vondorothea hahn 01.05.2010

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Beim Aufstehen in meinem ockerfarbenen Zelt der US-Army in Guantánamo-Bay habe ich heute Morgen „Radio Rebelde“ angeschaltet. Es ist der 1. Mai. Politischer Feiertag in Kuba. Und in den USA ein Tag wie jeder andere. Zwar waren Polizeischüsse auf streikende Arbeiter in Chicago am 1. Mai des Jahres 1886 der Auslöser für die ersten 1. Mai-Demonstrationen. Doch die USA haben ihren eigenen „Labour-Day“ weit weg in den September verlegt.

Auf dem Militärstützpunkt von Guantánamo Bay und in dem Gefangenen-Lager geht die Arbeit weiter wie üblich. Der Richter hat die Militärkommission heute schon für 7 Uhr 30 einberufen. Bei der Anhörung über die Frage, ob die Geständnisse von Omar Khadr unter der Folter zustande gekommen sind, stehen Aussagen von einer Kriminalermittlerin, einem Oberst und einem FBI-Mann auf dem Programm.

Unterwegs zum Duschzelt des US-Stützpunktes habe ich die Musik der Internationale im Ohr. Dann meldet sich ein Reporter aus Havanna zu Wort. Er beschreibt eine „grandiose“ Demonstration am „Tag des internationalen Proletariates“. Eine Demonstrantin sagt in sein Mikrofon, wie gut die sozialistische Landwirtschaft funktioniere. Eine andere versichert, dass sie gegen den „Yankee-Imperialismus“ kämpfen werde: „notfalls mein ganzes Leben lang“.

Ich durchquere „Camp Justice“. Ein Lager von rund 100 Zelten mit rundem Dach, die auf einer früheren Flughafen-Landebahn der Navy-Base aufgestellt sind. Jedes Zelt sieht aus, wie eine der Länge nach durchgeschnittene gigantische Tonne. In meinem Zelt und in denen für die anderen JournalistInnen sind jeweils sechs komfortable Betten aufgestellt. In anderen, weniger luxuriös eingerichteten, Zelten, befinden sich mindestens doppelt so viele Feldbetten. Am Ende der Landebahn und weit hinter unseren Zelten stehen mehrere Reihen Gitterzäune. Dann beginnt der Anstieg zu einem Hügel, auf dessen Spitze eine Radaranlage steht. Mit zwei weißen Kuppeln, die wie Tischtennisbälle aussehen.

Abends gehe ich auf der Landebahn unter gleissendem Flutlicht zu meinem Zelt. Draußen ist es dann immer noch tropisch heiß. Über den Asphalt huschen faustgroße Krebse. Aber in meinem Bett mummele ich mich in einen Winter-Daunenschlafsack ein. Die Kälte kommt von einem Gebläse, das unablässig kalte Luft in das Zelt pustet. Die Maschine ist so laut, dass eine Unterhaltung mit den Kolleginnen, die in demselben Zelt übernachten, nur schreiend möglich ist.

Aber an diesem Morgen des 1. Mai habe ich „Radio Rebelde“ im Ohr. Sozialismus und Salsa-Musik übertönen das Dröhnen der Kaltluftgebläse, die hinter jedem der ockergelben und olivgrünen Zelte in „Camp Justice“ stehen. Mein Weg führt vorbei an hüfthohen roten Barrieren. Auf manchen steht „restricted area“. Auf anderen „JTF“ – für die „Joint Task Force“, den Zusammenschluss sämtlicher US-Waffengattungen, die das Gefangenenlager von Guantánamo bewachen und verwalten. Dazwischen hängen weitere Verbotsschilder. Die meisten sind auf rot beschriftet. Ihre häufigste Aufschrift lautet: „No photography“.

Das Pressezentrum befindet sich in einem Raum des ehemaligen Flugzeugschuppens. Am anderen Ende der Asphaltbahn. Bevor ich dort ankomme führt mein Weg zwischen zwei Zäunen durch, an denen oben und unten dicke Rollen Nato-Stacheldraht befestigt und die von Flutlichtlampen überragt sind. Der Zaun selbst ist von innen mit schwarzen Planen undurchsichtig gemacht. Zur Rechten meines Weges umgibt der Zaun ein großes ockerfarbenes Army-Zelt. Zur Linken ragen hinter dem Zaun die Dächer von Baracken hervor. Die Journalisten spekulieren darüber, ob die abgesperrten Baracken und das Zelt für Zeugen oder Angeklagte gedacht sind. Die Soldaten der „JTF“, die die beiden umzäunten Unterkünfte bewachen, äußern sich nicht dazu. Die meisten von ihnen sprechen nur mit Journalisten, um sie mehr oder weniger sanft an Fotografierverbote zu erinnern.

Insgesamt 2.000 Soldaten arbeiten unter dem Kommando der JTF in dem 2002, wenige Monate nach den Attentaten des 11. September, eröffneten Hochsicherheitslager. Sie verstärken die 4.000 US-Soldaten, die schon vorher auf dem Navy-Stützpunkt waren. Wenn es nach dem Versprechen von Präsident Barack Obama ginge, müßte das Lager spätestens seit Januar diesen Jahres verschwunden sein. Stattdessen werden dort weiterhin „etwa 183“ Männer gefangen gehalten. Die Lagerverantwortlichen sagen nichts über die Herkunftsländer der Insassen und nennen nur selten ihre exakte Zahl. Wenn ein Lagerverantwortlich doch einmal eine Zahl nennt, verwischt er sie zugleich wieder mit dem Zusatzwörtchen: „etwa“.

Das kubanische „Radio Rebelde“ wettert heute besonders viel gegen „die Einmischung der USA“. „Camp Justice“ und das Gerichtsgebäude, wo die Militärkommission verhandelt, sind nur drei Meilen von der Republik Kuba entfernt. Die Soldaten auf der Basis sprechen zwar noch von der „Verteidigungslinie“, aber wo die exakt verläuft, wissen sie nicht. Ihre Feindbilder haben sich längst – und weit – vom Sozialismus entfernt. Die neuen Feinde der USA sind Männer, wie die 183 Gefangenen von Guantánamo. Sie stammen aus Zentralasien und der arabischen Welt. .

Diesen Blog-Eintrag schreibe ich ausserhalb des Pressezentrums. Ich sitze unter einem großen Sonnendach auf der Asphaltbahn. Ein paar Meter weiter befindet sich eine kleine Betonbucht mit Fahnen, die oft auf den Aufnahmen von Fernsehreportern aus Guantánamo zu sehen ist. Direkt neben der Fernseh-Kulisse ist eine „No photography“ Zone. Presseoffiziere passen auf, dass sie nicht mit ins Bild kommt.

Ein Kameramann vom japanischen Fernsehen wartet auf einen Drehtermin. Seine „Betreuerin“ in Tarnuniform läßt ihn nicht aus den Augen. Für seinen Dokumentarfilm über Guantánamo braucht er noch ein paar szenische Aufnahmen. „May I shoot the sun?“ fragt er. Sie stellt sich neben ihn und guckt bei jedem Bildausschnitt mit durch den Sucher. Damit nur die Sonne ins Bild kommt.

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https://blogs.taz.de/1_mai_in_guantnamo-bay/

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