vonMario Zehe 21.12.2022

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Im November diesen Jahres wäre Charles M. Schulz, der geniale Schöpfer der Comicstripserie PEANUTS, einhundert Jahre alt geworden. Der bereits im Jahre 2000 verstorbene Zeichner verfügte zwar vor seinem Tod testamentarisch, dass die seit 1952 erschienene Serie von niemand anderem weitergeführt werden dürfe. Allerdings wurde dieser Versuch des Autors, auch posthum die Deutungshoheit über sein Werk zu wahren, durch die ungehemmte kommerzielle Ausschlachtung der Figurenwelt der Peanuts recht bald unterlaufen. Die Entrichtung entsprechender Tantiemen an die Rechteinhaber von Peanuts Worldwide LLC vorausgesetzt lässt sich unter der Marke heute so ziemlich alles verkaufen.

So verhält es sich wohl auch mit einem kleinen Ratgeberbändchen mit dem Titel ENTDECKE DEN CHARLIE BROWN IN DIR (engl. BE MORE CHARLIE BROWN), das in Schulz’ Jubiläumsjahr beim Verlag Dorling Kindersley erschienen ist. Auf dem Klappentext verspricht es „kluge Ratschläge, mit denen jeder sein Glück findet, es mit lieben Menschen teilen kann und lächelnd durch alle Lebenslagen kommt.“ „Der Experte für kleine und große Enttäuschungen“ soll hier als Inspiration herhalten, niemals aufzugeben und das eigene Scheitern zuallererst als Chance zu begreifen. Dass nun also ausgerechnet jener über sein permanentes Scheitern depressiv gewordene Charlie Brown zum Posterboy jenes Weltbildes avancieren soll, das sich kompromisslos dem positiven Denken verschrieben hat, bedarf – so denke ich – schon eines genaueren Hinsehens.

Das kleine Bändchen präsentiert fünfundzwanzig Kalendersprüche aus den Sphären mentaler Positivität, die jeweils auf einer Doppelseite entfaltet werden: Sein Ziel im Auge zu behalten und sich von äußeren Widrigkeiten nicht unterkriegen zu lassen, achtsam zu sein und mit offenen Augen durch das Leben zu gehen, sich auch nach den schlimmsten Niederlagen wieder aufzurichten, ein Lebensmotto zu entwickeln und mit Anderen zu teilen, das Gute in Anderen zu suchen und den Glauben, dass sich Mitmenschen zum Positiven wandeln können, nicht zu verlieren, und so weiter und sofort. Zur Seite gestellt werden den Ratschlägen einzelne Panels aus dem reichhaltigen Fundus knapp fünfzigjähriger Peanuts-Geschichte, in denen passenderweise weniger die alltäglichen Desaster Charlie Browns und seiner Freunde abgebildet, sondern allerhand Lebensweisheiten aus eben deren Mündern zu „hören“ sind. Die Peanutswelt – das lässt sich hier gut sehen – ist eben auch eine Welt des Mitgefühls, der Solidarität und der freundschaftlichen Vertrautheit.

Sollte man sich nun deshalb – in Anlehnung an Albert Camus berühmte Interpretation des Sisyphos-Mythos – Charlie Brown „als einen glücklichen Menschen vorstellen“, so wie es die Autor*innen des hier besprochenen Büchleins scheinbar tun? Man könnte die Frage vielleicht bejahen, wenn man annähme, dass dessen permanentes Scheitern ein erfolgreicher Baseballspieler zu sein, dem rothaarigen Mädchen seine Liebe zu gestehen oder einen Drachen steigen zu lassen, ohne dass sich dieser im Astwerk des nächsten Baumes verfängt, „nur“ aus einem zu Wenig an Anstrengung und Willenskraft resultiert. Aber es ist eben nicht – ein prinzipiell abstellbares – Unvermögen, das ihm die Dinge misslingen lässt, sondern etwas ganz anderes. Und genau da kommen die Ratschläge der positiven Psychologie an ihre natürliche Grenze.

Es gelingt Charlie Brown nämlich nicht, aus seinen Verhältnissen zu treten oder diese zu seinen Gunsten zu verändern. Stattdessen unterwirft er sich stets den Regeln und Launen Anderer. Wissend dass ihm zum Beispiel die maligne Lucy einmal mehr den Football kurz vor dem finalen Tritt wegziehen wird, nimmt er – schon mit seinem Schicksal hadernd – dennoch Anlauf, tritt dann ins Leere und kommt auf die stets gleiche demütigende Art und Weise zu Fall. Statt immer wieder an das Gute im Menschen zu glauben, wäre es durchaus in Charlies Sinne, von der Existenz von Schlecht- bzw. Bösartigkeit in der Welt Kenntnis zu haben und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen. Sollte es eines Ratschlages bedürfen, wäre es meiner Meinung nach der, eher einmal „Ich möchte lieber nicht“ zu sagen. Mehr Negativität wagen! Natürlich könnte Charlie auch einfach mal nach Lucy anstatt des Balles treten…

Infos zum Buch gibt es hier.

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