vonDetlef Berentzen 09.10.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Gehören Sie auch zu dem roten Gesockse da draußen?
Als die Witwe ihn das fragte, war es schon Winter. Die Alte war ohne jede Vorwarnung in seinen möblierten Eichensarg gekommen, hatte die Gardine beiseitegeschoben, das Fenster geöffnet, anklagend mit dem krummen Finger nach draußen gewiesen und ihn dann wütend mit funkelnden Augen fixiert.
Rotes Gesockse? Was meinte die Alte?
Dann hörte er irgendwelche Sprechchöre. Eine Demonstration zog in der Nähe vorbei.
Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen, Madame!, grinste er.
Das will ich aber auch hoffen!
Dann war sie wieder draußen. Kurze Zeit später auch er. Unten auf der Straße. Überall blaue Polizeiwagen. Uniformen. Und lautes Gröhlen.

Rauch-Haus muß bleiben!
Wir lassen uns nicht vertreiben!
Das waren die Besetzer aus Kreuzberg – Einfach rein ins alte Schwesternhaus vom Bethanien, Polizei ausmanövriert, Pflastersteine geschmissen und ein Wohnkollektiv für flüchtige Heiminsassen ausgerufen – Bambule gemacht.
Für Trebegänger!
Das hatte er in der Zeitung – war’s der “Abend”?, der “Telegraf”? oder im “Berliner Extradienst”? – gelesen.
Das Schwesternhaus hatten die Besetzer inzwischen nach Georg-von-Rauch, einem dieser umherschweifenden Haschrebellen, benannt: Gerade neulich war der von der Polizei in Schöneberg erschossen worden.
Kugel ins Auge. Notwehr!
Sollte angeblich zu den Leuten von Baader und Meinhof gehört haben. Oder zu sonstwem. Viel wußte er nicht darüber. Doch jetzt war er hier.
Mit Lederjacken und Helmen waren die Besetzer und ihre Freunde auf dem Kottbusser Damm unterwegs, manche untergehakt, hielten sich aneinander fest. Jung waren sie, Wild Things irgendwie. Mit roten und schwarzen Fahnen. Eines der Transparente, das sie trugen, ist Hermann noch bis heute in Erinnerung:
High sein, frei sein, Terror muß dabei sein!
Geile Sache. Da ging er mit. Aber erstmal bitte nur auf dem Bürgersteig, in angemessener Distanz, nicht in dem wilden Haufen.

Geht also los, die Hände in den Hosentaschen. Und plötzlich hört er es zum ersten Mal. Und wird es in Zukunft noch öfter hören, und es wird ihn jedes Mal mit dunklem Zorn erfüllen.
Abschaum!, schreien sie.
Die gehören doch ins Arbeitslager!
Vergasen müßte man das Pack!
Da stehen Springers Leser mit glasigen Augen vor einer Eckkneipe, Biergläser in der Hand, johlen Gaskammersprüche, schütteln ihre Fäuste. Hermann bleibt stehen, kann es nicht fassen, sein Herz rast durch den ganzen Körper. Plötzlich wirft einer von den miesen Eckenstehern den glasigen Blick direkt auf ihn.
Ach, da haben wir ja einen von denen! Den schnappen wir uns!
Der Saufnazi will hin zu ihm, die anderen Kerle schwanken ebenfalls vorwärts und Hermann muß wieder rennen.
Angst habe ich keine, aber schnell laufen kann ich!
Rennt und bleibt erst ein paar Hundert Meter weiter stehen.
Hat die Typen abgehängt.

Er läuft weiter. Mit der Demonstration bis zum Mariannenplatz. Bis an die Auffahrt zum Bethanien-Krankenhaus.
Nähert sich tastend den Rebellen. Steht plötzlich mittendrin, spürt irgendeinen wüsten Spirit und hört, all die anderen warten auf irgendetwas, auf irgendwen.
Da kommt schon eine Kolonne schwarzer Limousinen, Herren in Anzügen darin, wollen die Auffahrt hoch und vor den Eingang des Bethanien fahren. Empörung wird laut: Scheiß-Bonzen! Haut ab!
Plötzlich löst sich ein junger Kerl, er mag achtzehn Jahre alt sein, aus dem Demonstrantenpulk. Lange Haare, viel zu große Lederjacke und Fallschirmspringerstiefel an den Füßen. Stellt sich der Kolonne mitten auf der Auffahrt in den Weg.
Der Fahrer des ersten Wagens wird langsamer. Fährt auf den Jungen zu, stoppt, als der Wagen ihn fast berührt.
Der Junge beugt sich vor, knallt seine Hände, die in riesigen Lederhandschuhen stecken, auf die Motorhaube der Limousine und starrt die Insassen haßerfüllt an.
Cool, baby!
Steht da und rührt sich nicht.
Der Chauffeur des ersten Wagens wird unruhig, will rückwärts fahren. Doch hinter ihm warten die anderen Fahrzeuge. Blockieren seinen Fluchtweg.
Im nächsten Augenblick richtet sich der Junge wieder auf, tritt beiseite und winkt mit einer eleganten Handbewegung die schwarze Kolonne vorbei.
Hermann ist beeindruckt. Schwer beeindruckt.

Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Heiser schreit der schlacksige Sänger seinen Text ins Mikrofon. Lässig schrubbt er die Gitarre. Und all die Lederjacken und Parkas im Saal flippen. Eine Band wie ein Gewitter. Lunten werden mit diesem Sound gezündet. Der Saal explodiert.
TonSteineScherben.
Die Typen rotzen, kotzen, stampfen, schleudern Dreck und Wut. Freund Rudi gibt sich, Hände in den Hosentaschen, gelassen, obwohl das Audimax der Technischen Universität vibriert. Und Hermann, eingewickelt in seinen Parka, wird an dem Sound irre: Bei der Nummer über den Sohn und seinen Alten.
Schon beim Refrain macht Hermann seinen eigenen Vater und dessen blutiges Leningrad nieder und wünscht sich nur noch das Eine:
Ich will nicht werden, was mein Alter ist!
In dem verrauchten Audimax gab es viele, die nicht so werden wollten wie ihr Alter. Und überhaupt. Diese Meute um ihn herum war kein intimer Spaghettikreis, kein Lehrlingstreff der Werkzeugbranche, das hier war ernster als alles, was Hermann bisher erlebt hatte. Aus Hunderten von jungen Kehlen um ihn herum röhrte ein böser Un-Wille, verdammt stark und mächtig.
Wir sind viele und wir kennen die Scheiße, die Zuhause heißt!
Wir haben das alles satt, genau wie Du, Hermann!

Die Scherben-Platte mußte her.
Er fand sie in einem dieser neuen Politischen Buchläden in Wilmersdorf – Roter Stern im Fenster, Vietcong-Fahne und Che-Poster an der Wand, Raubdrucke im Hinterzimmer, jede Menge Aufruhr und Revolution zwischen den angebotenen Buchdeckeln und bärtige Genossen in Norwegerpullovern oder lässigen Lederwesten als Verkaufspersonal.
Genosse! So sprach ihn einer an.
Was darf’s denn sein, Genosse?
Was für ein verdammter Unsinn. Der Buchladen lag schließlich nicht in der DDR, nicht im Osten, nicht im noch weiter entfernten Moskau oder in Maos Peking. Sozialisten und Kommunisten waren Genossen und denen, die er aus diesen Zirkeln kannte, traute Hermann schon lange nicht.
Hermann traute keinen Zentralkomitees, keiner Honeckerfigur, keinen stacheldrahtbewehrten Mauern, keinen Wachtürmen, keinem Stechschritt, keinen Panzern der Sowjetunion, die vor gut drei Jahren in Prag Frühling und Widerstand plattgewalzt hatten.
Und denen, die unschuldige Kinder zu blauen Pionieren irgendeiner neuen alten Zeit machten, sie in verdammte Uniformen steckten, in Reih und Glied antreten ließen und Immer bereit!, denen traute er schon gar nicht.
Drill und Zack! Was für eine miese Scheiße!
Haben die eigentlich die Nazizeit vergessen?, stöhnte er.
Der Osten war Hermann schon ziemlich unheimlich.

Scherben

(aus: Detlef Berentzen, “Berlin, Sie – Hermann, die zwote”)

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