vonMario Zehe 27.01.2023

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von Infanterieeinheiten der Roten Armee befreit. Die Soldaten stießen dort auf mehrere tausend entkräftete und kranke – vor allem weibliche – Häftlinge, die im Lager unter elenden Bedingungen vor sich hin vegetierten. Trotz aller Versuche von Lagerleitung und SS, die Spuren des fünf Jahre währenden Massenmords vor Aufgabe des KZ zu beseitigen, wurde den Befreiern die ganze schreckliche Tragweite des Lagers und seiner Nutzung relativ schnell klar.

Seit 2006 wird dieser Tag auf Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen als Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus weltweit begangen. Neuere Studien der Jewish Claims Conference zeichnen ein ambivalentes Bild vom weltweiten Wissensstand über den Holocaust bei den (Post-)Millenials: Einerseits gibt es gravierende Wissenslücken und teilweise hohe Zustimmungsraten zu geschichtsrevisionistischen Aussagen. Andererseits wird gerade in Deutschland die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus von der übergroßen Mehrheit als wichtig bis sehr wichtig eingeschätzt.

Die letzten noch lebenden Zeitzeugen des nationalsozialistischen Massenmords werden aber nicht mehr lange da sein, um mit jungen Menschen über die immer noch drängenden Fragen von Schuld und Verantwortung ins Gespräch zu kommen. Zugleich erweisen sich Teile des Worldwidewebs als virulente Echokammern schon lange währender Falschbehauptungen und Geschichtsmythen. Auf der anderen Seite dienen Jugendlichen – neben Filmen und Serien – insbesondere die neuen Medien der seriösen Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte.

Lange her erscheinen dagegen die kontroversen Debatten um die Tauglichkeit von Comics, die Geschichte des Nationalsozialismus angemessen zu vermitteln. Die Hitler-Biografie von Friedemann Bedürftig und Dieter Kalenbach stieß Ende der Achtziger Jahre auf ein eher geteiltes Echo und auch Art Spiegelmanns mittlerweile als kanonisch geltende Graphic Memoir MAUS über die Holocaust-Erinnerungen seines Vaters brauchte einige Zeit, um allgemeine Anerkennung zu erfahren. Insbesondere an der Darstellung der Täter und Opfer mit Tiermasken (Katzen, Schweine, Hunde und eben Mäuse) hat man sich lange gerieben. Aufsehen erregte zwar zuletzt die Entscheidung der Schulbehörde eines US-Countys, die Verwendung des Comic im Unterricht aufgrund „unangemessener“ Ausdrücke und Abbildungen zu verbieten. Doch mehrheitlich schüttelte man ob dieser ignoranten und geschichtsvergessenen Entscheidung nur noch erstaunt die Köpfe.

In einem Gespräch rekonstruierten im vergangenen Jahr die Comicexperten Jonas Engelmann (Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Markus Streb (Historiker mit dem Schwerpunkt Gender in Comics über die Shoa) die Rezeptionsgeschichte des Comic MAUS und diskutierten über die Möglichkeiten des Comiceinsatzes in der historischen Bildung zu Shoa und Nationalsozialismus. Ein ganz aktueller Beitrag des Deutschlandfunk Kultur widmet sich ebenfalls dem Hauptwerk Art Spiegelmanns, zieht aber auch neuere – in Deutschland und Frankreich erschienene – Werke heran, um die Möglichkeiten der Vermittlung nationalsozialistischer Geschichte auf Basis (auto-)biografischer Erinnerungen in Comics vorzustellen und zu diskutieren.

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