buch hätte es in dem Fall wohl auch getan.

    Das ist ein großer Irrtum. Viele Menschen reagieren beim Defäkieren auf feinste Schwankungen. Nehmen wir die Unisex-Toiletten in Bürohäusern. Von Frauen weiß ich, dass sie sofort Verstopfung bekommen, wenn ein männlicher Kollegen die Nachbarkabine betritt. Sie versuchen jedes Geräusch zu vermeiden, weil ihnen das furchtbar peinlich ist.

    Die ganz persönliche Traumtoilette von Jack Sim- wie würde die aussehen?

    Hell, sauber und freundlich. Sie sollte eine gute Ventilation und Beleuchtung und Seife und Wasser und Handtuch an der richtigen Stelle haben. Ich verstehe unter einem guten Klo einen Ort der Entspannung, an dem man allein ist, tief durchatmen kann und den ganzen Stress draußen lässt. Kurzum: ein Ort, an dem man mit sich und seinem Körper im wahrsten Sinne des Wortes ins Reine kommt.

  • Katjas Kommentar oben mag richtig sein, aber dass in Deutschland kaum noch jemand Flachspüler hat, möchte ich bezweifeln. Eher verwirrt hat mich dagegen ihr Link für den Artikel der Uni Gießen. Er beginnt nämlich mit dem Satz:

    Tiefspüler können Krebserkennung verzögern

    Ich denke, gerade Flachspüler? Wie auch immer, der Artikel fährt dann fort:

    Prof. Heckers vor Medizin-Senioren: Deutsche sind »Weltmeister in Sachen Darmkrebs« – Sanitärbranche kritisiert

    Gießen (if). Zwischen Ärzten und Sanitärbranche ist das Klima getrübt: Seit in Bädern und Toiletten modische Tiefspüler das Bild beherrschen und Flachspüler als altmodisch verdrängt haben, hegen viele Mediziner den Verdacht, dass Darmkrebs erst mit Verzögerung und oft zu spät erkannt wird. »Eine schlechte Entwicklung« kommentierte Prof. Herbert Heckers aus dem Zentrum für Innere Medizin dieser Tage vor Gießens Medizin-Senioren die Situation auf dem Sanitärsektor. Umso eindringlicher schärfte er seinen Hörern ein: »Schon ein bisschen Blut im Stuhl ist ein zwingender Grund, den Doktor aufzusuchen und sich den gesamten Dickdarm ansehen zu lassen – andernfalls verschenken Sie Lebenschancen.«

    Die Deutschen, so begründete der bekannte Magen-Darm-Spezialist seine Warnung, sind heute so etwas wie »Weltmeister in Sachen Darmkrebs«: Nicht nur führend, was die Zahl der Neuerkrankungen – über 57 000 in jedem Jahr – sondern auch was deren weiteren Verlauf angeht: Jeder zweite Betroffene stirbt an den Folgen. Heckers: »Weil die Diagnose zu spät gestellt wird.« Dabei gebe es nicht einen einzigen Tumor, der über Vorbeugung und Früherkennung so zuverlässig verhindert werden könne.

    Die Vorbeugung gegen den »Tod im Darm« beginnt bereits beim Lebensstil: Fünfmal am Tag grünes, rotes, gelbes Obst oder Gemüse, wenig rotes Fleisch, wenig Fett und die Vermeidung von Übergewicht lautet das Rezept. In der sogenannten Sekundärprävention spielt die Suche nach Tumoren im heilbaren Stadium die Haupt-rolle: Dabei ist die jährliche Vorsorgeuntersuchung beim Hausarzt – nur 14 Prozent aller Männer nehmen sie wahr – wichtig. Allein durch manuelle Inspektion des Enddarms lassen sich Entartungen erkennen. Dickdarmspiegelungen – sogenannte Koloskopien – mit der Möglichkeit der gleichzeitigen Abtragung von Darmpolypen werden seit vorigem Herbst ab dem 55. Lebensjahr – mit zehnjähriger Wiederholungsmöglichkeit – von den Kassen übernommen. Operation, Chemo- und Strahlentherapie stehen erst an dritter Stelle.

    Der Test auf okkultes Blut im Stuhl, der im Rahmen der Krebsvorsorge einmal jährlich übernommen wird, bedeutet auch bei negativem Befund nicht unbedingt Entwarnung: Es gibt bösartige Prozesse im Darm, die nicht bluten oder die sich nur über einen abrupten Wechsel von Verstopfung und Durchfall, in den harte Bestandteile eingelagert sind, bemerkbar machen.

    Mit großen Hoffnungen verbinden die Magen-Darm-Spezialisten die derzeit im Gang befindliche Einführung neuer Geräte für die Darmspiegelung. Sie erlauben eine bis zu 150fache Vergrößerung und geben damit Hinweise auf Veränderungen der Darmschleimhaut in einem Stadium, in dem solche Veränderungen bisher optisch nicht erkennbar waren. Skeptisch betrachtet Heckers allerdings die immer wieder diskutierte sogenannte »virtuelle Koloskopie« als bildgebendes Verfahren. An die von Prof. Oehmke routiniert moderierte, mit viel Beifall für Moderator und Referent bedachte Vorlesung schloss sich ein lebhaftes Frage-Antwort-Spiel an.

  • Anmerkung von Dr. Katja de Braganca (Ohrenkuss-Redaktion, Bonn):

    Ein kleiner aber nicht unwesentlicher Kommentar zu dem Toiletten-Artikel, den ich übrigens sehr spannend fand: Jährlich erkranken viele Tausend Menschen in Deutschland an Darmkrebs, zahlreiche sterben – u.a. auch deshalb, weil die Diagnose nicht frühzeitig erkannt bzw. erstellt wird. Das liegt eben daran, dass kaum noch jemand ein Klo hat, in dem man die Kacke noch betrachten kann/muss, bevor man abzieht. Prof. Seitz von der Uni Bonn (Inst. Für Med. Parasitologie) meinte damals in seiner legendären Vorlesung zur menschlichen Kacke, dass jährlich in der Bundesrepublik 5000 Menschen aus diesem Grunde sterben – überflüssigerweise.

    Hier ein Link zum Thema: http://www.med.uni-giessen.de/intranet/artikel/2003/gaz/gaz030526b.html

  • Sehr geehrter Herr Höge,

    ich habe schon lange keinen amüsanteren Artikel mehr gelesen. Nicht, weil Ihre Art zu schreiben so hervorragend ist, sondern weil Sie dem Anschein nach in einer anderen Welt leben.

    Das Konzept von Herrn Wall ist genial und leider gibt es nur wenige Nachahmer. Sie werden flächendeckend mit Toiletten versorgt, die im Gegensatz zu den kalten, nassen Stinkstuben aus DDR Zeiten heute einen sauberen Charakter haben. Ja … aber wo ist hier der Fehler? Natürlich ist alles automatisiert, weil Sie sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr sicher sein können, das der vor Ihnen spülende Gast saubere Hände hatte. Ich „liebe“ den Luxus, keine fremde Klospülung anfassen zu müssen bzw. vor eine Toilette zu treten, in der nicht der abgestandene Urin meines Vorgängers steht. Und natürlich wird Herr Wall nicht den Service umsonst anbieten. Es ist nur verständlich, dass eine entsprechende Gegenleistung erfolgen muß. Und ganz sicher helfen ihm die 50 Cent nicht dabei, eine „100.000 Euro Latrine“ aufzubauen. Also geht er den cleveren Weg und lässt Partner dafür bezahlen, die mit großer Sicherheit nie im Leben eine solche Toilette besuchen werden.

    Das Konzept ist genial und wer in seinem Leben nur ein Mal in der unangenehmen Situation war, seine Notdurft umgehend verrichten zu müssen, der kann meine Gedanken sicher nachvollziehen.

    R. Dienst

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