vonChristian Ihle 24.02.2010

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Unverzichtbar:Ya

* Ya (I Am): Ein russischer Bilderrausch aus Wahnsinn, Drogen, White Trash, Flamboyanz, Tod, Punk, Kreuzigung und „Maria Magdalena“. Punk in Geist und Attitude: Verschwende deine Jugend in Zelluloid. Der wildeste Film des Jahres vom größten Regietalent Europas, Igor Voloshin.
* Au Revoir Taipei: Wong Kar Wais “Chungking Express” im taiwanesischen Teenager-Slapstick-Modus via Godards „ Bande à Part” und 30er Jahre Screwballkomödien! Der von Wim Wenders produzierte Debütfilm des US-Taiwanesen Arvin Chen war der schönste Film der Berlinale.
* Winter’s Bone: Der ganz harte Stoff: White Trash, Crystal Meth, Tod, Verderben und Countrytraditionals. Aber so dicht dran, so echt, so verdammt hart, dass man mitgerissen wird. Zurecht Gewinner auf dem Sundance-Festival und auch der beste Film der Berlinale.
* Blank City: No Wave in No York! Sehr gute Doku über die No-Wave-Zeit in New York Ende der 70er – und zwar diesmal über die Filmemacher (Jim Jarmusch) und Schauspieler (Steve Buscemi, Vincent Gallo), aber mit der klaren Verbindung zu den Musikern (Lydia Lunch steht im Mittelpunkt, auch Thurston Moore, James Chance und Debbie Harry werden durchgehend interviewt). Ohne Abstriche empfehlenswert.
* Exit Through The Gift Shop: Banksy Superstar. Ein einziger Wahnsinn, ein unterhaltsamer zudem. Man weiß bis jetzt noch nicht, was stimmt und was nicht, was aber im Grunde auch egal ist, weil sich die Fragen darüber, was Kunst eigentlich ist, wie sehr das wiederum objektiv bemessbar wäre und wie schmal der Grat zu Kitsch ist, sich so oder so stellen lassen.
* Eastern Drift: Von der Unmöglichkeit ‘nein’ zu sagen, ohne sich umzubringen.
* The Oath: Osama bin Ladens früherer Leibwächter Abu Jandal gewährt sehr persönliche Einblicke in die Welt des Jihad-Terrorismus.

Empfehlenswert:

candydarling

* Beautiful Darling (The Life & Times Of Candy Darling): gute, herzerwärmende Dokumentation über Candy Darling. Das kurze Leben von Andy Warhols transsexuellem Factory-Girl aus der Sicht ihres besten Freundes.
* Howl: “Howl” – das berühmteste Gedicht von Allen Ginsberg, seine Entstehung und seine Verwicklung in eine Obszönitätsanklage. Ein ordentlich bis guter Film, bei dem lediglich die Bebilderung von „Howl“ selbst via Animationen nach einiger Zeit ziemlich auf die Nerven geht.
* Shutter Island: Das Kabinett des Dr. Caligari auf der ungastlichsten Insel der Welt. Ein guter, handwerklich brillanter Horror-Thriller mit einem nachvollziehbaren Plot-Twist am Ende. Allerdings auch kein „Shining“.
* The Ghost Writer: Ein meisterhaft inszenierter Mainstream-Politthriller und zweistündiges Tony-Blair-Bashing. Leidet ein wenig unter der recht betulichen Geschichte, die bei weitem nicht so aufregend ist, wie sie selbst denkt. Aber andererseits auch mal wieder ganz erholsam, wenn ein Politthriller sich nicht andauernd überschlagen muss vor Aktion. Der Anti-Bourne.
* Sex & Drugs & Rock & Roll: über Ian Durys Leben (gespielt von Andy „Gollum“ Serkis). Ein vernünftiger Film, der sich jegliche Glorifizierung des alten Pub/Punk-Rockers Dury versagt, ihn dafür aber dermaßen unsympathisch zeichnet, dass es etwas schwer fällt, sich in den Film emotional hinein zu finden.
* Tuan Yuan: „Doktor Schiwago“ meets „Das große Fressen“.
* How I Ended This Summer: Der Mensch ist dem Menschen ein Eisbär.
* Shekarchi (The Hunter): Ein langes, formalistisches, ruhiges Nichts, das dennoch seinen Wert hat.
* Zona Sur: Alienation & Despair in der bolivianischen Oberklasse, erzählt mittels ewig drehender Kamera und Soap-Opera-Ingredienzien.
* Please Give: Der schönste Reichtum lässt die linke Oberklasse nicht ruhen. Gutes muss sie tun!

Erträglich:

caterpillar

* Caterpillar: Subtilität gibt’s woanders, denn hier hat der Kriegsversehrte keine Beine, keine Arme, ein entstelltes Gesicht, ist taub und stumm.Was Glück, dass die primären Geschlechtsorgane noch funktionieren, denn so kann man daheim wenigstens noch die Ehefrau vergewaltigen. Unerträglich im besten Sinne, klassischer Wakamatsu, sozusagen.
* The Kids Are All Right: „Sideways“ ohne langweilige alte Männer, dafür mit Julianne Moore und Annette Bening als lesbisches Paar.
* Welcome To The Rileys: „Twilight“-Star Kristen Stewart macht sich nackig.
* Boxhagener Platz: Auch in der DDR war man ein bisschen unangepasst. Viel zu Essen gab’s und sogar die alten Frauen hatten fünf an einer Hand. Geradezu spektakulär unspektakulärer Fernsehfilm für die Ü50-Generation, der es rätselhafterweise in die Kinos und auf die Berlinale geschafft hat. Mit einem heillos unterforderten Jürgen Vogel und einer hübschen Meret Becker.
* Greenberg: “Lost in L.A.” von Woody Allen als Mainstreamvariante eines Mumblecore-Movies. Ben Stiller in einer Art Indie-Film, bewusst das übliche overacting vermeidend. Kein schlechter Ansatz, aber am Ende dann weder richtig Indie (Mumblecore!) noch Mainstream genug, um wirklich zu überzeugen.
* Red Hill: Halloween in einem Neo-Post-Western, der im australischen Hinterland spielt.
* Submarino: Die Folgen elterlichen Versagens in einer trostlosen Welt, bevölkert von kaputten Persönlichkeiten.
* Kosmos: Es gilt die alte Roger-Ebert-Regel: Wenn Du dich fragen musst, für was ein Symbol steht, dann ist es kein Symbol.
* The Counting Of The Damages: Ödipus, ick hör dir trapsen! Sehr, sehr deutlich!

Ärgerlich:

edways

* Bedways: Nackte Menschen in Berliner Altbauwohnungen – ein prätentiöser Film-im-Film-Kunstporno.
* Jud Süss – Film ohne Gewissen: Man hat’s nicht leicht als Schauspieler. Vor allem als Deutscher unter den Nazis, wenn Goebbels einen Narren an einem gefressen hat. Ein richtig missratener Film von Oskar Roehler, der sich für seine Idee eines Douglas-Sirk-Melodrams dann doch die falsche Geschichte ausgesucht hat. Schrecklich chargierende Schauspieler tun ihr übrigens und Moritz Bleibtreu als Reichspropagandaminister Goebbels: eine gute Idee! NICHT!
* Fin (End): Eine Meditation über die Kommunikationsunfähigkeit der heutigen Jugend mit dem Fallbeispiel „Suizid im Internet“.
* Kanikôsen: Proletarier aller Länder, vereinigt euch. Auf dem Panzerkreuzer Potemkin.

Texte: Christian Ihle & Silvia Weber

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