vonMario Zehe 28.02.2025

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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In der grafischen Erzählung „Los Angeles – Der vergessene Stern der Laurie Bloom“ aus dem Jahre 1980 begeben sich die französischen Comicautoren Pierre Christin und Enki Bilal auf die Suche der „verschwundenen“ (real gar nicht existenten) Filmdiva Laurie Bloom. Der Band liefert ein grandioses visuelles Portrait der kalifornischen Metropole samt seiner reklametafelgesäumten breiten Straßen, und zeigt uns L.A. durchaus als glamourösen Ort, wenn auch als einem in Verfall begriffenen. Als beinahe ein halbes Jahrhundert später die Leipziger Comiczeichnerin und Illustratorin Anna Haifisch als Stipendiatin im Jahr 2022 in der Künstlerresidenz Villa Aurora – einstmals Domizil des exilierten Schriftstellers Lion Feuchtwanger – ankommt, schwebt ihr noch etwas ganz anderes vor, als die „Stadt der Engel“ zur Kulisse oder gar zum eigentlichen Akteur einer Erzählung zu machen. Ein Kinderbuch über „little insects in a dark and cold German forest“ (so die Autorin im Paratext auf der vorletzten Seite) sollte dort eigentlich entstehen, aber es kam anders.

Entstanden ist stattdessen mit READY AMERICA (Rotopol) ein quietschbunter Bildband, basierend auf schraffierten Buntstiftzeichnungen Haifischs, in denen es förmlich wimmelt von Verkaufsschildern, Reklameplakaten und offiziellen Infotafeln, von realistisch anmutenden Ansichten von Haus- und Plakatwänden, Medikamentenverpackungen und Getränkedosen in Supermarktregalen, aber eben auch von zahlreichen Cartoonfiguren aus den Universen der Jim Henson Company („Muppets“ & „Sesamstraße“) und der Warner Bros. („Looney Tunes“). In einem strengen Raster werden auf jeder Seite je zwei Bilder gegenübergestellt, wobei jedes Panel je ein Motiv enthält. Insgesamt wirken die Zusammenstellungen auf den meisten Seiten zusammenhangslos und verwirrend, handelnde Protagonisten fehlen ebenso wie eine wahrnehmungsleitende Erzählerstimme.

© Anna Haifisch, 2024

Und auch die Beziehung zwischen Schrift und Bild ist nicht ganz unkompliziert: Einerseits liefern die Panels „lautlose“ und unkommentierte Ansichten, kommen also ohne Sprech- bzw. Denkblasen und Textkästen aus, und doch sind Texte als Bestandteile der Bilder selbst omnipräsent, wenn nicht gar zentral für die Wahrnehmung der Bilder: Ein fröhlich buntes typographisches Durcheinander grüßt von den Plakaten und Wänden und hinterlässt den Betrachter gleichermaßen amüsiert wie ratlos. „Everything I learned meticulously in terms of typography at art school in Germany was totally ignored on every small business sign and billboard in Los Angeles“ (abermals aus dem Paratext).

© Anna Haifisch, 2024

Doch wenn auch die Lücke zwischen den Einzelbildern kaum mit narrativem Inhalt „gefüllt“ werden und so die Bilder zu einer größeren Erzählung zusammengeschlossen werden können, heißt das nicht, dass es gar keine logische Verbindung zwischen den Bildern gibt. Wir haben es hier mit einer Sequenzierung im Sinne eines „aspect-to-aspect“ (Scott McCloud) zu tun, in der zwar keine Geschichte erzählt, aber durchaus unterschiedliche Gesichtspunkte bzw. Ansichten eines Ortes und seiner Stimmungen präsentiert werden, die sich durchaus auch sinnhaft zusammenfügen lassen: Hinter den Banalitäten und Absurditäten des Alltags lauert immer schon die ganz große Katastrophe; das gilt nicht nur, aber ganz besonders im Land der Erdbeben und Megabrände. Eben in diese Erwartung des Schlimmsten verweist letztlich auch der Titel des Comics, der einer Werbeanzeige eines Anbieters von Trinkwassernotrationen („The Disaster Supply Professionals“) entnommen ist. Bleibt schließlich noch anzumerken, dass die Villa Aurora, zeitweiliger Aufenthaltsort der Autorin, welcher im Comic immer wieder zitiert wird, vor wenigen Wochen beinahe selbst von den Flammen eines gigantischen Waldbrandes verschlungen wurde.


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