vonWolfgang Koch 08.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Breivik nennt auf Seite 1.236 seiner Bekennerschrift drei intellektuelle Mentoren seines kruden Weltbilds. Diese »Lieblingsautoren« und »führenden Gelehrten« bilden das imaginäre Direktorium seiner »Wiener Denkschule« des neuen Konservatismus: 1. der norwegischen Blogger Fjordman alias Peder Noestvold Jensen (36), 2. der US-Religionswissenschaftler Robert Spencer (49), und 3. die in der Schweiz lebende britische Autorin Gisèle Littman alias Bat Ye’or (77).

Peter Jensen (Fjordman)

Der 36jährige Blogger galt bis vor kurzem als Koryphäe unter den rechtsextremen Islamkritikern. Fjordman zählte zu den meistzitierten Autoren dieser wachsenden Internetcommunity. Sein Name wird von Breivik 111 mal in der Bekennerschrift zitiert, und selbst auf der einschlägigen Website »Gates of Vienna«, die den Blogger groß gemacht hat, vergleicht Andrew Bostom Fjordmans Inspirationskraft für Breivik mit der der Beatles für den Hippie-Kriminellen Charles Manson, sowie mit Inspirationskraft der Schauspielerin Judy Foster für den Reagan-Attentäter John Warnock Hinckley.

Im Frühjahr 2006 begann Jensen seine Essays bei »Gates of Vienna« zu posten. Der Anlass: eine Serie von Leserbriefen, die norwegische Zeitungen nicht abdrucken wollten. Jensen hatte davor an der Universität in Oslo (nach anderen Quellen in Bergen) Medienwissenschaften studiert und Arabisch an der American University im ägyptischen Kairo. In Kairo erlebte er im September 2001 den Jubel der arabischen Massen über die Anschläge auf das WTC hautnah mit; und das soll, nach seiner eigenen Darstellung, schlagartig seine Sicht auf den Islam geändert haben.

In der Folge begann Jensen das Doppelleben eines gekränkten Publizisten zu führen und entdeckte schrittweise den »demografischen und kulturellen Krieg gegen die Mehrheitsbevölkerung« in Europa. Nicht einmal Familie, Freunde und die Arbeitskollegen in einem Osloer Behindertenheim ahnten etwas von dem gedankenschweren nächtlichen Schaffen des Mannes.

Jensen pflegte als Fjordman einen sympathischen persönlichen Schreibstils und stieg rasch zum meistgelesene Conterdschihadist auf; seine mitunter originellen Kurzessays sind in zahlreichen Sprachen veröffentlich worden: zuletzt in Schwedisch, Finnisch, Deutsch, Niederländisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Tschechisch, Russisch, Kroatisch.

Jensen erkannte als belesener und aufmerksamer Autor den Wandel der Diskursfelder rascher als seine Gegner. Im Jänner 2007 schrieb er: »So wie Nikolaus Kopernikus im 16. Jahrhundert zeigte, dass die Sonne nicht um die Erde kreist, so entdecken die traditionellen Medienbetriebe von heute langsam, dass die Informationsgesellschaft nicht mehr um ihre Redaktionspolitik kreist. Es ist die zweite kopernikanische Wende. Wir müssen allerdings noch bestimmen, wie einschneidend sie sein wird, aber sie verursacht jetzt schon sichtbare Risse an der Oberfläche des glossokratischen Imperiums«.

Im Oktober 2008 schrieb er: »Wie sollten wir auf die Bedrohungen antworten, denen sich unsere Zivilisation gegenübersieht? Zuallererst sollten gewöhnliche Bürger sich sofort bewaffnen, da sich Verbrechen und Gewalt schnell in der ganzen westlichen Welt ausbreiten. Zweitens müssen wir uns den Stolz auf unser Erbe wieder zurückholen, der uns in den letzten Generationen systematisch genommen worden ist, … «

Fjordmanns Rhetorik unterschied sich wesentlich von der des traditionellen Rechtsextremismus, also von jener Nibelungen-Ideologie, die sich unter Frieden nur gräßlich langweiligen Stumpfsinn vorstellen konnte und die Europa noch nicht als gemeinsamen Bezugspunkt zu fassen vermochte. – »Obwohl Linke dazu neigen, aggressiver zu sein, verläuft die Trennlinie im inneren Kampf im Westen vielleicht weniger zwischen Links und Rechts, sondern eher zwischen denen, die nationale Souveränität und die europäische Kultur schätzen, und denen, die das nicht tun. Die Aufrechterhaltung der nationalen Grenzen ist im Zeitalter der Globalisierung wichtiger geworden, nicht unwichtiger. Wir müssen die Kontrolle über unsere Grenzen zurückerlangen und jede Organisation zurückweisen, sei es die EU, die UNO, verschiedene Menschenrechtsgruppen oder andere, die uns daran hindert. Wir müssen unsere politischen Führer daran erinnern, daß wir nationale Steuern zahlen, weil sie unsere nationalen Grenzen aufrechterhalten sollen«.

Jensen zitierte häufig George Orwell, wandte sich gegen Totalitarismen von Links und Rechts und entwickelte in seiner Paranoia vor den Migranten durchaus unterhaltsame Ideen, wie die, angestammte europäische Ethnien zu schützenswerten »indigenen Völkern« erklären zu lassen. Hätten wir in den Medienredaktionen, in den Wissenschaften und in den Parlamenten nur ein paar mehr Denker seiner intellektuellen Potenz, stünde es um die politische Kultur der Demokratien wohl nicht so schlecht bestellt.  

Mit welchen Mittel Fjordman seine Absichten erreichen wollte, lies er geschickt im Dunkeln. – »Edmund Burke glaubte, daß wir, wenn eine Gesellschaft als ein Vertrag gesehen werden kann, akzeptieren müssen, dass die meisten Teilnehmer an dem Vertrag entweder tot oder noch nicht geboren sind. Mir gefällt diese Idee, die bedeutet, dass man beim Kampf für ein Land nicht nur für die kämpft, die da jetzt existieren, sondern auch für diejenigen, die zuvor hier gelebt haben und für jene, die in der Zukunft hier leben werden. Wenn wir nicht für das kämpfen wollen, was Europa heute ist, dann lasst uns für das kämpfen, was es einst war, und vielleicht, nur vielleicht, für das, was es wieder werden könnte. Einst gab es echte Größe auf diesem Kontinent. Es scheint jetzt lange her zu sein, aber wir können wieder dorthin kommen. Inzwischen laßt uns dafür kämpfen, das Überleben der europäischen Zivilisation sicherzustellen, welches jetzt sehr fraglich ist». 

Am Wochenende nach den Breivik-Morden wies Jensen zunächst die Anschuldigung, ein geistiger Ziehvater des Täters zu sein, weit von sich. Vierzehn Tage später aber stellte er sich der Polizei, lüftete freiwillig seine bürgerliche Identität, gelobte öffentlich nie wieder als »Fjordman« zu bloggen und tauchte aus Angst vor Rache in den Untergrund ab. Die norwegischen Behörden beschlagnahmten seinen Computer, sämtliche DVDs und Bücher.

Ob Jensen wirklich einmal an einer THIP-Mission im Nahen Osten teilgenommen hat, wie Wikipedia behauptet, ist nicht gesichert. Unter dieser Bezeichnung sendet Norwegen seit 1994 Beobachter (aus dem Polizeidienst und aus der Flüchtlingsbetreuung) in die Stadt Hebron, um den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu fördern.

Falls das Gerücht stimmt, hat der Mann über seinen kurzen und abschlägigen E-Mailverkehr mit Breivik hinaus noch eine Menge anderer interessanter Dinge zu erzählen; wir erwarten mit Spannung seine Autobiografie.

Robert Spencer

Der US-amerikanischer Schriftsteller hat als Gründer der Websites JihadWatch und Dhimmiwatch einen hohen Bekanntheitsgrad unter den selbstberufenen Abendlandrettern erlangt. Der freie Religionswissenschaftler entschied sich frühzeitig, keinen Doktor- oder Professorentitel auf Universitäten anzustreben und seine Studien in außerakademischen Foren zu popularisieren.

Spencer war Mitglied des Christian-Islamic Forum, einer katholische Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Muslime zu missionieren. Seine Themen: die religiösen Rechte von Christen in muslimischen Ländern, weiters Frauenrechte und Sklaverei unter der Schari’a. Zentrale Thesen: der Islam besitze eine höhere Gewaltneigung als andere Weltreligionen; jeder Moslem sei unbedingt zum Dschihad verpflichtet.

Robert Spencer kommt übrigens am 3. September wieder einmal nach Berlin. Die rechtsextreme Wahlplattform Die Freiheit präsentiert den smart wirkenden Koranforscher gemeinsam mit Oskar Freysinger, Geert Wilders und René Stadtkewitz. Es steht zu erwarten, dass die Antifa-Schlafmützen an dem Tag mal aufwachen und dieser geballten Versammlung von Gegenaufklärern einen noblen Empfang bereiten. 14 Uhr, Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche.

Gisèle Littman (Bat Ye’or)

Die heute 77jährige britische Autorin, als Kind jüdischer Eltern in Ägypten geboren, widmet sich der Geschichte des Islam im nahen Osten. Sie hat den Begriff Eurabien für die angeblich vom Islam kolonisierte Alte Welt in Umlauf gebracht. Der wissenschaftliche Schwerpunkt ihrer Studien: die verfolgten nichtmusilimischen Minoritäten unter islamischer Herrschaft.

Wie Spencer widmet sich Littmann unter dem Stichwort der Dhimma mit Vorliebe dem Verhältnis der Muslime zu Nichtmuslimen, sie dokumentiert in ihren Büchern faktenreich, aber nie nach wissenschaftlicher Objektivität und Fairness strebend eine bittere, lange Diskriminierungsgeschichte. Breivik schreibt über sie: «Bat Ye’or ist die führende Gelehrte auf dem Gebiet der Ausbreitung des Islam«.

Die Dame selbst wehrte sich dieser Tage im Schweizer Fernsehens dagegen, mit dem Attentäter in Zusammenhang gebracht zu werden: »Was sollen diese Fragen zu dieser Person, die wahrhaftig ein Psychopath ist? … Keine Ahnung, was bei dem falsch gelaufen ist«.

© Wolfgang Koch 2011

http://rechtspopulismusstoppen.blogsport.de/

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kommentare

  • Der Text gibt die meisten Informationen richtig wieder, soweit noch ok.
    Nur dass es maximal undemokratisch, zensureifrig und faschomäßig – kurz: zum Kotzen – ist, anlässlich des Spencer-Auftritts zum Randalieren aufzurufen, zu so viel Verantwortung hat es dann nicht gereicht. Schande über Sie, Herr Koch!

    MufG, Fritz Schmude

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