vonChristian Ihle 31.08.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„The Notwist sind das Werder Bremen der Indiemusik. Die Band aus Weilheim gilt als zurückhaltend und verschroben. Ihr Verhältnis zum Klang ist weniger funktional denn spielerisch, sie sind sozusagen die Antithese der Ergebnismusik.

(…)

Pop mit Orchester? Die Idee ist nicht neu, die Ausführung meist unterirdisch. Grönemeyer, Metallica und die Scorpions etwa zerrten Pauken und Bratschen auf die Bühne und versenkten ihre Stücke im Sumpf der Rubati. Die Orchester waren nie Mitspielende, sie waren Begleitende. Portishead gelang die Synthese von Band und Orchester auf ihrem Album Roseland NYC Live, man hörte die Gleichberechtigung der einzelnen Teile. Und The Notwist? Sollte es ihnen etwa gelingen, die schwierige Verbindung mit 20 klassischen Instrumenten einzugehen? Gar etwas ganz Neues zu versuchen?

Es gelingt nicht. Und weniger: The Notwist und das Orchester klingen überhaupt nicht zusammen. Zwei Bands teilen sich eine Bühne und spielen abwechselnd. Die wenigen Momente des Zusammenspiels sind kaum der Rede wert – und ohnehin bekannt von The Notwists letztem Album The Devil, You + Me. Zehn Minuten lang ist das Orchester dran, es folgen zwei Poplieder, dann wieder das Orchester, und so weiter. Die einzelnen Programmteile stehen eher im Widerklang als unter Spannung. Ertönen dann beide Gruppen doch mal zusammen, geht vieles im Brei unter: Den Marimbaspieler sieht man wild klöppeln, hören kann man ihn nicht. Und wie grotesk: Vom Band kommt eine Saxofonstimme, während der Saxofonist auf der Bühne Löcher in sein Pult starrt.

Die Orchester-Soli bereiten große Langeweile. Dieses Tschingderassabumm ist wahrlich zum Haareraufen. Wo wollen die Musiker hin? In den Jazzkeller oder in die Cafébar? Sind wir im Disney-Film oder auf dem Schützenfest? In seinen besten Momenten klingt das Andromeda Mega Express Orchestra wie Yellow Submarine mit Breakbeats.

Man muss die Stücke im Konzert spielen wie auf dem Album. Aber man sollte sie am Leben lassen. Beinahe jedes Stück fahren The Notwist nach demselben Muster gegen die Wand: Sanft beginnen, Rhythmus anziehen, Gitarren dreschen, Ende im Geräusch. This Room bebt auf Platte im Widerklang von Treiben und Zerbrechlichkeit. Heute drehen The Notwist auf und bieten es als entsetzlichen Dubrock dar. Das erinnert an den platten Crossover von H-Blockx und Linkin Park. Auch die Dramatik von Pilot ist enervierend: Die Strophe klingt nach Minimal-Techno, den Refrain kündigen grelle Scheinwerfer an, es folgen dumpfe Gitarrenbretter. Willkommen in der Rockschau, das bekämen Bon Jovi nicht abgeschmackter hin. Es ist, als habe irgendein Witzbold die Bilder Mark Rothkos mit Linien und Punkten versehen

(…)

Konnte ihr letztes Album den übersteigerten Erwartungen der Anhänger kaum gerecht werden, scheitern sie nun an ihrem eigenen Anspruch. Letztlich haben auch sie keine originellere Idee zur Allianz von Pop und Orchester als Metallica oder die Scorpions. Das ist nicht mal ein Unentschieden, sondern eine klare Niederlage.“

(Jan Kühnemund, Die ZEIT)

Ein Dank an Björn!

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https://blogs.taz.de/popblog/2008/08/31/schmaehkritik_104_the_notwist/

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