„Die Tragödie“, schreibt Friedrich Dürrenmatt 1954 in seinem Aufsatz Theaterprobleme, „setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus“. Angesichts der „Wurstelei“ seines Jahrhunderts in der es „keine Schuldigen und keine Verantwortlichen“ mehr gebe und als Reaktion auf das aufsteigende Atomzeitalter konstatiert er allerdings: „Uns kommt nur noch die Komödie bei“. Sie schaffe „Distanz“; wir könnten das Tragische nur noch aus ihr „heraus erzielen, hervorbringen als einen schrecklichen Moment, als einen sich öffnenden Abgrund“.
Schlüsselfilm zum Super-GAU
Mit Mut zum Plakativen und Grotesken, spielt der ehemalige Saturday Night Life-Chefautor Adam McKay, in seiner jüngsten filmischen Versuchsanordnung, durch, was passieren würde, wenn aus der drohenden Zerstörung der Welt auch noch die letzte Abstraktion herausgekürzt wäre. Und stellt die Frage: darf man über die Klimakatastrophe lachen?
Hollywoods größter anzunehmender Starreigen wird in „Don’t Look Up“ mit dem Super-GAU konfrontiert. Die gesamte A-Liga, zusammen ein knappes Dutzend Oscargewinne und an die 30 Nominierungen, versammelt sich, um in einem fast unverschlüsselten film á clef das kollektive menschliche Versagen gegenüber dem Klimawandel auf die Schippe zu nehmen. McKay, der in den frühen Nullerjahren mit klamaukigen Medien- und Sportsatiren (Anchorman (2004), Ricky Bobby (2006)) bekannt wurde, und damals schon ein Gespür für gute Ensembles zeigte, gewann nach einer Hinwendung zu ernsteren Stoffen zuletzt 2016 den Oscar für das adaptierte Drehbuch von The Big Short, bei dem er auch Regie führte.
Ein bisschen on the nose ist das Ganze schon: zwei unbedarfte Physiker*innen, gespielt von Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence, entdecken, dass ein Komet auf die Erde zurast und nur noch sechs Monate Zeit bleibt, um die Erde zu retten. Schnell sitzen sie im Oval Office und in Talkshows, versuchen, vor der Katastrophe zu warnen, werden zu ihrem Entsetzen aber hier wie dort zwischen Wiederwahlerwägungen und Entertainmentsegmenten einfach wegmoderiert. Cate Blanchett als abgezockte Dailytalkerin und Jonah Hill als zynischer Stabschef der US-Präsidentin, die hier selbstverständlich von Meryl Streep gespielt wird, stehlen dabei alle Szenen, in denen sie vorkommen. Während Dürrenmatts Physiker sich noch vor der Welt versteckten, weil ihr Wissen Zündstoff war, will das Wissen, auf dem McKays Physiker*innen sitzen, so recht einfach nicht zünden.
Listen to the goddamn qualified scientists
Scheinbar gelingt es, trotz aller Widerstände, schließlich doch. Ein Plan zur Rettung der Welt entsteht und der alte Armageddonstoff aus den Neunzigern wird nochmal aufgewärmt, mit Ron Perlman als abgehalftertem Bruce-Willis-Wiedergänger, der sich als homophober Rassist und Waffennarr entpuppt. Doch just in dem Moment, in dem die Welt gerettet scheint, wird die Präsidentin durch einen Tech-Guru, von Mark Rylance als Musk/Jobs/Gates-Amalgam gegeben, überzeugt, die Mission wieder abzublasen. Der Grund: der Komet enthalte wertvolle Rohstoffe, mit denen man zum Beispiel noch mehr Handys und Laptops bauen und sich Wettbewerbsvorteile gegenüber China sichern könnte.
Das Ende vom Lied: die Rettung der Welt wird in Rylance‘ Hände gelegt, das Ganze geht schief und die, die es sich leisten können, retten sich per Kryo-Arche-Noah vor der Apokalypse, während der Rest der Menschheit ausstirbt. In einem gespaltenen Land stehen sich bis zuletzt Look-Upper und Dont-Look-Upper gegenüber. Noch als das Ende der Welt bereits besiegelt ist, die Titanic unumkehrbar auf den Eisberg zusteuert, spielt auf den Fernsehkanälen die Kapelle der Nonsensmeldungen und Fake-News. Und selbst Ariana Grande, die als leuchtender Engel im Footballstadion „Listen to the goddamn qualified scientists“ ins Mikrofon haucht, vermag es nicht mehr zu verhindern. Die Schlussszene des Films wirkt schließlich wie ein Echo auf Jonathan Franzens oft missverstandenen Beitrag zur Klimadebatte, noch im Angesicht der sicheren Katastrophe lohne es sich, zu bewahren, was man liebt.
Bei der amerikanischen Kritik fiel „Dont Look Up“ durch. Vernichtende 53% verzeichnet der Rezensionsaggregator Rotten Tomatoes. Zugegeben: die Kalauerdichte ist hoch. Viele Gags sitzen zwar, dafür tun sich Plotholes, größer als das Ozonloch, auf, und die Gaststars spielen wahlweise sich selbst oder eine Pappfigur, die nur einen Sketch lang tragen muss. Alles wie bei SNL eben. Trotz dieser Schwächen wird über den Film, vor allem wegen seines großartigen Casts, viel gelacht und anschließend an vielen Weihnachtstafeln gesprochen werden.
Keine falsche Hoffnung
„I dont want your hope.“, sagte Greta Thunberg 2019 vor dem World Economic Forum in Davos, „I want you to act as if our house is on fire. Because it is.“ Welche Kunst könnte zeitgemäßer sein, als eine, die Distanz zu den Krisen schafft, die uns allüberall bedrängen, ohne dabei falsche Hoffnungen zu machen? Dürrenmatt, mehr Existenzialist als Nihilist, wollte die Komödie nicht als Ausdruck der Verzweiflung verstanden wissen, er glaubte: „Auch der nimmt Distanz, auch der tritt einen Schritt zurück, der seinen Gegner einschätzen will, der sich bereit macht, mit ihm zu kämpfen oder ihm zu entgehen. Es ist immer noch möglich, den mutigen Menschen zu zeigen.“