vonSchröder & Kalender 14.09.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in nördlicher Richtung.

›POP Shop‹ ist kein neuer Titel aus dem Programm von Kiepenheuer & Witsch, vielmehr bezeichnen so Gefangene und Gefängnispersonal die Freizeitsperren, die verhängt werden, wenn Verbote übertreten wurden. Der Begriff leitet sich ab von der in den 70ern beliebte Musiksendung. Zur gleichen Zeit, wenn ›POP Shop‹ auf Sendung ging, wurden nämlich in den Strafvollzugsanstalt die Zellen verschlossen. Die Jugendlichen, die in dem Buch zu Wort kommen, hatten sich den Titel ›POP Shop‹ gewünscht.

Ein Jahr lang sprach Klaus Jünschke mit zwanzig jugendlichen Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Köln. Das Projekt des Kölner Apell gegen Rassismus e.V. lief unter dem Titel ›Erzählwerkstatt‹. Christiane Ensslin schrieb die Tonbänder ab und traf aus tausend Seiten eine Auswahl. Jörg Hauenstein wollte zunächst nur Fotos vom Innern der Haftanstalt machen. Als der Fotograf den Jugendlichen auf dem Laptop die Bilder zeigte, erklärten sie, daß sie auch für das Buch fotografiert werden wollen.

Wir kennen ja alle die Berichte über Jugendkriminalität in den Migranten-Ghettos der Großstädte und sind pflichtgemäß entsetzt. Wer aber die ›POP Shop‹-Gespräche liest, wird feststellen, wie wenig man wirklich gewußt hat. Die jungen Männer sprechen über ihr Leben in der JVA, über Freundinnen und Familie, Polizei und Richter, Arrest und Drogen, Schlägereien, Rassismus, Religion, Schwule, Prostitution, Zuhälter …, um nur einige der Themen zu nennen.

Was uns am meisten an ›POP Shop‹ beeindruckt: Klaus Jünschke hält sich bei den Gesprächen zurück, läßt den Jugendlichen aber keine menschenverachtenden Sprüche durchgehen. So ist ein Buch entstanden, das aus der Sicht der Inhaftierten darstellt, wie sie die Haft erleben, und was Gefängnisse aus ihnen macht. Damit wird der inszenierte Eindruck korrigiert, daß mit solchen Jugendlichen nicht mehr geredet werden kann. Denn tatsächlich haben sie viel zu sagen, und deshalb müssen sie bei der Regelung ihrer Probleme beteiligt werden.

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Hier kann man das Buch bestellen: www.jugendliche-in-haft.de.
Wir empfehlen es nachdrücklich. Und bringen nachfolgend eine Leseprobe aus dem Kapitel ›Freizeit‹:

SPORT

Abdullah, warst du mal in einem Verein.
Abdullah: Ja, im Fußballverein, aber da wurde ich rausgeschmissen wegen den ganzen Vorfällen. So jemand wollten die da nicht.
Da fliegt man richtig raus, wenn man ein Verfahren bekommt?
Abdullah: Nicht überall, kommt drauf an, was für Leute das sind. Mein Trainer war sogar ein Marokkaner, aber der sagte, nee, nee, kannste vergessen. Beim Sport ist das Wichtigste Disziplin, wenn man die nicht hat, dann kannst du so gut sein, wie du willst. Wenn man keine Disziplin hat, kommt man im Leben nicht weiter.
Was ist für dich Disziplin?
Ismail: Disziplin ist, dass man die Regeln einhält, wenn man gegen einen kämpft, dass man aus Wut nicht einfach unerlaubte Schläge macht. Wenn man provoziert, das ist keine Disziplin, und wenn man gegenüber dem Trainer frech wird. Disziplin ist, dass man regelmäßig zum Training kommt, dass man alles, was dazu gehört einhält.
Abdullah: Wenn man auf dem Spielfeld macht, was man will, das ist keine Disziplin.
Ismail: Ja, genau.
Abdullah: Man muss schon hören, was der Trainer sagt und das auch akzeptieren. Wenn einer Fehler macht, nicht rumbrüllen, auch das ist Disziplin.
Ismail: Dogan, hat den rotschwarzen Gürtel.
In welchem Kampfsport?
Dogan: Taekwondo.
Wie lange hast du dafür trainiert?
Dogan: Fünf Jahre. Ich hab‘ auch um Meisterschaften gekämpft. Ich war Meister von Nordrhein-Westfalen in Taekwondo.
Schade, das man das nicht im Gefängnis machen kann.
Ismail: Hätte er weitergemacht, wäre er jetzt im Olympiateam.
Ich glaube, dass man mit Kampfsport auch Selbstbeherrschung lernen kann.
Ismail: Das wird zur Routine mit der Zeit.
Baschar war ein guter Fußballer und hat dann entschieden, lieber auf Partys zu gehen, als zu trainieren und kam dann mit einer Alkoholfahne aufs Spielfeld.
Baschar: Mein Trainer hat das gewusst, dass ich auf Partys gehe. Er hat einfach zu mir gesagt, zeig‘ mal deine Hände und schon hat er den Stempel von der Disco entdeckt.
Warst du auch in einem Sportverein?
Carlos: Ja, aber nicht lange. Ich war 16 und hatte mit Drogen angefangen. Wir waren in der Fußballbezirksliga. Dann war ich einmal bei Bayer zum Probetraining, da meinte der Trainer, du musst erst mal abspecken. (Gelächter) Ich war da schon übergewichtig. Als ich nach Deutschland kam, hab‘ ich übertrieben mit dem Essen. Ich saß nur zu Hause, hatte keine Freunde, das war halt so.
Maradonna ist auch ein bisschen füllig geworden.
Carlos: Ja, klar. Der Trainer meinte, ich soll laufen und wenn ich weiter trainiere, können wir dich einschreiben, dann kannst du wenigstens mit uns zusammen trainieren, bei Bayer Leverkusen.
Überleg‘ mal, da kommen Leute hierher, die schon auf dem Weg zum Erfolg waren, und dann kommt man in so eine Scheiße rein.
Baschar: Auch für mich ist das schade, ich könnte Oberliga sein.
Carlos: Dann kamen die Drogen, Koks und da hat sich alles gesteigert. Damals war ich nur an den Wochenenden auf Partys, und dann hat‘s angefangen mittwochs, freitags, samstags, also mitten in der Woche war ich schon auf Partys, obwohl ich am nächsten Tag arbeiten musste. Das war schon heftig.

KOCHEN
Kannst du kochen?
Baschar: Ja, natürlich.
Bernd: Ich kann alles würzen, aber nicht kochen.
Wie habt ihr kochen gelernt?
Sedinam: Von den Eltern, zugeguckt, da sieht man, wie man kocht.
Christian: Ich verstehe unter richtig kochen, dass das Essen richtig geil schmeckt, fünfsternerestaurantmäßig. Für Spaghetti alla bolognese muss man nicht kochen können, da schmeißt man einfach die Nudeln ins Wasser, wenn es kocht und wartet bis sie schön sind und dann kommt die Soße dazu.
Also das kannst du?
Christian: Na klar, aber richtig kochen, kann ich nicht.
Miguel: Ich bin seit Jahren allein zu Hause, und ich koche immer für mich.
Christian: Wer sagt, dass er richtig kochen kann, der soll einmal Calamares machen, wenn er die vernünftig hinkriegt, dann kann er kochen.
Miguel: Kein Problem.
Wie macht man Calamares?
Miguel: Erst mal waschen, schneiden. Mehl und Eier verrühren für den Teigmantel. Es gibt verschiedene Arten sie zu machen, man kann die auch kochen oder dünsten.
Christian: Warum bist du kein Koch geworden?
Miguel: Weil ich nur für mich koche.
Sedinam: Die Frauen stehen drauf, die wollen heute, dass ein Mann auch kocht.
Miguel: Ich koch‘ auch für meine Freundin.
Sedinam: Das kommt besser an, heutzutage, dass nicht nur die Frau kocht, jahrelang.
Miguel: Ich sag‘ ehrlich, ich will der Hausmann werden, die Frau soll arbeiten gehen. (alles lacht) Ich kann kochen, ich kann waschen, ich kann bügeln, ich kann Sachen, die andere nicht können. Das hab‘ ich gelernt.
Wenn du hier durchs Haus gehst und alle fragst, wer einen Knopf annähen kann, wirst du sehn, das kann nicht jeder.
Sedinam: Wir haben auch Hauswirtschaft in der Schule gehabt, sogar Weben hat man uns beigebracht.
Du hast gesagt, dass du im Angelverein warst.
Thomas: Ja, drei Jahre hab‘ ich geangelt.
Habt ihr die Fische gegessen?
Thomas: Ja, aber geräuchert, ich mag keine gekochten Fische.
Was für Fische hast du gefangen?
Thomas: Aale, Welse, Hechte, kleine Bresen.
Miguel: Das erste Mal, als ich fischen war, das war vor zwei Jahren in Spanien. Das war nachts, das hatte ich noch nie erlebt, ich wusste gar nicht, wie das läuft und was da so gemacht wird. Da wurde mit Körben gefischt, damit haben die Tintenfische gefangen. Die haben die aus dem Wasser geholt und auf den Boden geschmissen und dann richtig draufgehauen. Ich sitz‘ da so und denke, was machen die da. Weißt du, warum die das machen? Weil die Tintenfische sonst hart werden, man kann die sonst nicht essen.
Hat jemand von euch mal ein Tier gehabt?
Sedinam: Eine Katze.
Wie hast du sie bekommen?
Sedinam: Hat mir meine Freundin geschenkt, einfach so.
Wo ist die Katze jetzt?
Sedinam: Zu Hause bei meinen Eltern. (allgemeines Gelächter)
Christian: Ich hatte schon als kleines Kind einen Rottweiler und meine eigene Katze.
Miguel: Ich hab‘ auch schon Tiere gehabt, Mäuse und einen Hund, die sind alle gestorben. Wenn ich rauskomme, hol‘ ich mir einen kleinen Affen. (Gelächter)
Gibt’s hier einen Wettbewerb, wen kann man am meisten auslachen?
Miguel: Man hat doch sonst nichts zu lachen.
(Fortsetzung folgt)

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(CE / KJ / BK / JS)

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