vonAlexander Jeuk 23.07.2024

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Es ist schwierig, genau zu bestimmen, wo Donald Trump politisch steht. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass viele seiner Anhänger sich als konservativ identifizieren. Das bedeutet natürlich, dass Trump eine konservative Agenda ansprechen muss.

Für mich war das immer verwirrend. Wie kann Trump die Bedürfnisse einer starken christlichen Gemeinschaft mit seiner Wirtschaftspolitik, die den neoliberalen Shareholder-Kapitalismus nicht eingeschränkt hat, vereinen? Eine Antwort darauf erfordert die folgende Erkenntnis: Konservatismus ist indexikalisch.

Konservatismus ist indexikalisch

Was bedeutet das? „Indexikalisch“ ist ein Begriff aus der Linguistik und der Sprachphilosophie. Es bedeutet, dass ein Begriff kontextabhängig ist und von Situation zu Situation variiert. Während „Liberalismus“ oder „Sozialismus“ hauptsächlich statisch sind und durch explizite philosophische Werke wie die von Mill oder Marx definiert werden, bezieht sich „Konservatismus“ grob auf die traditionellen Werte eines bestimmten Ortes und einer bestimmten Zeit.

Das bedeutet zum Beispiel, dass das, was Marx sagte, in den USA oder in Deutschland dasselbe ist, der Konservatismus jedoch nicht, aufgrund der unterschiedlichen traditionellen Werte in beiden Ländern. Unter diesen divergierenden traditionellen Werten sticht die Religion hervor. Zweige des US-Christentums haben sich mit Formen des Raubtierkapitalismus und anderen scheinbar unchristlichen Idealen, wie der Liebe zu Waffen, assoziiert.

Varianten des Christentums: Die USA und Europa

Einige Leser*innen könnten die Verbindung zwischen Christentum und Raubtierkapitalismus weniger absurd finden als ich. Sie könnten zum Beispiel auf Max Webers leider berühmte Theorie verweisen, wie der Kapitalismus angeblich aus dem Calvinismus entstanden sei.

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Dennoch können wir beobachten, dass dieser Zweig des christlichen Glaubens sehr auf die USA beschränkt zu sein scheint – und sich zum Beispiel nicht in der Schweiz manifestierte, wo der Calvinismus seinen Ursprung hatte.

Für die meisten Christ*innen muss dieser prokapitalistische Zweig des Christentums gänzlich bizarr erscheinen. Sie würden das Christentum eher mit schwesterlicher oder brüderlicher Liebe, gemeinschaftlichem Teilen und einer Ablehnung jeglicher Form von Gewalt identifizieren; und nicht mit Konkurrenz, Eigennutz („self-interest“), dem Profitmotiv oder der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter „Märkte“.

Obwohl ich keine religiöse Person bin, haben mich die folgenden Bibelzitate lange begleitet: „Wiederum sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Ebenso: „Kein Diener kann zwei Herren dienen. Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird zudem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott und dem Geld dienen.“ Oder schließlich: „Verkauft eure Besitztümer und gebt den Erlös den Armen.“ Es sollte nicht überraschen, dass Habgier bis zum Aufstieg des Kapitalismus als Todsünde galt. Dementsprechend erschien es mir immer absurd, dass eine christliche Gemeinschaft, die euphorisch über den Kapitalismus ist, entstehen könnte.

Tatsächlich hatten konservative Bewegungen in Europa, wenn man sich diese anschaut, lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine Ablehnung des Kapitalismus gemeinsam. Stattdessen strebten sie den Aufbau und teilweise erfolgreichen Aufbau einer fürsorglichen Wohlfahrtswirtschaft an, die auf sozialen christlichen Morallehren, sowohl katholischen als auch protestantischen, basierte – was in Europa Hand in Hand mit der Sozialdemokratie und ihren Idealen einherging. Obwohl europäische konservative Bewegungen seit den 1970er-Jahren ebenfalls vom Neoliberalismus gekapert wurden, würde man beispielsweise schwer einen konservativen deutschen Politiker – oder auch einen Liberalen – finden, der eine US-amerikanische Wirtschaftsweise in Deutschland einführen möchte.

Warum wir keinen Trumpismus in Europa sehen werden

Natürlich möchte ich hier nicht sagen, dass der Trumpismus aus einem einzigartigen Zweig des amerikanischen Christentums entstanden ist. Im Gegenteil, aus neutralen europäischen Augen betrachtet, wirkt Trump wie ein zutiefst unchristlicher Playboy à la Berlusconi, der in tiefer Opposition zu christlichen Werten steht – Trump ist im Grunde die Verkörperung der sieben Todsünden auf einer rein persönlichen Ebene, unabhängig von seiner Politik. Doch Trump konnte in erster Linie einen bedeutenden Anteil der konservativen religiösen Wählerstimmen gewinnen, aufgrund der kapitalistischen Spiritualität von Teilen des amerikanischen Christentums – woher diese Ideologie auch immer stammt, weiß ich nicht.

Diese Zweige des amerikanischen Christentums erlauben es Trump, sich dem neoliberalen Kapitalismus zu verpflichten, während europäische Konservative oder rechtsgerichtete Politiker*innen, von Frankreich bis Italien bis Deutschland, eher Politik zugunsten der Arbeiterklasse unterstützen und den Wohlfahrtsstaat stärken wollen. Aufgrund der indexikalischen Natur des Konservatismus sehen wir einen massiven Unterschied zwischen Trumpismus und rechten europäischen Bewegungen. Und deshalb wird der Trumpismus wahrscheinlich auf die Vereinigten Staaten beschränkt bleiben.

 

Der Artikel ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Den Originartikel findest du hier.

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© 2024 Alexander Jeuk für den Text. Für das Bild siehe die Bildunterschrift.

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