Normalerweise ist die Zeit kurz vor der Buchmesse die, wo man (also, wenn man da hin fährt um drüber zu schreiben) sich hektisch noch die letzten Neuerscheinungen reinfräst und wo man versucht, sich mit Leuten zu verabreden, die man immer nur auf der Messe sieht; man führt spekulativen Smalltalk darüber, wer wohl einen Preis bekommen wird, beschwert sich, dass die Shortlist diesmal irgendwie langweilig ist und wenig divers, und man hofft natürlich, dass diejenige Person gewinnt, mit der man am meisten befreundet ist und hoffentlich nicht dieser eine ätzende Vogel (kein Bezug zur aktuellen Nominiertenliste, denn ich hab vergessen, wer nominiert ist und schreibe diesen Text ohne Internetempfang, also, evtl. natürlich aus Versehen doch Bezug zur aktuellen Liste, hehe).
Dieses Jahr ist die Zeit kurz vor der Buchmesse die, wo alle darüber spekulieren, ob sie überhaupt stattfindet, weil: Corona. Jede Buchmesse ist natürlich ohnehin schon eine äußerst keimige Angelegenheit, nach der alle hinterher erkältet sind. Im Grunde ist die Messe so konzipiert, dass man auch glauben könnte, sie sei ein eigens zur Zirkulation aktuell verfügbarer Viren und Bakterien angelegter Brutkasten: Eine sechsstellige Zahl von Menschen aus allen möglichen Ländern findet für vier bis sechs Tage auf äußerst engem Raum zusammen, tatscht Bücher an und begrüßt sich mit Küsschen links und rechts, schläft wenig und trinkt und kokst viel und spült die Sektgläser am Stand so halbherzig ab, als hinge sie nicht sonderlich am irdischen Leben.
Interessant wäre rauszufinden, ob die Tatsache, dass sich die Anzahl der verteilten Häppchen und Kekse in den vergangenen Jahren aufgrund von Sparmaßnahmen drastisch reduziert hat, dazu geführt hat, dass die Ansteckungsquote gesunken ist, weil weniger auf gemeinschaftlichen Tabletts und in Schalen rumgegrabbelt wird, aber ich fürchte, diese Studie wird nie jemand durchführen.
Lustig wäre – falls die Messe ausfällt – , wenn der journalistische Teil des Literaturbetriebs sich verabreden würde, einfach trotzdem so zu berichten, als würde die Messe gerade stattfinden, Fake News als Kunst. Alle würden trotzdem unter dem Hashtag #lbm20 twittern, geplante Podien würden einfach erfunden und mit Handpuppen dargestellt und es wär vermutlich genauso lehrreich, aber doppelt so witzig wie sonst. Die Relotius-Sache auch mal als Chance sehen und zeigen, was richtig guter Fantasie-Journalismus wäre.
Nicht lustig wäre, wenn die Messe trotzdem stattfindet und dann mitten im Paulo-Coelho-Karl-Ove-Knausgård-whatever-Podium in Halle 3 jemand einen Hustenanfall kriegt, einfach wegen der immer viel zu trockenen Luft, und dann eine Massenpanik ausbricht und – nee. Oder, naja, wenn sie doch stattfindet und es zwar keine Massenpanik gibt, aber danach alle das Coronavirus haben.
Aktuell schreiben die Veranstalter auf Twitter (hab mich jetzt doch mal ins sogenannte Netz eingeloggt): „Wir finden statt!“ – Na mal gucken.
Meine Vorbereitung auf die potentielle Messe war ziemlich dürftig, weil ich seit ein paar Monaten krank bin (kein Corona) und nur ein ziemliches Minimum arbeite, also ehrlich gesagt habe ich von den neu erschienen Büchern exakt die drei gelesen, auf denen hinten oder vorne ein sogenannter Blurb von mir drauf ist (dieses Werbezitat, wo jemand anders das Buch oder die Autorin insgesamt lobt), Fame und Elend liegen so nah beieinander. Gelesen hab ich also die Bücher von Paula Irmschler, Christina Clemm und Kübra Gümüşay. Alle sind sehr gut, so viel ist sicher. Ansonsten hab ich fast keine Ahnung, was aktuell so erschienen ist, außer die paar Sachen, die mir geschickt wurden, aber das sind nicht so viele, weil ich mich irgendwann von diesen Presseverteilern abgemeldet habe, über die man immer ungefragt all die Rezensionsexemplare bekommt, die dann inklusive Folie ungelesen im Regal verrotten und keinen Joy sparken. Allermindestens für die drei, deren Bücher ich so gut finde, wäre es schade, wenn die Messe ausfällt und sie ihre Veranstaltungen nicht machen können und dann weniger Leute von ihnen hören und ihre Texte weniger gelesen werden. Das wär frech vom Schicksal, aber noch frecher wär, wenn alle krank werden.
[…] die fragen, ob die Buchmesse tatsächlich stattfinden sollte. So schreibt beispielsweise der TAZ-Blog: »Jede Buchmesse ist natürlich ohnehin schon eine äußerst keimige Angelegenheit, nach der alle […]