vonMario Zehe 06.03.2023

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Vor knapp zehn Jahren erschien Fabien Nurys und Thierry Robins comicale Groteske über die letzten Lebenstage Josef Stalins: Der sowjetische „Woschd“ (dt. Führer) der Sowjetunion liegt nach einem Schlaganfall im Sterben. Die um ihn versammelte Kamarilla – bestehend aus Geheimdienstchef Beria, Verteidigungsminister Bulganin, dem stellvertretenden Vorsitzendem des Ministerrates Malenko und dem Moskauer Parteichef Chruschtschow – sieht im dabei mehr oder weniger tatenlos zu. Zunächst aus Angst und Unsicherheit, dann in zunehmender Gewissheit des bevorstehenden Todes Stalins aus Kalkül und Strategie. Der mit bitterbösen Humor unterlegte Comic über die ausbrechenden Diadochenkämpfe zwischen den vier engsten „Vertrauten“ des sowjetischen Partei- und Staatschefs wurde schließlich 2017 verfilmt und lief weltweit mit einigem Erfolg in den Kinos, wenn auch die ganz großen Filmpreise ausblieben. In Russland entzog man übrigens die dem Filmverleih zunächst erteilte Lizenz unmittelbar nach Anlaufen des Filmes wieder, ganz offensichtlich widersprach eine solche „Entehrung“ Stalins und seinem Andenken der offiziellen Kulturpolitik in Russland.

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Der Comic THE DEATH OF STALIN und seine Verfilmung sind als eine Art Kammerspiel angelegt, die Handlung findet großenteils in Stalins Datscha in Kunzewo bei Moskau statt. Leser*innen bzw. Zuschauer*innen verfolgen die Machtkämpfe um die Nachfolge Stalins aus der Innenperspektive des stalinistischen Machtzentrums. Für die äußeren „Ränder“ des Stalinismus – also die Opfer des Terrorregimes – wird nur wenig Interesse gezeigt. Das passt auch zur satirischen Zuspitzung der Erzählung, die sich mit Bildern von Millionen vertriebenen, verhungerten und hingerichteten Menschen nur schwer vertragen hätte. Diese Leerstelle muss demzufolge als historischer Kontext des Plots dazugedacht werden, um der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit klar zu sein. Vor allem in pädagogischen Kontexten ist das wirklich von Belang.

In der ARTE-Mediathek befindet sich seit Anfang März die dokufiktionale Serie STALIN – LEBEN UND STERBEN EINES DIKTATORS, welcher es gelingt, die Ereignisse um den sterbenden Stalin in Worte und Bilder zu bringen und mit einer Dokumentation des stalinistischen Herrschaftssystems – seiner Täter und Opfer – zu verbinden. Für den ersteren Strang der Serie existieren bekanntlich kaum zuverlässige Quellen (und schon gar keine fotografischen oder filmischen), sondern in erster Linie die Aussagen der in diesen Tagen anwesenden Personen (Politiker, Stalins Kinder, Leibwächter und Personal), die aus verschiedensten Gründen ihre je eigene Sicht auf die Vorfälle in Kunzewo geäußert haben.

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Der Comiczeichner und Illustrator Vincent Burmeister hat dafür grafische Szenarien entwickelt, die den tatsächlichen Geschehnissen vermutlich ziemlich nahekommen und doch als gezeichnete Geschichte ihre Fiktionalität nicht verbergen sowie in ihrer Skizzenhaftigkeit und zurückgenommenen Bewegtheit eine Distanz zu den Zuschauer*innen aufbauen. Meiner Meinung nach ein Vorteil gegenüber solchen Dokufiktionen, welche auf die emphatische Nachstellung historischer Ereignisse durch Schauspieler setzen und damit die Grenze zwischen Fakt und Fiktion schwammig werden lassen. Der dokumentarische Teil der Serie wiederum setzt auf die bekannte Kombination einer auktorialen Erzählerinnenstimme mit filmischen und fotografischen Quellenmaterial. Erfreulicherweise wird auf die heute bei historischen Dokus mittlerweile übliche Einspielung von Experteninterviews verzichtet.

Fragt sich am Ende nur, worin eigentlich der historiografische Mehrwert der expliziten Darstellung des sterbenden Stalin in einem populärwissenschaftlichen Format bestehen soll. Für den Comic und dessen Verfilmung stellt sich diese Frage so nicht, weil hier – und nur hier – der Aspekt der voyeuristischen Neugierbefriedigung sein adäquates Medium findet. Das kann aber natürlich nicht das Anliegen eines Dokumentarfilms sein. Es ließe sich argumentieren, dass die Dokumentation eine Blackbox öffnet, die einem breiten öffentlichen Interesse nach der Aufarbeitung einer Epoche entspricht – sowohl inner- als auch außerhalb Russlands. So zeigt sich, dass Stalin zum Schluss selbst Opfer seines Schreckensregimes geworden ist: Es fanden sich nach einer insbesondere gegen jüdische Ärzte gerichteten Kampagne schlicht keine fähigen Ärzte mehr, die ihn hätten angemessen behandeln können bzw. dazu überhaupt bereit waren.

Die Aura des Schreckens und der Angst verlässt selbst den im Sterben liegenden Stalin nicht und erklärt das (Nicht-)Handeln der Beteiligten im abrupt implodierenden Machtzentrum der Sowjetunion. Davon abgesehen sorgt der Film für eine Herstellung bildpolitischer Gerechtigkeit angesichts der massenhaften Bilder, die von den Millionen Opfern des Regimes und den letzten Momenten ihres Lebens existieren. Fotodokumente und filmisches Quellenmaterial von Misshandlungen und Exekutionen, welche meist von den Tätern stammten und zur Dokumentation der stalinistischen Gräueltaten heute ganz selbstverständlich gezeigt werden, nicht nur in diesem Film.

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