Bevor ich abends zu den Partys gehe, sitze ich meinem Hotelzimmer und arbeite ein bisschen, die Tür zum Badezimmer steht offen. Es raschelt. Es hatte schon am Tag vorher geraschelt. Nun ist es so, dass ich sehr gut das Geräusch kenne, das Mäuse machen, wenn sie zum Beispiel hinter einer Holzverkleidung wohnen. Dieses Rascheln und Trappeln im Hotel ist lauter. Ganz am Anfang dachte ich, da macht jemand was im Nebenzimmer, aber kein Mensch kann so lange im Bad sein und ständig mit irgendetwas rascheln. Frage mich, ob ich nicht nur den Klodeckel zumachen soll, sondern auch etwas drauflegen, vergesse den Gedanken aber kurz darauf schon wieder und gehe irgendwann los.
Verlasse also das Rattenloch und fahre zum Literaturhaus, wo es einen „Pop-up-Empfang“ geben soll, von verschiedenen Verlagen und Institutionen, als eine Art gemeinsames Spaßevent jenseits vom Messealltag, vielleicht von Rowohlt auch als Entschuldigung, dass es keine Rowohlt-Party mehr gibt, wer weiß. Es ist ja selten so, dass etwas gut ist, wenn es mit „Pop up“ beginnt, und bei einem Empfang macht es irgendwie auch wenig Sinn, der poppt ja naturgemäß eh nur für einen Abend auf, aber gut, dieser Pop-up-Empfang jedenfalls ist eine Art absurdes Theaterstück. Auf dem Weg dahin erreicht mich noch eine SMS: „Komm nicht zum Literaturhaus, es ist zu weird“, aber da bin ich schon aus dem Taxi gestiegen.
In einem Saal im Literaturhaus stehen Menschen rum, zwischen ihnen Schilder, die wie selbstgemacht aussehen sollen oder es sind, und diese Schilder stecken in Bierkästen, die auf dem Boden stehen. Auf den Schildern steht: Rowohlt, Diogenes, Kampa, Dörlemann, und so weiter. Drumherum stehen jeweils die verzweifelt lächelnden Verlagsangehörigen und bieten jedem, der in ihre Richtung schaut, ein Bier aus ihrer Kiste an. Es ist, als hätte man nach der Revolution versucht ohne Budget die Buchmesse nochmal aufzubauen. Blankes Elend, wenn man die Partys früher kannte.
Es gibt Bier und Wasser kostenlos, Wein gibt es nebenan, man muss ihn bezahlen. Wir kaufen ein paar Gläser und stellen uns raus, es ist dann doch noch ganz nett, wir reden über das neue Buch von Deniz Yücel und wie er im Knast Minze gezüchtet hat. Bei den Razzien hat er sie im Kühlschrank versteckt, weil er gemerkt hat, dass die Typen, die seine Zelle durchsuchen mussten, da nie reinguckten. Kühlschrank, Frauensache, logo.
O. und ich überlegen, noch zur Hanser-Party zu gehen, andere bekommen das mit und sagen: „Geht da nicht hin, da sind alle alt und stehen rum. Geht da nur hin, wenn ihr Bock auf Depressionen habt.“ Gleichzeitig bekomme ich eine SMS: „Komm zu Hanser.“ Ich erinnere mich, dass es bei Hanser immerhin immer Freigetränke gab und wir laufen da rüber. Als wir ankommen, sagt ein Freund: „Ich glaube, es ist die beste Hanser-Party ever. Wir haben sogar über Drogen geredet.“
O. und ich gehen zur Bar, da liegen überall Kassenzettel. Ich frage: „Warum liegen da Kassenzettel“, aber die Frage ist dumm, sie liegen da, weil gespart wird. Auf der ganzen Buchmesse wird überall an allen Ecken und Enden gespart, und fast alles, was früher kostenlos war, ist es heute nicht mehr. Ich kenne nur die letzten sieben Jahre, und allein in dieser Zeit hat sich die Buchmesse komplett verändert.
Früher habe ich es immer ganz gut hinkriegt mich mit sehr wenig Geld durch die Messe zu essen und zu trinken. Ich hatte damals so gut wie kein Geld, und tatsächlich war es möglich, einfach auf so viele Empfänge zu gehen, überall zwei Häppchen zu essen und ein Glas Sekt zu trinken, dass man – okay, sofern man vorher morgens im Hotel gefrühstückt hatte – ziemlich gut kostenlos durch den Tag kam. Mein Twitter-Bio-Text „Essen Sie das noch?“ stammt aus dieser Zeit. (Ich kann mir inzwischen sehr gut eigenes Essen leisten, der Spruch macht keinen Sinn mehr, ich bin nur zu faul ihn zu ändern.) Heute gibt es so gut wie kein Event mehr mit Häppchen, die Getränke kosten Geld, und auf dem Messegelände sitzen ab 19 Uhr, also zu der Zeit, als man früher Bücher geklaut hat, einsame junge Menschen und sind „Standwache“.
„Früher gab es noch Brezeln“, sagt ein Kollege, und er sagt das so wehmütig, als wäre es früher toll gewesen, dass es Brezeln gab, und natürlich mochte eigentlich kaum jemand diese Brezeln, aber sie waren da, man konnte sie sich nehmen, wenn man Lust auf etwas salzigen Bauschaum hatte. (Über Brezeln bei solchen Veranstaltungen hat Leo Fischer mal den endgültigen Text geschrieben, bitte lesen.)
Wir stehen ein bisschen rum, nicht mal die Hanser-Autorinnen bekommen ihre Getränke kostenlos, aber immerhin finden wir heraus, dass das erst ab null Uhr so ist, vorher gab es welche. Jemand, der sein Getränk kurz vor Mitternacht bestellt hatte, und es dann um 00:00 Uhr hingestellt bekam, musste es bezahlen. Wir kaufen ein paar Gin Tonics, kriegen dann von einer freundlichen Verlagsmitarbeiterin ein paar ausgegeben, denn die Verlagsmitarbeiter_innen haben gelbe Bändchen, mit denen sie Freigetränke kriegen, und es wäre irgendwie lustig, wenn diese Verteilung dazu führen würde, dass die Verlagsmitarbeiter_innen alle hackedicht sind und die anderen armen Schweine alle an einer inzwischen warmen Apfelschorle lecken, aber so ist es nicht, irgendwie kommen dann doch alle klar.
Suche irgendwann den Verleger und sage, kauf mir eine Cola. Er sagt, dass ich nur wegen der Cola zu ihm komme, und ich sage, es stimmt, aber wir unterhalten uns trotzdem, dann geht irgendwann die Musik aus und alle werden rausgefegt. Laufe zurück ins Hotel, Vögel singen und ein Mann brüllt irgendwas.
Die Öko-Bilanz einer Brezel ist laut einer Studie des Fraunhofer-Institutes sehr stark abhängig vom Ort des Verzehrs.
So ist in Emden, wo der Windstrom-Anteil bei fast 70 % liegt, in der Well-to-Mouth-Betrachtung die CO2-Belastung nur ein Drittel gegenüber dem Verzehr in Frankfurt.
Daher bin ich dafür, die Frankfurter Buchmesse nach Emden zu verlegen – wegen der Brezel.