vonAlexander Jeuk 14.05.2024

Alexanderplatz

Alexander Jeuk schreibt zu Politik, Ökonomie, Philosophie und Wissenschaft. Immer für die 99%.

Mehr über diesen Blog

Viele Schülerinnen lernen immer noch Latein in der Schule. Die Gründe hierfür mögen verschieden sein, aber als ich mich in der Oberstufe für den Lateinunterricht entschied, ließ ich mich von dem Argument leiten, dass Latein helfen kann, besser logisch zu denken.

In einem sehr eingeschränkten Sinne ist dieses Argument nicht völlig falsch, aber es ist auch nicht sehr überzeugend, und zwar aus zumindest zwei Gründen.

Was hat Latein mit Logik zu tun?

Um Latein zu lernen, muss man eine Reihe von formalen Regeln lernen. Das Befolgen formaler Regeln besteht darin, dass man sich an explizit festgelegte Regeln hält und sicherstellt, dass jede Operation, die man durchführt, einem vorgegebenen Satz von Richtlinien folgt: Zum Beispiel, Grammatikregeln über die Stellung grammatikalischer Wortarten in einem Satz wie „In einem deklarativen Satz ist die typische Wortstellung Subjekt-Objekt-Verb (SOV)“.

Da das Befolgen formaler Regeln ein Aspekt der formalen Logik ist, wie wir weiter unten sehen werden, könnte man meinen, dass Latein dazu beiträgt, unsere Fähigkeiten zum logischen Denken zu verbessern.

Ist Latein „formaler“ als andere Sprachen?

Nun, wichtig ist, dass Latein nicht stärker von formalen Regeln geleitet und in diesem Sinne „logischer“ ist als andere Sprachen. Der Schwerpunkt des Lateinunterrichts liegt lediglich auf der Übersetzung und der formalen Grammatik im Vergleich zu anderen Sprachen, die mittels Sprechens und Schreibens unterrichtet werden.

Dieser Grammatikfokus im Lateinunterricht kann dazu führen, dass man die Fähigkeit für den Umgang mit formalen Regeln stärkt – aber das muss nicht sein. Zudem, wenn andere Sprachen einen guten Grammatikunterricht bieten, können sie diese Fähigkeit ebenso stärken.

Ist das Befolgen formaler Regeln ausreichend für logisches Denken?

Noch wichtiger ist, dass das formale Befolgen von Regeln nur ein Aspekt des formalen logischen Denkens ist. Und die in Latein gelernten Regeln sind wie alle grammatikalischen Regeln willkürlich, haben viele Ausnahmen und sind nicht die Regeln des logischen Denkens.

Logisches Denken beinhaltet die systematische Anwendung etablierter Argumentationsregeln, um aus gegebenen Informationen (Prämissen), Schlussfolgerungen zu ziehen, wobei sichergestellt wird, dass jeder Schritt im Denkprozess kohärent und gerechtfertigt ist.

In diesem Sinne lernt man logisches Denken definitiv nicht im Lateinunterricht.

Warum nicht gleich Logik?

Wenn wir wollen, dass unsere Kinder logisches Denken lernen, warum unterrichten wir dann nicht gleich Logik in der Schule? Dabei muss es sich nicht um formale Logik handeln, geschweige denn um symbolische Logik, wie wir sie aus der zeitgenössischen akademischen Philosophie, der Mathematik oder der Informatik kennen, die mit dem logischen Denken des Menschen vielleicht gar nichts zu tun hat.

Stattdessen könnten wir in Schulen einfache logische Argumentationsfähigkeiten, die uns von Natur aus gegeben sind, unterrichten. Dies kann in der Form von informellem logischem Denken geschehen oder auf solchen Argumentationsformen beruhen, die seit der antiken Philosophie bzw. der mittelalterlichen Philosophie entwickelt und formalisiert worden sind. Nehmen wir zum Beispiel die logischen Formen modus ponens und modus tollens.

 

Modus ponens

 

P → Q

P

∴Q

 

Wie jede formale Nomenklatur sieht auch jene hier komplexer aus, als sie tatsächlich ist. Ein möglicher Ausdruck des modus ponens im Deutschen ist: „Wenn es regnet, dann werde ich nass.“ „Es regnet.“ „Deshalb werde ich nass werden.“

Das heißt, „P“ und „Q“ stehen für Sätze, der Pfeil drückt aus, dass die Sätze in einer „wenn…dann…“-Struktur untergebracht sind, und dieses kleine „∴“-Zeichen steht für „deshalb“.

 

Modus tollens

P → Q

¬Q

∴¬P

 

Der modus tollens kann im Deutschen folgende Form annehmen: „Wenn es regnet, dann werde ich nass.“ „Ich bin nicht nass.“ „Deshalb regnet es nicht.“

Die vielleicht lehrreichere Variante ist hier folgender Fehlschluss, der als falsche Anwendung des modus tollens angesehen werden kann.

 

P → Q

¬P

∴¬Q (ungültige Schlussfolgerung)

 

„Wenn es regnet, dann werde ich nass.“ „Es regnet nicht.“ „Deshalb werde ich nicht nass werden.“ Warum ist dies keine gültige Schlussfolgerung? Weil man auch auf viele andere Arten nass werden kann, z. B. wenn man sich aus Versehen Wasser auf die Hose schüttet.

Die Schlussfolgerung, die aus den ursprünglichen Prämissen gezogen wurde, folgt nicht notwendigerweise, weil es andere Bedingungen (wie das Verschütten von Wasser) gibt, die dazu führen könnten, dass man nass wird, unabhängig davon, ob es regnet.

Wer ist qualifiziert, logisches Denken in Schulen zu unterrichten?

Wir haben im deutschsprachigen Raum, die Obsession zu glauben, dass wer X unterrichtet (oder Tätigkeit Y ausübt), nicht nur Lehramt studiert, sondern auch ein Lehramtsstudium in X (oder Ausbildung in Y) absolviert haben muss.

Nachdem ich fünf Jahre in Nordamerika gelebt hatte, halte ich dies für unangebracht. Ich selbst habe in den USA an der Uni Kurse zu allem Möglichen unterrichtet, für Studentinnen mit Hintergründen von Accounting, über Hortikultur zu Studierenden, die sich auf ihr Medizinstudium vorbereitet haben.

Das ist ohne weiteres möglich, und in vielen anderen Ländern die Norm für fast alle Berufe, da, wenn man erstmal ein gewisses Ausbildungslevel erreicht hat, seine intellektuellen Fähigkeiten leicht generalisieren kann. Und das gilt natürlich auf für das Unterrichten einfacher Logik.

Daher denke ich, dass jede Person mit einer Hochschulausbildung logisches Denken in Schulen unterrichten kann. Wenn man jedoch beharrlich an den Wert des „zertifizierten“ Expertentums glaubt, dann sollte jede Person, die an einer Universität einen Kurs in Logik belegt hat, logisches Denken unterrichten können.

Und wenn man es noch technokratischer will, sollte jede Person, die einen Abschluss in Philosophie, Informatik oder Mathematik hat, in der Lage sein, logisches Denken zu unterrichten.

Zu schwierig für Schüler?

Manch eine mag denken, dass Logik für Schülerinnen zu schwierig ist. Ich bin ganz und gar nicht dieser Meinung.

Die informelle, einführende formale und sogar symbolische Logik scheint leichter erlernbar zu sein als das Lateinische selbst. Gleiches gilt für die Infinitesimal- oder die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die viele Schülerinnen in der gymnasialen Oberstufe für Mathematik oder Physik pauken müssen.

Ebenso ist die hermeneutische Komplexität eines Textes wie Goethes Faust wesentlich höher als die Komplexität der einführenden Logik, die auf unseren natürlichen Denkfähigkeiten beruht.

Schlussfolgerung (und ja, das ist ein Logik-Witz 😊)

Logikunterricht ist eine sehr gute Möglichkeit, die Ausbildung des logischen Denkens zu unterstützen – auf jeden Fall mehr als das willkürliche Befolgen der Grammatikregeln im Lateinunterricht, der womöglich mehr die Funktion hat, zu Sozialdistinktion beizutragen, anstelle Fähigkeiten zu vermitteln.

Und nicht nur das. Das Erlernen des richtigen Denkens und Argumentierens ist wahrscheinlich die zentralste intellektuelle Fähigkeit, die wir in der Schule vermitteln können. Dazu kann der Logikunterricht einen wichtigen Beitrag leisten.

This text is a translation from English. The original can be read on unalienated.

© 2024 Alexander Jeuk für den Text. Das Beitragsbild wurde durch KI erstellt (s. Bildunterschrift).

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/alexanderplatz/schullatein-fuer-logik-warum-nicht-gleich-logik-unterrichten/

aktuell auf taz.de

kommentare