Neben den besten Wünschen für angenehme Feiertage und einem guten Rutsch in ein gesundes, erfolgreiches und hoffentlich auch von mehr Frieden erfülltes 2016 möchte ich mich mit der Übersicht meiner jüngsten Buchlektüre verabschieden. Und wie immer, beginnend mit den neuesten Erscheinungen:
AERA – Die Rückkehr der Götter von Markus Heitz (2015) ist ein WOW-Roman erster Güte, der sich durch überzeugende Charaktere, eine rasante Entwicklung und die schier endlose und exzellent recherchierte Zahl von Göttern, Göttinen und Göttchen auszeichnet. Ich wünsche Markus eine baldige Übersetzung in andere Sprachen – denn mit seiner Geschichte würde er in einem Schritt den Pantheon der international herausragenden SF-Autoren stürmen. Das Buch ist mit allem Nachdruck zu empfehlen – die die Abenteuer des ausgesprochen individuellen Interpol-Ermittlers Malleus Bourreau sprengen jeden irdischen Rahmen. Und dies, obwohl der EINE Gott mit den Alias-Namen Gott, Jehova und Allah noch gar nicht auf dem Spielfeld erschienen ist. Weshalb dort das beschriebene Chaos herrscht, bei dem oftmals kein Auge trocken bleibt, auch wenn dies nicht immer Lachtränen sind.
Das Schiff von Andreas Brandhorst (2015) ist ein weiterer Roman des Autors, der mich grenzenlos begeistert hat. Ohne viel martialische Details wird eine Zukunft in vielen tausend Jahren beschrieben, in welcher die restlichen wenigen Millionen Menschen zwar unsterblich sind und von den KIs bedient werden, gleichzeitig aber auf dem Planeten festgehalten werden, während sich die Maschinen auf die Suche nach Relikten früherer Rassen suchen, und dabei einen Feind aufwecken, der erbarmungslos gegen jede Form biologischer Intelligenz vorgeht.
Impuls von Dave Bara (2015/2015) gehört zu dem nicht unterstützenswerten Genre des Military-SF, das in den letzten Jahren zunehmen an Boden gewinnt. Überhaupt: Bemerkt eigentlich sonst noch jemand (außer mir), wie sich die Militarisierung immer weiter in die Gesellschaft einschleicht? Und damit meine ich nicht die Bundeswehr-Werbung in der U-Bahn, sondern das zunehmende Auftreten von Meldungen über Waffensysteme in den US-Technikblogs… oder eben die immer häufiger auf den Markt geworfenen SF’s, in denen das einzige ‚Zukünftige‘ immer stärkere Waffen sind. Ach ja – damit einher geht eine fast schon blinde Verherrlichung des Adels und der Monarchie. Zusammengefaßt: Irgend wer will diesen Planten ganz, ganz tief in die Scheiße fahren. Also: Wehret den Anfängen – was man auch Heyne kräftig vor den Latz knallen sollte!!
Zone 5 von Markus Stromiedel (2015) gehört ebenfalls zu den neuen Dystopien, wobei es diesmal Köln ist, das als geteilte, von einer hohen Mauer umgebene Stadt herhalten muß, in welchem die Gewinnern innerhalb der ‚Gated Community‘ – und der Rest außen (vor) lebt. Sympathisch finde ich die Erzählweise und die realistisch gezeichneten Charaktere, denn das Hauptmerk wird trotz aller Action nicht auf wildes ’splattern‘ gelegt, sondern mehr auf soziale und psychologische Entwicklungen und Verhaltensweisen der Protagonisten, weshalb man diese Dystopie auch bedenkenlos empfehlen kann. Als Lesestoff wohlgemerkt – und nicht als Vorbild, also keine Angst, liebe Kölner!
MUC (2014) sowie MUC – Die verborgene Stadt (2015) von Anna Mocikat gehört zu der wahren Flut neuer Dystopien, die nun auch zunehmend aus der Tinte deutscher Autoren und Autorinnen fließen – und dazu auch noch im Lande spielen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um das von Mythen umrankte München, das für die in einem zurückgebliebenen Almendorf lebende Pia zum Ziel ihrer Wünsche wird und wohin sie schließlich auch zu fliehen versucht. Bei Folgebände sind toll geschrieben und spannend, wobei sie auch als Jugendlektüre geeignet sind.
Der lange Mars von Terry Pratchett und Stephjen Baxter (2014/2015) ist eine weitere (dicke) Episode jener Endlos-Geschichte – das besondere Metier der Autoren – um die Lange Erde. Wir erinnern uns: Plötzlich kann jeder mit einem sehr einfachen, selbst zu bauenden Gerät nullkommanichts auf eine Parallel-Erde wechseln… und von dort aus endlos weiter. Nun geht dasselbe Spiel auf dem Mars weiter. Im Grunde könnten ALLE zukünftigen SF in eben dieser multilinearen Unendlichkeit spielen, in der Platz genug für alles denk- und undenkbare ist … und noch etwas mehr. Dessen ungeachtet: Eine nette Geschichte für gemütliche Nachmittage.
Pandemic – die Seuche von Scott Sigler (2014/2015) ist mit gut 750 Seiten ein echter Brocken, der das altbekannte Thema einer ausufernden, tödlichen Seuche genüßlich bis zum letzten auswalzt, obwohl der Plot am Ende so wirkt, als sei dem Autor einfach nichts besseres mehr eingefallen. Interessant ist die Herkunft des Bösen, das diesmal aus einem sogenannten Orbiter stammt, einem außerirdischen Satellit, der irgendwann einmal in die Umlaufbahn unseres Planeten getreten ist, um die darauf hausende biologische Intelligenz auszulöschen – und dies mittels einer mörderischen Seuche nach den anderen. Falls als Urlaubslektüre gedacht, dann muß es ein wirklich langer Urlaub sein. Und möglichst in einem weit, weit abgelegenen Gebiet.
Der Abgrund jenseits der Träume von Peter F. Hamilton (2014/2015) ist ein weiterer Band aus der Commonwealth-Gesellschaft, welche sich der ‚Großen Leere‘ gegenübersieht, die auch anderen Kulturen – und schon seit Millionen Jahren – reichlich Kopfschmerzen verursacht. Ein herrlicher Epos im Stile der großen Space Operas, der den Folgeband mit großer Ungeduld erwarten läßt.
Der Terraformer von Mathias Falke (2014) ist eine lockere Space-Opera, in welcher der am liebsten völlig zurückgezogen arbeitende Terraformer McCoy gegen seinen Willen in wilde Abenteuer hineingezogen wird, die ihn kreuz und quer durch die bekannte Galaxis führen.
Zodiac von Romina Russell (2014/2015) trägt das Motto ‚Hüte dich vor dem 13. Zeichen‘ – und beschreibt die Abenteuer der jungen Rho, die in einer der zwölf Planetenkonstellationen der Galaxie Zodiac lebt, welche nach den Tierkreiszeichen benannt sind. Das perfekte Buch, wenn man seine 13-jährige Nichte zu einem SF-Fan verwandeln will!
Der Code von Fredrik T. Olsson (2014/2015) gehört zu den als Thriller vermarkteten SF, ohne dies allerdings wirklich zu verdienen. Denn bei der spannenden und interessanten Geschichte wird ein uralter Code entdeckt – und das sollte wortwörtlich verstanden werden – der sich verbirgt, indem er offen vor aller Augen dasteht… wenn man genau hinschaut, dich mit Genetik auskennt und noch dazu Keilschrifttexte lesen kann. Ein Fest für jeden, der sich gerne mit Kryptologie beschäftigt – oder mit der Idee des ‚Intelligenten Designs’… wobei man wirklich hoffen sollte, daß der Autor mit einem Folgeband nachlegt.
Ich und die Menschen von Matt Haig (2013/2014) kann wohl kaum Hardcore-SF-Fans befriedigen – dafür aber jeden, der einen unverstellten Blick auf uns selbst werfen möchte, aus der Perspektive eines Außerirdischen, der zur Erde geschickt wird, um die Beweisführung der Riemannschen Behauptung zu unterbinden, da diese – in Menschenhand – möglicherweise große Probleme hervorrufen würde. Doch viel mehr als um Mathematik geht es um Gefühle, denn der Alien besetzt einen menschlichen Körper, und dessen eigentlicher Inhaber hat(te) Frau, Sohn und Hund. Der Autor erwähnt offen, daß er den Roman zur Bewältigung eigener Probleme geschrieben hat – wer also selber solche hat, könnte hier möglicherweise den einen oder anderen Tip finden.
Eisiger Himmel von Heff Carlson (2012/2015) berichtet über eine Versuchsstation auf dem Jupitermond Europa, der nicht erst seit dem Folgefilm von 2001 die Phantasie beflügelt, da es für möglich gehalten wird, daß sich unter seiner kilometerdicken Eisdecke ein relativ warmer Ozean mit Leben befindet. Sollte sich dagegen die Vorschau des Autors bewahrheiten, sieht die tatsächliche Realität des Trabanten aber noch viel, viel sonderbarer aus. Ich verrate aber nicht mehr, als daß es sich bei dem Roman um einen empfehlenswerten Leckerbissen für alle Liebhaber der ‚First-Contact‘-Romane handelt.
Flammenzeit von David Weber & Jane Lindskold (2012/2015) ist ein Jugendroman, der auf einem relativ neu besiedelten fernen Planeten spielt. In der Pionierwelt tummelt sich Stephanie mit ihrem Baumkater – einem einheimischen Tier, an dessen Intelligenz die meisten noch zweifeln –, die zusammen mit Familienmitgliedern, Freunden und Besuchern diverse Abenteuer erleben.
Resurrection – Verlorenes Licht von Arwen Elys Dayton (2012/2013) ist eine Empfehlung für alle Pyramiden-Liebhaber und Hawass-Hasser (und ja, er wird sogar tatsächlich einmal erwähnt), da sich das Buch der alten Geschichte in neuem Licht annimmt und einige äußert interessante Überlegungen darüber anstellt. Wobei nicht verschwiegen werden soll, daß unsere Erde nur einen weit entfernten Nebenschauplatz für einen langen Krieg zwischen zwei raumfahrenden Rassen bildet, von denen die eine uns Menschen gleicht. Wichtig ist unser Planet aber deshalb, weil sich nur noch hier sehr wichtige Informationen über Raumfahrtantriebe befinden, die während der Krieges verloren gegangen sind und noch über das Überleben einer ganzen Spezies entscheiden könnten.
Intrusion von Will Elliott (2011/2012) ist ein dreistes, schlechtes und sogar langweiliges Plagiat von Simon R. Greens Schattenfall (s.u.), das den beteiligten Verlagen hoffentlich noch eine entsprechende Klage einbringen wird. Mich hat selten über ein Buch so angewidert, was nicht nur den sinn- und hirnlosen Metzeleien und Blutschlürforien geschuldet ist, welche auf signifikante Schäden in der Psyche des Autor hinweisen. Eklig.
Und hier das Original:
Schattenfall von Simon R. Green (1994/1999) beschreibt eine magische Stadt, in welcher wirkliche und erfundene Wesen Zuflucht finden, wenn sie in der Realität langsam dem Vergessen anheim fallen. Eine skurrile Geschichte mit vielen schrägen Charakteren, bizarren Szenen und einer Zeitachse, die nicht nur lang ist, sondern auch seltsame Windungen nimmt bzw. manchmal die Richtung wechselt, wie es scheint. Neben den haufenweise eingestreuten Anspielungen auf zeitgeschichtliche Geschehnisse fängt die immens breite Phantasie des Autors jeden Liebhaber dieses kaum einzugrenzenden Genres mit Leichtigkeit ein – zu einem wahrlich fulminanten literarischen Mahl.
Das Orakel vom Berge von Philip K. Dick (1962/2014) mußte ich natürlich noch einmal lesen, als jüngst bekannt wurde, daß ‚The Man In The High Castle‘ nun endlich als Amazon-Serie verfilmt worden sei. Die Alternativweltgeschichte und – je nach Standpunkt – auch Dystopie des Altmeisters beschreibt bekanntlich ein Welt, in welcher die Achsenmächte den II. Weltkrieg gewonnen haben. Aus den Kommentaren ist allerdings herauszulesen, daß sich die filmische Darstellung ziemlich weit von der literarischen Vorlage entfernt, denn von einer Filmrolle, auf der Nachrichtenmeldungen‘ (der alternaven Realität?) enthalten sind, hat Dick nichts geschrieben. Dafür baut er sein Werk auf dem phantastischen ‚Buch der Wandlungen auf‘ (dem I Ging), was in der Zeit, als er sein Buch verfaßte, von überaus großer Bildung spricht… und Weitsicht.
Andromedanebel von Iwan Hefremow (1958/2015). Als dieser Roman geschrieben bzw. veröffentlicht wurde, war ich gerade mal sechs Jahre alt. Umso überraschender ist der frische Stil, der möglicherweise aber nur der aktuellen Neuberarbeitung geschuldet ist. Eher in die 50er paßt, daß ständig irgend jemand rot wird, zumeist aus Scham oder aufgrund einer emotionalen Aufwallung. Interessant sind die mehrfache Erwähnung von Inonenatrieben (S. 24, 221), eines Weltnetzes (S. 218), von Elektrobussen (S. 338), die sogar einmal als autonom bezeichnet werden (S. 414), sowie ein scharfes, seinerzeit fast hellsichtig zu nennendes Plädoyer gegen Autos mit Verbrennungsmotor (S. 440). Aber auch die Zurück-zur-Natur-Jammerphilosopen bekommen ihr Fett weg… während mutige Raumfahrer immer weiter in das All vorstoßen. Und dazu immer wieder Spiralen, Wirbel und Wendel – daß es eine Freude ist. Das Buch ist mit vollem Recht in der Heyne-Reihe ‚Meisterwerke der Science Fiction‘ neu erschienen.