1. Der Film in einem Satz:
Ein Meta-Bond für die Edward Snowden Jahre.
2. Darum geht‘s:
James Bond erhält eine Videobotschaft seiner in der letzten Folge der Bond-Reihe verstorbenen Chefin „M“: töte einen Auftragsmörder und finde heraus, zu wessen Organisation er gehört. Als Bond sich tiefer in diesen Geheimbund einschleicht, bemerkt er, dass all seine jüngeren Begegnungen – also seit „Casino Royale“ – von dieser Organisation namens „Spectre“ gesteuert waren. Anders gesagt: Daniel Craig hat James Bond durchgespielt und wir sehen den Endgegner.
Parallel dazu wird in einem zweiten Handlungsstrang die Erneuerung des in „Skyfall“ angegriffenen britischen Geheimdienstes MI6 gezeichnet. Und diese Erneuerung bezieht sich nicht nur auf einen Umzug in neue Gebäude, sondern geht mit einem mentalen Umsturz zu einem Geheimdienst 2.0 einher: der Geheimdienst der Zukunft ist nicht mehr auf Einzelkämpfer mit Lizenz zum Töten angewiesen, sondern ist ein vieläugiger Moloch, der alles sieht, alles hört und alles weiß und zur Bekämpfung von Gefahren Drohnen statt Doppelnull-Agenten einsetzen will.
Aus diesen zwei Handlungssträngen speist sich der ganze Bond-Film und liegt vor allem der Kern für jede inszenatorische Entscheidung, die Regisseur Mendes (früher u.a. „American Beauty“, aber auch bereits bei „Skyfall“ auf dem Bond’schen Regiestuhl) trifft. Denn „Spectre“ ist im Gegensatz zu jedem anderen Bond der Daniel-Craig-Zeit ein klassischer 007-Film, ja im Grunde ein einziger Meta-Bond. Stilistisch orientiert sich „Spectre“ an den Sean Connery – Jahren, die Ausstattung, die Anzüge und die Set Pieces sind klar den 60ern, frühen 70ern verhaftet. Selbst die James Bond – Figur, die Daniel Craig mit „Casino Royale“ und den Folgefilmen als depressive, verbitterte Kampfmaschine angelegt hatte, weicht einer spielerischen Idee von 007, die nicht nur an Connery, sondern manchmal sogar an den augenzwinkernden Roger-Moore-Bond erinnert.
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Der „Spectre“-007 ist ein Bond vom alten Schlag, ein Bond aus einem untergehenden Zeitalter, als die Geheimdienstarbeit noch goldenes Handwerk war und keine anonyme Überwachungsmaschine. In „Spectre“ kämpft die alte Welt des James Bond, wie wir ihn kannten, gegen die neue Geheimdienstwelt der Snowden-Enthüllungen. Der Kampf Mann gegen Mann und die Lizenz zum Töten im Geheimdienst alter Schule wird als begrüßenswerte Alternative der Anonymisierung von Entscheidungen auf Basis allwissender Alghorithmen gegenübergestellt.
Dass (kleiner Spoiler) am Ende genau jener „ehrliche Zweikampf“ zwar im Mittelpunkt des Films steht und Bond über seine Physis agiert, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Weltenrettung diesmal eben nicht von Bond ausgeht, sondern vom Nerd mit Brille am PC nebendran – im ersten Moment wirkt die Krach-Bumm-Peng-Inszenierung des Endkampfs dann zwar als unnötige Liebesmüh‘, weil der Fight mit wirklicher Bedeutung ja an einer Tastatur durchgeführt wird, kann aber eben auch als weiterer Kommentar gesehen werden, wie früher diese Probleme gelöst worden wären – aber nicht ohne dem aufmerksamen Zuschauer eben doch auf einer zweiten Ebene zu zeigen, dass der eigentliche Kampf im Jahr 2015 ff. woanders geführt werden muss und kein James Bond, sondern nur ein Nerd die Zukunft retten kann.
Im Grunde sehnt sich „Spectre“ nach einer Welt des Unterkomplexen, zurück in die Zeit der einfachen Entscheidungen – und nur so ist auch die Sam Mendes‘ Inszenierung von „Spectre“ als Meta-Bond zu verstehen. Nur deshalb ergibt es einen Sinn, dass wir auf einmal stilistisch wieder im Retrofuturismus der 60er ankommen, bei monströsen Riesenanlagen im Nirgendwo, die ein Bond dann in letzter Sekunde mit einem gezielten Schuss doch noch ausschalten kann. Manches mag auf dem schmalen Grat von Referenz zu Beinaheparodie wandeln, ist aber eben in dem Sehnen nach der alten Welt begründet und findet in der Inszenierung der Bilder im Blick zurück ihre logische Entsprechung.
Da sich „Spectre“ in seinem Handlungsbogen weniger als Einzelfilm begreift, sondern sich ganz gezielt als eine Art Abschluss einer beinahe neunstündigen Erzählung positioniert, ist es beinahe kurios, dass dieser Bond nun doch wieder inszenatorisch und stilistisch bei einem Sean-Connery/Roger-Moore-Hybriden angekommen ist – war doch die Daniel-Craig-Ära mit der Attitude eines trotzigen Ikonoklasten eingeleitet worden.
Von diesen Überlegungen zum Wesen von Bond und MI6 im Jahr 2015 abgesehen: funktioniert „Spectre“ denn als Film und Unterhaltung? Ja, so gut wie lange keine James-Bond-Folge mehr, wenn auch erst nach einer eher zähen ersten Hälfte. Dass „Spectre“ aber überzeugt, liegt in erster Linie an seinen Partnern & Gegnern. Léa Seydoux ist im Gegensatz zum 60ies-Style des restlichen Films ein Statement für die Gegenwart: wie Eva Greens tolle Vesper Lund in „Casino Royale“ bekommt auch Seydoux‘ Bond-Girl Raum zur Entfaltung einer eigenen Persönlichkeit.
Das eigentliche Herz des Films ist aber tatsächlich Christoph Waltz als großer Gegenspieler. Auch wenn Waltz hier nahe an der Selbstparodie auf seinen Waltz spielt Waltz wie er einen Bösewicht spielt – Shtick setzt, ist es gerade im Kontext dieses auf so vielen Ebenen auf seine eigene Vergangenheit verweisenden Films schlüssig, Bonds Endgegner so anzulegen. In erstaunlich kurzer Leinwandzeit erschafft Waltz einen der denkwürdigsten Gegenspieler in viereinhalb Jahrzehnten Bond-Geschichte. Mit ihm beginnt „Spectre“ zu leben.
3. Der beste Moment:
Die Konfrontation von Bond mit dem von Waltz gespielten Gegner auf einem riesigen Anwesen in einer Wüste im Nirgendwo.
Wer in der Folge nicht an die legendäre „Goldfinger“-Szene (James Bond: Do you expect me to talk? – Auric Goldfinger: No, Mr. Bond, I expect you to die!) denkt, hat zuwenige Bondfilme gesehen.
4. Diese Menschen mögen diesen Film:
Wer James Bond besser findet als Jason Bourne und sich nach der Sean Connery – Zeit sehnt – und wer Christoph Waltz noch nicht überdrüssig ist.
* Regie: Sam Mendes
Mehr:
* Filmkritik zu Skyfall
[…] Komischerweise gilt „Spectre“ als Enttäuschung der Daniel-Craig-Bond-Ära, aber ich halte „Spectre“ für kaum schwächer als den hochgelobten Vorgänger „Skyfall“ – und für einen Rückfall in den Bond der späten 60er (was ausdrücklich positiv gemeint ist): fantastische Sets, ein Gegenspieler in Überlebensgröße (Christoph Waltz) und eine Eleganz, die den anderen Daniel-Craig-Bond-Filmen abging. Hier ist Bond wieder Bond und hört auf, Bourne sein zu wollen. (ausführliche Kritik hier) […]