vonAlexander Jeuk 05.04.2024

Alexanderplatz

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„Liberal“ und „Liberalismus“ können viele verschiedene Dinge bedeuten. In den USA gelten Menschen mit liberalen Ansichten als links, während sie in vielen anderen Ländern dem rechten Spektrum zugerechnet werden (z.B. die FDP).

Linke in Europa haben jedoch die Tendenz entwickelt, sich selbst als „sozial-liberal“ oder „links-liberal“ zu bezeichnen. Warum aber bezeichnen sich Linke als „sozial-liberal“? Die Idee ist, dass „sozial-liberal“ für Demokratie, Freiheit und Bürgerinnenrechte steht, bei gleichzeitiger Zurückweisung von wirtschaftlichem Liberalismus.

Doch genau für diese Werte steht auch Sozialismus – und die Sozialdemokratie als eine Variante des Sozialismus – mit Ausnahme seiner Perversion, des Bolschewismus. Und in der Tat verteidigt der Sozialismus eine kohärentere Variante von Freiheit und Rechten als der Liberalismus, wie einige seiner wichtigsten Denkerinnen, wie etwa Marx, hervorgehoben haben.

Sozialistinnen wissen, dass Menschen im liberalen Kapitalismus nicht frei sind, weil sie kein Kapital haben, sondern ihre Zeit und Energie an Arbeitgebende verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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Auch die kaufmännisch-unternehmerische Ethik des Liberalismus ist keine Freiheit: Liberale und Libertäre behaupten gerne, dass jede, die ein Vermögen machen will, dies tun kann, wenn die „Märkte“ frei oder die Chancen gleich sind.

Das ist falsch, aber noch wichtiger ist, dass die meisten Menschen keine Geschäftsleute oder Unternehmerinnen sein wollen. Das ist für die meisten von uns keine Freiheit. Freiheit bedeutet, das zu tun, was man will, und zwar innerhalb der Grenzen der Rechte anderer und der (wirtschaftlichen) Realität.

Doch das ist nur möglich, wie Marx, Polanyi, Einstein, Keynes und Hawking betonten, wenn wir durch rationale, automatisierte Produktion so viel Wohlstand schaffen, dass Menschen nicht arbeiten müssen, sondern tun können, was sie wollen.

Jedoch ist genau das ist im Kapitalismus nicht möglich, da er den Sinn des Lebens in eine wirtschaftliche Tätigkeit umwandelt, Macht durch Wettbewerb konzentriert, Produktivität dem Profit opfert und Menschen auf eine Ressource reduziert – die „human resource“, von der Kapitalistinnen und ihre Unternehmen wortwörtlich sprechen.

Noch vor ein paar Jahrzehnten war klar, dass der Liberalismus die politische und wirtschaftliche Philosophie des Kapitalismus ist. Daher ist es unglücklich, wenn sich Linke als „sozial-liberal“, „links-liberal“ oder gar „liberal“ charakterisieren.

Der Liberalismus war schon immer absichtlich unklar. Er macht keine wirklichen Vorschläge, wie eine liberale Demokratie umgesetzt werden sollte. Die liberalen Verfassungen, die er geschaffen hat, haben die Menschen effektiv entmachtet und den Kapitalismus zementiert.

Direktere und umfassendere Formen demokratischer Partizipation (z.B. Volksentscheide) sind in den meisten westlichen Gesellschaften nicht oder nur selten zu finden. Intermediäre, in der Form von Parlamenten und Parteien, scheinen nicht selten die Funktion zu haben, Fortschritt zu verhindern und den Bevölkerungswillen ausreichend zu verdünnen, zumindest in der Form, die sie in den meisten liberalen Gesellschaften haben.

Und der „politische“ Liberalismus schweigt absichtlich über die Wirtschaft, um den Anschein zu erwecken, als ob die Wirtschaft etwas anderes von Politik und Gesellschaft sei. Diese Trennung ermöglicht es den Kapitalistinnen, ungehindert zu herrschen und die Bürgerinnenrechte in der „Sphäre der Wirtschaft“ aufzuheben.

Wenn sich Linke als „sozial-liberal“ bezeichnen, akzeptieren sie implizit diese Trennung zwischen Politik und Gesellschaft auf der einen, und Wirtschaft auf der anderen Seite. Wenn wir als Linke aber die Trennung zwischen Gesellschaft und Wirtschaft mitmachen, reduzieren wir im Grunde den Sozialismus auf Liberalismus – genau das, was wir in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten seit der neoliberalen Revolution gesehen haben.

Echte Freiheit erfordert daher Sozialismus, und Sozialismus steht nur dann im Widerspruch zur Freiheit, wenn wir ihn mit Bolschewismus verwechseln.

 

Leicht veränderte Übersetzung meines Artikels „The Meaning of Liberal“ auf unalienated.

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