Einst das Lieblingskind der Popkultur kränkelt die britische Gitarrenszene nun schon seit einigen Monaten, Jährchen vor sich hin. Nachdem die Libertines, Franz Ferdinand und Arctic Monkeys inklusive einiger hervorragender Epigonen für zwei, drei Jahre Großbritannien wieder zum Zentrum der Gitarrenwelt gemacht hatten, wartet man doch nun schon längere Zeit auf neue Großtaten von der Insel.
White Lies (Indiepedia)
Schwer vorstellbar, dass die in der Tradition von Echo & The Bunnymen stehenden White Lies nicht erfolgreich sein werden. Gerade wenn man in Betracht zieht, dass düster angehauchte Gitarrenbands hierzulande immer erfolgreicher waren als ihre Cousins mit den roten Bäckchen und der Lust am Leben: von Muse zu Placebo, von den Editors zu Interpol waren Nachfolger des Düstertriumphirats Joy Division, The Cure und Echo & The Bunnymen immer wieder überraschend erfolgreich. Die Songs der White Lies sind groß genug und bereits die erste kleine Livetournee Ende letzten Jahres hat gezeigt, dass diese Band Großes im Sinn und den Ehrgeiz hat, die kleinen Clubs so bald wie möglich hinter sich zu lassen – ähnlich schnell wie sie sich entschlossen, den alten Bandnamen „Fear Of Flying“ und ihren ursprünglichen Sound abzulegen um sich dem jetzigen Düsterpop zuzuwenden.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=AxdHzv04hn4[/youtube]
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* Unfinished Business
* Death
Ipso Facto (Indiepedia)
Ebenfalls düsteren Pop, der hier an Siouxsie & The Banshees erinnert, spielt die Girlband Ipso Facto, die wie eine Pipettes-Version der Horrors erscheinen. Letztere konnten ja trotz überwältigender Medienpräsenz in England nicht wirklich Fuß fassen, hatten aber letzten Endes ein besseres – wenn auch sehr in der Vergangenheit lebendes – Album am Start als man erwarten durfte. Ähnlich retro sind auch Ipso Facto, aber deutlich weniger kompromisslos und mehr dem Pop zugewandt. „Dark Pop“ wie die Band selbst das zu nennen pflegt.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=wnvTeuxX0GI[/youtube]
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* Balderdash
* Six & Three Quarters
Twisted Wheel
Eine herausragende Single („You Stole The Sun“) und die Vorband-Rolle bei Oasis-Tourneen katapultieren die nach einem alten Nothern-Soul-Club in Manchester benannten Twisted Wheel automatisch in eine auf-die-muss-man-ein-Auge-werfen-Position. Langsam nimmt glücklicherweise der Trend zum libertinesifiziertierte Gossen-Jingle-Jangle-Sound im englischen Indie-Pop wieder ab und wir werden nicht jedes Jahr mit zweit- oder drittklassigen Epigonen wie The View oder The Courteeners überschüttet, so dass Twisted Wheel in dieser Jahresvorausschau der einzige verbliebene Vertreter dieses „Genres“ sind. Da ihr Album vom neuen Oasis-Stammproduzenten Dave Sardy produziert wird, darf man wohl einen mächtigen Sound erwarten.
Aktueller Konzerttermin: Berlin, 17.1., PrivatClub
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=fK_bP4Qx3-w[/youtube]
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* You Stole The Sun
Official Secrets Act
Offizieller Tanflächenknaller für die Indiedisco eher. Das hat man ja bei all dem Gebratze und Sirenengeheule ganz vergessen: es gibt auch noch Songs, die ohne Post-Punk-Gitarrenläufe, New-Rave-Sirenen oder Justice-Wucht die Jungs und Mädels zum Tanzen bringen können. Wenn das Album hält, was die Single „So Tomorrow“ verspricht, gibt es wieder Futter!
[youtube]http://de.youtube.com/watch?v=V3ZLHt0lQW4[/youtube]
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* So Tomorrow
The Chapman Family
The Chapman Family Is Not A Cult. Yet.
Wenn sich eine Band nach dem Mörder von John Lennon benennt, ist natürlich klar wohin der Zug fährt: nach Polarisierungstown. Man ist ja gerne skeptisch bei Bands, die auf die einfachen Schockeffekte setzen und wird umso angenehmer überrascht, dass zwischen all den eher biederen Indierocksongs wie „Sound Of The Radio“ immer wieder Noise-Attacken der Marke „Like A Million Dollars“ auftauchen, die Gimmicks wie ihre Gitarrenspendeaktion („The Chapman Family will gladly take any battered old guitars off your hands and destroy them live on stage for you.“) verzeihen lassen. Könnte endlich wieder ein interessantes britisches Gitarren-Album werden.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=N2vh0LSpeug[/youtube]
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* Like A Million Dollars
* The Kids Are Not Alright
The Brute Chorus
Vielleicht von allen britischen Gitarrenbands, denen man im neuen Jahr größeres zutraut, die interessanteste. Ein bizarres Stilgemisch tischen The Brute Chorus nämlich auf: rumpeliger Folk, dunkler Punk, die wilden Momente der frühen The Coral und Nick-Cave-Anklänge lassen The Brute Chorus für den Moment recht einzigartig erscheinen. Ob das nicht sogar zu verschroben ist, um kommerziellen Erfolg zu haben, steht auf einem anderen Blatt. Wir sind ja auch mit einem fantastischen Album zufrieden, das sich nicht verkauft. Die erste Single „The Cuckoo & The Stolen Heart“ lässt jedenfalls einiges erwarten.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=cs6xSj6YBfc [/youtube]
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* The Cuckoo And The Stolen Heart
* Chalet
Dinosaur Pile-Up
Kurioser Name (immerhin noch besser als Cheeky Cheeky & The Nosebleeds!), aber interessanter Klang. Die b-Seite zur ersten Dinosaur Pile-Up Single klang nach sedierten Modest Mouse, die die britische Indie-Pop-Vergangenheit in sich aufgesogen haben. Trotz des ständigen Wiederholens des Leitmotivs war „Love Is A Boat And We Are Sinking“ aber keineswegs nervig, sondern im Gegenteil bezirzend. Mehr davon, bitte.
Aktueller Konzerttermin: Berlin, 16.1., Magnet
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=PgCjvnvxL2M [/youtube]
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* Love Is A Boat And We Are Sinking
Text: Christian Ihle
(Fotos: Steve Gullick, Liam Henry, www.myspace.com/davidtakesphotos, Maciej Krzyzaniak)
Weitere Folgen:
1: Singer/Songwriter für 2009
2: Pop/Hip-Hop für 2009
3: We heart MGMT für 2009
5: US Gitarre für 2009
6: Willkommen im Untergrund in 2009