vonDetlef Berentzen 09.06.2012

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Nachdem einige zornige junge Männer der mittleren Generation mit zum Teil schon grauen Haaren versucht haben, außerhalb des Verbandes ihre Linie der ideologischen Koexistenz durchzusetzen, versuchen sie es jetzt innerhalb des Verbandes und kämpfen für politisch falsche Manuskripte von Gleichgesinnten. (Hans Bentzien, HA Funkdramatik)

Genauso war es. Die Herrschaften in der Ostberliner Nalepastraße, sprich: beim inzwischen verblichenen „Rundfunk der DDR“, sorgten in ihren Ressorts (mehr oder weniger) für die Durchsetzung einer freilich parteilichen Linie: „Walther, Becker und Plenzdorf brachten mehrfach das Argument vom schutzlosen Schriftsteller gegen den allmächtigen Apparat“, berichtet Hans Bentzien, seinerzeit Leiter der „Hauptabteilung Funkdramatik“ in einem Brief an den „Genossen“ Rudi Singer, den Vorsitzenden des „Staatlichen Komitees für Rundfunk“. In dessen Funkhaus von staatlicher Allmacht oder gar Zensur zu reden, war im Grunde obsolet. Und doch wurde Widerspruch laut. Erst recht  im Falle des Hörspielautors Joachim Walther, dessen Fall Bentzien (s.o.) rapportiert. Walther hatte es gewagt, mit seinem Hörstück „Infarkt“ gegen „Heuchelei und Opportunismus“ (Bentzien) anzutreten. Meine Güte, da hatte man ihm eben sein Manuskript, eine angeblich „parabolische Anklage gegen den Sozialismus der DDR“, zurückgegeben: „Keine unklaren Ideologien, keine ideologische Gleichsetzung der Systeme!“ – so war das damals. Im Osten. Beim Hörspiel. Und nicht nur dort.

„Jeder Leiter war auch Zensor. Zivilcourage konnte die gesetzten Grenzen von Fall zu Fall hinausschieben, aber niemand konnte diese Grenzen niederreißen. Die einzige Alternative war Verweigerung.“ Es war Peter Gugisch, der solch defensive Einsichten einst für das Deutsche Rundfunk-Museum“ zum Ausstellungsthema „40 Jahre DDR-Medien“ formulierte – damals schon rückblickend. Und war doch selbst als Hörspieldramaturg bis zum Finale der DDR mit dabei. Trumpft aber gerade deshalb auf: „Das schlimmste, das unverzeihliche Resultat reglementierter Kunst sind Werke, die verlogen sind, weil sie dem Widerstand nachgegeben haben. Das Hörspiel der DDR kann für sich in Anspruch nehmen, daß es dieser Gefahr nicht erlegen ist.“ Große und kleine Worte. Aus dem Jahre 1993. Worte, die niemanden retten können. Aber von manchen gern gehört werden: Alles clean, Baby!

Knapp 20 Jahre später, längst ist die einst in der DDR viel besungene „neue Zeit“ im Hörfunk durch digitale Standards definiert, hat sich der Medienhistoriker (und Hörfunker) Patrick Conley aufgemacht, mal nicht (wie die anderen) über das „Hörspiel“ der DDR zu schreiben, sondern über die Geschichte ihres „Radio-Features“. Denn das gab es in der Berliner Nalepastraße immerhin auch – seit dem Jahre 1964. Was nicht heißt, daß sich bislang jemand so akribisch und dokumentarisch wertvoll wie Conley an dieses Metier gewagt hätte. Der Feature-Experte kommt zudem durchaus kritisch daher, was schon der Titel seiner für den „Metropol-Verlag“ überarbeiteten Dissertation signalisiert, ein Titel, der wohl auch die Summe seiner Forschungsarbeit zieht: „Der parteiliche Journalist“.

So eine provozierende „Diss“ wurde, informiert Conley, an der (Ost-)Berliner Humboldt-Universität nicht abgenommen, nein, die musste man in den Südwesten tragen, ins freie Tübingen, wo sich schon einer wie Ernst Bloch zu Hause fühlen konnte,…nachdem er die DDR im Jahre 1961 verlassen hatte.  Man hatte ihm die Lehre verboten, seine Assistenten und Studenten drangsaliert, den Druck seiner Bücher verhindert, ihn bespitzelt, in die Emigration getrieben: „Heimat heisst nicht Schwaben oder Sachsen. Heimat ist der Raum, wo der Mensch wirklich frei ist von äußerlichen Zwecken und Zwängen. Heimat ist der Raum der Freien und Gleichen, die selbstbestimmt sind und nicht fremdbestimmt und das hat mich fasziniert – insofern hat Bloch gesagt:  Heimat ist ein Bezirk, in dem noch nie jemand war.“ (Walter Jens)

Bloch wählte jenen aufrechten Gang, der den meisten RedakteurInnen im Funkhaus Nalepastraße unmöglich schien. Dort hatte die Staatssicherheit eigene Büros, überall drohte realsozialistischer Vollzug. Conley zitiert in diesem Zusammenhang den Regisseur Albrecht Surkau: „Die Zensoren saßen im eigenen Haus. Die saßen nie im Politbüro. Kleine Ärsche der Partei hier im Hause. Man mußte an jedem kulturpolitischen Ort jemanden haben, dem das Politbüro vertraute. Und diese Leute waren die Zensoren!“

Unter solch miesen Bedingungen wurden in der DDR also (auch mal durchaus interessante) Hörfunkfeatures produziert. Wobei wir an dieser Stelle nicht den Begriff „Feature“ erörtern wollen, der vielen HörerInnen immer wieder entgleitet, ExpertInnen aber zu immer neuen Definitionen reizt. Lesen Sie einfach bei Conley nach, der debattiert den Begriff ausführlich, wie immer – auch in Bezug auf den Umgang der DDR-Funker mit dem alten BBC-Genre. Die hatten ihren sozialistischen Bildungsauftrag und mussten immer wieder neu schauen, wie weit sie den entgrenzen konnten, …wenn sie das wollten.

Förderlich war es für solche Grenzüberschreitungen beim DDR-Feature sicherlich nicht, so Conley, fest angestellte Autoren zu beschäftigen: ständig eingebunden, rund um die Uhr kontrolliert, mit staatstragendem Output. Allerdings nahm die Zahl der irgendwie freien AutorInnen im Laufe der Jahre zu, doch sollten auch die nicht allzu frei mit ihren Themen umgehen. Patrick Conley berichtet sehr ausführlich vom Fall „Thomas Heise“, dessen Feature „Widerstand und Anpaassung“ die unbotmäßigen Erinnerungen des Schauspielers Erwin Geschonnek( u.a. „Jakob, der Lügner“) an dessen Zeit im Lager Dachau hörbar macht, damit aber die  politische „Erwartungshaltung“ der zuständigen Redakteure keinesfalls befriedigte. Mehr noch: Heise verweigerte die geforderten Korrekturen. Hartnäckig. Also wurde sein Feature nicht gesendet, sondern im Archiv verdunkelt. Und erst nach dem Fall der Mauer zu Gehör gebracht. Doch nicht nur Heises Projekt wurde von den Autoritäten auf Eis gelegt. Es gibt viele solcher Geschichten zu erzählen.

Patrick Conley hat sich mit all dem verdammt viel Mühe gemacht. Der Autor hat nicht nur viele Gespräche geführt, in den Archiven eine Vielzahl von Dokumenten gesichtet und die Fundsachen im erzählerischen Kontext  zitiert, sondern im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) auch jede Menge Features abgehört. Eine gar nicht so kleine Auswahl dieser Features kommentiert er, erzählt ihre Geschichte: „Hast Du was, bist Du was“, „Angela Davis“, „Mit 17 hat man noch Träume“, „A 20 geht ans Netz“, „Ausflug nach Süden“ sind nur einige der 844 Features, die der Rundfunk der DDR in den Jahren seiner Existenz selbst produzierte – unter Bedingungen, die Parteilichkeit forderten. Und, wie gesagt,  mitunter Widerstand provozierten. Im Programm des Mainstreams wurde immer wieder ausgewichen, leisegetreten und propagandistisch dick aufgetragen. Bis die Mauer fiel. Und es eine kurze, ziemlich verrückte Zeit der Neuorientierung gab, die letzlich doch nichts anderes war als ein Finale. Überall Mühlfenzl. Aber spannend genug.

Man war ( gleich nach dem Mauerfall) extrem neugierig aufeinander, ich saß bspw. (als gelernter SFB-Autor) mit den Ossi-KollegInnen von DT 64 nachts rauchend  in irgendeinem Nalepa-Studio zusammen, sendete Material aus dem Giftschrank, debattierte stundenlang mit den HörerInnen. Redakteursräte wurden gebildet,  der eine oder andere IM outete sich (heulend, kreischend),  andere verbrannten ihre Biographien. All das gab es. Wie sagte es mir Gundermann von der späteren „Seilschaft“ noch ins Mikrofon: „Wir im Osten werden Euer Spielbein sein“. Der singende ( und inzwischen leider verstorbene) Baggerführer witterte die große Chance, sich, das Land, uns alle neu zu erfinden – auch das Radio. Doch daraus wurde nichts. Trotzdem gab es, kurz, ganz kurz nur, Momente der Hoffnung (die Conley nicht besonders erwähnt): „Ich meine, daß kleine Tagträume mit ihren Inhalten durchaus ihre Berechtigung haben, daß ein gemeinsamer Strom hinaufgeht und daß Hoffen eine allgemein menschliche Eigenschaft ist, gegründet auf der allerallgemeinsten menschlichen Eigenschaft: nämlich der Sucht und in höheren Graden der Sehn-Sucht.“ (Ernst Bloch)

Der Medienhistoriker Conley hat gesucht. Und gefunden. Hat das Hörfunkfeature der DDR explizit zum Spiegel der damaligen Herrschaftsverhältnisse gemacht. Conley erzählt von Presseanweisungen und Zensur, vom Versuch des dokumentarischen Blicks,  von AgitProp und  von all jenen, die sich im Engen klein machten. Aber mitunter auch von jenen, die aufstanden, sich verweigerten: Nicht zuletzt AutorInnen mit Zivilcourage, denen nicht selten die Stasi im Nacken saß.  Und nichts ist einfach nur zu Ende.

Mit „Der parteiliche Journalist“ hat Patrick Conley eine Arbeit abgeliefert, die noch einmal den Atem der Diktatur spüren lässt, dagegen in den Ring steigt und damit auch Widerspruch produzieren wird. Soll er doch. Die Lektüre des Buchs schafft einige Einsichten, die durchaus aktuell sind, wenn es bspw. um  das Thema „Anpassung“ geht, um all das also, was sich auch heute noch einschleicht, zu Normalität gerinnt, den Atem verliert und zum Immergleichen mutiert. Insofern mag der auf der ersten Seite der Nalepa-Story von Conley formulierte Satz seine Wahrheit haben: „ Die Kenntnis der Geschichte des Journalismus der DDR fördert die Medienkompetenz“. Just read it!

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