vonChristian Ihle 15.08.2012

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Wir haben uns mit Bernd Kroschewski, dem Chef der Hamburger Indie-Institution Fidel Bastro unterhalten. Sein Label feiert in diesem Jahr 20. Geburtstag und hat in diesen zwei Jahrzehnten Platten von Superpunk, Boy Division, Sport und vielen anderen veröffentlicht.


Bernd, Du spielst in den Hamburger Noisebands Potato Fritz und Boy Division – bist aber vor allem auch der Gründer des Indielabels Fidel Bastro, das in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag feiert.
Wie bist du ursprünglich auf die Idee gekommen, ein Label zu gründen?



Bernd Kroschewski: Das war eine spontane Schnapsidee, und eigentlich war gar nicht wirklich geplant, über die erste Platte hinaus ein Label zu betreiben… hat sich dann irgendwie so ergeben…


Was war denn die erste Fidel-Bastro-Platte? Weißt Du noch, wieviele ihr davon verkauft habt?


Bernd: Die allererste Gastr del Sol, die in Zusammenarbeit mit Teenbeat erschienen ist. Verkauft haben wir alles, was wir hatten – und das relativ schnell: 300 Vinyl und 500 CDs.


Wie hat sich die Labelarbeit im Laufe der Jahre verändert?


Bernd: Unser Hauptproblem ist vermutlich der Quasi-Wegfall der einst fast üppigen Fanzine-Landschaft hier, die auch in keinster Weise durch irgendwelche Onlinemagazine, Blogs etc. ersetzt werden konnte. Es fehlen vor allem günstige Anzeigepreise und Schreiber, die sogar Interesse an dem haben, was sie da machen… Die Zahl der Musterplatten, die wir zu großen Magazinen geschickt haben, ohne, dass auch nur eine Zeile darüber geschrieben wurde, ist beachtlich.


Welche Fanzines waren Dir denn persönlich immer besonders wichtig?


Bernd: Tolle Fanzines gab es früher sehr viele… und viele ja auch nur kurz… Wie Keith Richards nicht tot zu kriegen ist aber das Trust. Früher waren vor allem zap aardvark und das Bremer gags’n’gore Fixpunkte.


Gibt es Blogs / Onlinemagazine, die du derzeit schätzt?


Bernd: Bei Blogs und Onlinemagazinen kenne ich mich ehrlich gesagt gar nicht so gut aus… und wenn es Spitzensachen gibt, ziehe ich – warum auch immer – mittelmäßige Punk-A5-Fanzines in gedruckter Form zum Lesen vor…


Überall hört man Wehklagen über den Zustand der Musikindustrie. Habt ihr bei Fidel Bastro die gleichen Probleme?


Bernd: Ja und nein. Zum einen haben wir immer wenig Platten verkauft, zum anderen ist es sogar zum Teil noch viel weniger geworden. Das ist ärgerlich, denn so sind sind wir zum Teil recht weit davon entfernt, bei Vinyl die Herstellungskosten wieder rein zu bekommen. Die Preisentwicklung bei Vinyl-Fertigung über all die Jahre macht es nicht leichter…


….wie viel Prozent einer Auflage müsstet ihr denn im Schnitt verkaufen, um wenigstens die Herstellungskosten wieder reinzubekommen?


Bernd: Das ist was für Rechenexperten… machen wir es kurz: bei den letzten 7″s hätten wir ca. 120 % der Auflage – zum vollen Preis, nicht später verramschen! – verkaufen müssen, um wirklich allein nur die Herstellungskosten rein zu bekommen. Wenn von einer Single die Auflage an sich höher ist, sinkt natürlich der Stückpreis in der Fertigung, dann würde es schon zur Kostendeckung reichen, wenn wir die Hälfte der Auflage verkaufen.


Warum ist es für dich trotzdem wichtig, in Zeiten von mp3 und Spotify noch Platten auf dem guten alten Vinyl herauszubringen?


Bernd: Das ist doch einfach Geschmackssache… mir gehen auch viele Vinyl-Nostalgiker auf den Geist…
Ich kann aber Menschen nicht verstehen, die Musik aus einem Telefon hören und die Tonqualität so schlecht ist, dass man an alte Misfits-Kassetten-Bootlegs erinnert wird! Darüber hinaus sollte man einfach nicht vergessen, dass es eben auch auf Vinyl ganz erheblich mehr Scheißplatten gibt als Gute.
Kurz gesagt: ein mittelmäßiger Song wird auch auf blauem Vinyl nicht besser.


Wie siehst Du die Situation des Musikbusiness hinsichtlich der Live-Konzerte?


Bernd: Wenn zur Musikindustrie auch die Konzert-Situation gehört, nervt ganz unglaublich doll der schreckliche Open-Air-Overkill und der Event-Charakter… kürzlich war ich bei einem Konzert, so wie es sein muss: da wurde kein einziges Handyfoto geschossen, das Publikum war wirklich an Band und Musik interessiert. Und das richtige Drumherum, ein verrauchter Kellerclub mit günstigem Eintritt, rundete den Spitzenabend neben der Musik 1A ab.
Natürlich könnte ich Dir jetzt seitenweise unschöne Veränderungen in den letzten 20 Jahren auflisten, aber das macht es ja auch nicht besser…


Was sind deine fünf Lieblingsplatten aus dem Fidel-Bastro-Backcatalog?


Bernd: Lieblingsbands… das ist nicht zu beantworten. Alle Platten, die wir gemacht haben, gefallen uns – sonst hätte wir sie nicht gemacht. Mal bockt eben United Sons Of Toil mehr als Gastr del Sol, mal ist es auch andersrum…


Zum zehnjährigen Jubiläum gab es einen Labelsampler mit Superpunk, Kommando Sonne-nmlich oder Sport. Wird diesmal auch ein Sampler veröffentlicht?


Bernd: Ein Sampler ist in Arbeit… eine Split 7″ mit vier Bands ist bereits im Presswerk und später wird es eine Cheapo-CD oder eine Doppel-CD mit DVD geben. Beim „Line-Up“ überlegen wir noch, wollen aber schwerpunktmäßig weniger alte Sachen, sondern lieber einen aktuelleren Querschnitt präsentieren.


Welche vier Bands werden auf der Split-7“-Inch vertreten sein?


Bernd: Alan Metzger mit ihrem ersten neuen Song nach 16 Jahren! Sowie Kiesgroup aus Düsseldorf und die beiden Hamburger Bands Sport & Potato Fritz. Die Hamburger mit Coverversionen.


Gibt es zum zwanzigsten Geburtstag eine ordentliche Feier? Was ist geplant?


Bernd: Die Feierlichkeiten erstrecken sich quasi vom 31.08 bis zum 11.11., alles in Hamburg. Dabei bespielen wir sonntags regelmäßig mit ein oder zwei Bands die Molotow-Bar – und zwar ohne Eintritt! Im November läuft dann ein Fidel-Bastro-Film, eine Art Doku über unser Label, beim Radar-Film-Festival. Und im November ist am 9 + 10. noch eine große Gala geplant, mit der einen oder anderen Live-Überraschung. Da zerbrechen wir uns gerade den Kopf, wie wir es mit dem Eintritt machen sollen… solche wirtschaftlichen Fragen nerven mehr als die gesamte Organisation…


Wenn Du Dir eine Band auf der Welt für deine Fidel Bastro Gala wünschen könntest, welche wäre das?


Bernd: Rein musikalisch oder zum Rumhängen? Musikalisch Big Black und Rapeman, die Cows, Hammerhead (die amerikanischen), Scratch Acid, die Gordons (die neuseeländischen) meinetwegen auch The Smiths, dann kommen ein paar Leute mehr… die zum Rumhängen sind ja überwiegend da…



Das Fidel Bastro Jubiläumsprogramm:


31.08. POTATO FRITZ / Komet (Single-Releaseparty)
06.09. Vernissage TOM GRUNDMANN / Feinkunst Krüger
08.09. Boy Division Musik-Quiz / Kampnagel
21.09. Fidel Bastro-Wochen Eröffnungs-DJ-Abend / Komet (u.a. DJ Urinpisse)
23.09. BOY DIVISION / Meaniebnar
30.09. HIGH QUALITY GIRLS / Meaniebar
05.10. JOE4 & NERVEN, Komet (+ The GARY (USA))
07.10. NERVEN & OFEN8 / Meaniebar
14.10. ANSGAR WILKEN (ex-Ilse Lau) / Meaniebar
21.10. The LESSAPPEAL / Meaniebar
28.10. KIESGROUP & BACKROOM MUSIC CLUB / Meaniebar
02.11. Fidel Bastro “THE MOVIE” Film Premiere / 3001 Kino
04.11. VON WEGEN (ex-Diametrics/Ilse Lau/Die Auch) & PREPOSTEROUS / Meaniebar
11.11. GENETIKS / Meaniebar

(Meaniebar = Molotowbar = immer ohne Eintritt = wirklich günstig!)

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https://blogs.taz.de/popblog/2012/08/15/happy-birthday-fidel-bastro-eine-schnapsidee-wird-20/

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kommentare

  • […] Gemeinsam mit Helen Henfling und Yelka Wehmeier ist Wagner nun GEWALT. Die Großmeister der RocknRoll-Dekonstruktion gehen ihren eigenen Weg, verweigern sich den üblichen Verwertungszyklen und veröffentlichen nun ihre vierte 7-Inch-Single – die erste auf dem Hamburger Noise-Rock-Label Fidel Bastro. Heute abend spielen GEWALT auch in Hamburg anlässlich des 25. Label-Geburtstages von Fidel Bastro (ein Interview zu „20 Jahre Fidel Bastro“ gibt es übrigens hier zu lesen). […]

  • “da wurde kein einziges Handyfoto geschossen, das Publikum war wirklich an Band und Musik interessiert. Und das richtige Drumherum, ein verrauchter Kellerclub mit günstigem Eintritt, rundete den Spitzenabend neben der Musik 1A ab.” Na bist Du ja mit Deiner Boy Division im Schokoladen gold richtig!!! Ansonsten ein schönes Interview. Aber die digitale Welt ist keine schlecht, man muss sie nur zu nutzen wissen. Nostalgie ist was schönes (war früher wirklich alles besser?), aber das hier und jetzt sieht leider anders aus ;). Schönen Gruß Ralf

  • Also, ich fand ja immer die Happy Grindcore-Singles ein Highlight des Fidel-Bastro-Kataloges. Sieht man die auch bei den Jubiläums-Feierlichkeiten?
    Gruß aus Heidelberg (bei Leimen)

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