Während andere bei den schönen Wetter ihre Eier verstecken, will ich sie lieber hier im Blog (aus)legen – in Form neuer Kurzrezensionen der im Laufe der vergangenen Wochen gelesenen Werke. Und auch diesmal wieder: Von den neuesten Büchern geht es bis in die 80er und 70er zurück, denn auch alte Schwarten wollen immer mal wieder gelesen werden.
Das letzte Wort von Alena Graedon (2014/2016) ist ein begeisternder Erstling, bei dem es um die gnadenlose Digitalisierung unserer Welt geht. Einige der wahrlich neu gedachten Ansätze und Wendungen dieses Romans hauen echt vom Sessel – und daß die junge Autorin sogar die Gruppe Amon Düül II aus den später 1960er Jahren kennt, kann nur noch verblüffen. Sicherlich eines der besten Bücher in dieser Übersicht. Und ein weiterer Beweis dafür, daß da eine Welle von Autorinnen anrollt, welche die Szene ordentlich aufmischen wird. Willkommen!
Der Spalt von Peter Clines (2015/2016) handelt – einmal mehr – von dem Archetypen-Traum der Portale, durch welche man ohne Zeitverlust örtlich versetzt werden kann. Im Laufe der Handlung stellt sich jedoch heraus, daß es in Wirklichkeit viel komplizierter ist, und daß der weitere Betrieb der Anlage die gesamte Menschheit gefährdet … wie es sich für einen soliden SF gehört. Besonders nett finde ich, daß Bill Nye namentlich erwähnt wird, der sich seit langem für die Weiterentwicklung von Solarsegeln einsetzt (s.d.).
Die Mission von Ann Leckie (2014/2016) ist die bereits sehnlichst erwartete Fortsetzung des Romans Die Maschinen, in dem die KI eines Raumschiffs der Vernichtung entgeht, indem sie sich rudimentär in einen menschlichen, weiblichen Körper herunterlädt. Nun geht der Kampf mit bzw. gegen die verschiedenen Einzelformen des fast allmächtigen Diktators (Diktatorin?) der Radchaai weiter – doch leider in äußerst bedächtiger, fast schon schleichender Form. Ich will damit sagen, daß in dem ganzen Roman eigentlich nur Tee getrunken wird (was ich ja auch ständig tue), ansonsten jedoch kaum etwas geschieht. Was schade ist bei fast 450 Seiten im aufgeblasenen Erstklässler-Grußdruck (für was sich Heyne wirklich langsam einmal schämen sollte).
Leider bin ich tot von Dietmar Dath (2016) ist eigentlich kein SF, sondern ein verschachtelter und leicht verwirrender Roman über Religion, der allerdings nur gebildeten und befähigten Lesern empfohlen werden kann. Keine leichte Lektüre – doch wann wäre das schon der Fall, bei Dath? – dafür aber von Niveau. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn sich der Autor wenigstens einmal mit einem Buch beschäftigen würde, das einen stringenten Handlungsfaden besitzt, dem man auch als Halblinder folgen kann.
Moxy Land von Lauren Beukes (2008/2016) beschreibt die nahe Zukunft, in welcher Menschen als lebendige Werbeflächen herumlaufen (als ob sie das heute noch nicht täten, man denke nur an die aggressiven Labels auf den Regejacken eines bekannten Herstellers, wo ich die Träger immer fragen möchte, wieviel sie dafür bekommen…sic!). Ansonsten bietet der SF alles was das Herz begeht, von Computerspielen über Nanobots bis zu Hackern, die das gesamte System stürzen wollen.
Chrysaor von James A. Sullivan (2016) ist eher ein na-ja-Roman, d.h. eine ganz nette Space Opera, die allerdings kaum mit neuen Ideen aufwartet. Gut und flüssig zu lesen, aber kaum nachhaltig.
Unfehlbar von Bruce McCabe (2014/2016) beschäftigt sich mit Replikanten, Morden und deren Aufklärung. Ein solider und spannender SF-Thriller, in dem uns eine Menge neuer Technik begegnet, deren erste Ansätze wir gerade (real) miterleben.
Über den Welten von Evan Currie (2015/2016) ist der bereits 5. Band der Sage um den Kampf gegen die Drasin, deren Vernichtung der Erde nur mit knapper Not verhindert werden konnte. Diesmal geht es um eine Fernraum-Mission, bei der die Terraner auf einen künstlichen Planeten mit viel Geheimnissen stoßen. Solides Handwerk ohne allzu große Überraschungen.
Das Objekt von John Stanford und Ctein (2015/2015) ist tatsächlich der grandiose SF-Thriller, wie er auch angekündigt wird. Nicht nur, daß reichlich gekifft wird, was das Ganze ziemlich sympathisch macht, sondern es wird auch eine Firma Virgin-SpaceX erwähnt (LOL), welche den Transport von Personen in den Orbit durchführt – was wiederum ziemlich realistisch klingt. Ansonsten bietet die Idee einer automatisierten Handelsstation in den Saturnringen einen tatsächlich neuen Ansatz für die Überlegung, warum es allem Anschein nach keine Kommunikation zwischen den intelligenten Spezies im All gibt. Empfehlenswert!
Die vielen Leben des Harry August von Claire Nouth (2014/2015) ist die meisterhaft erzählte Geschichte von einigen, sehr wenigen Personen, die damit gesegnet – oder verflucht – sind, ihr Leben immer wieder und wieder durchleben zu müssen, mit der kompletten Erinnerung an die bisherigen Runden. Was hier etwas ominös und kaum nachvollziehbar klingt, ist eine überaus spannende Geschichte mit vielen interessanten Wendungen. Und auch hier tauchen die Themen der Kalten Fusion auf, eines Angriffs Israels auf Syrien und Jordanien sowie von Wasserkriegen im Nahen Osten. Wenn auch nur peeipher. Sehr zu empfehlen.
Traumzeitspuren von Sven Edmund Reiter (2015) ist nach dem bereits besprochenen Traumzeitmonde von 2013 der zweite und nicht minder spannende Teil einer Trilogie, in welche die Mythologie und Lebensweise der Aboriginies mit modernster Technologie verknüpft wird, was ‚Gedankenreisen‘ in Kleinraumschiffen bis zur Grenze unseres Sonnensystems erlauben. Doch nicht genug damit, geht es auch auf anderen Planeten und Monden mitunter recht heftig zur Sache, wobei den Protagonisten langsam der Verdacht kommt, ob das nicht alles miteinander zu tun hat (worauf der Abo im Hintergrund weise nickt). Eine sehr spannende Space-Odyssee, die mich voller Ungeduld auf den dritten Band warten läßt, der für den Herbst dieses Jahres angekündigt ist.
Die Frequenz von Jennifer Foehner Wells (2014/2015) ist ein spannend geschriebener Erstkontakt-Weltraumtriller, bei dem ein schweigend im Asteroiden-Gürtel schwebendes Raumschiff außerirdischer Herkunft besucht wird.
Kalte Zukunft von Benjamin Blizz (2014) ist der überraschend gut geschriebene SF eines junden deutschen Autoren, bei dem es im Kern um das Thema der Kalten Fusion geht – was damit auch den Titel erklärt. Für mich ist dies besonders erfreulich, da ich die Kalte Fusion im (ver)öffentlich(t)en Bewußtsein schon seit Jahren verfolge und dokumentieren (s.d.).
Die Ungläubigen von Eric van Lustbader (2008/2012) impliziert durch seinen Titel – natürlich – den plakativ-manipulativ aufgebauten Konflikt zwischen sogenannten islamischen Fundamentalisten und der westlich-aufgeklärten Welt. Doch Pustekuchen. Tatsächlich geht es um eine US-Organisation, die militant gegen jedwede organisierte Religion vorgeht. Und das ist in den Vereinigen Staaten natürlich das Christentum. Als dann noch die Tochter des gerade neugewählten Präsidenten entführt wird, ist die Kacke heftig am dampfen – und ein interessant aufgebauter Thriller beginnt, den man kaum aus der Hand legen kann.
Break Point von Richard A. Clarke (2007/2007) ist der zweite Thriller des Autors von The Scorpion’s Gate – und mindestens genauso spannend. Diesmal geht es um heftige Anschläge auf die Daten-Infrastruktur der USA, hinter denen, oh Wunder, einmal keine Islamisten stecken. Wobei der Plot dann doch etwas überraschend, aber keineswegs unwahrscheinlich ist, wenn man sich die Entwicklungen in den USA einmal näher anschaut.
Gottesmaschinen von Jack McDevitt (1994/1996) wird auf dem Klappentext als ‚archäologischer SF‘ bezeichnet – und das ist er auch. Der erste Roman der Reihe um die attraktive und kluge Pilotin Priscilla ‚Hutch‘ Hutchins beschreibt mehrere Flüge zu entfernten Planetensystemen, wo Archäologen nach Relikten früherer Rassen zu suchen… und dabei oftmals die berufsübliche Ignoranz (sorry, aber es ist doch wahr!) gegenüber jedweder anderen Meinung zeigen, was sie nicht selten in des Teufels Küche bringt. Wobei die Dimension der Abenteuer die eines ‚Indy‘ wie ein Picknick – und letzteren wie einen Schulbub aussehen lassen. Auf Seite 483 findet sich zudem das tiefsinnige Zitat: „Macht korrumpiert nicht halb soviel, wie sie ‚konserviert‘. Erhaltung des status quo.“ (Betonung original)
Neon Lotus von Marc Laidlaw (1988/1995) ist ein ‚muß‘ für alle Tibet-Liebhaber, Freunde des Dalai Lama und Anhänger des Buddhismus. Auch in über 100 Jahren ist das Dach der Welt noch immer von den Chinesen besetzt, die jeden Widerstand massiv unterdrücken, bis plötzlich eine inkarnierte Seele – in einem amerikanischen Körper – die Dinge wieder in Fluß bringt. Ein mitreißendes Abenteuer, bei dem man noch dazu einiges über die dortige Kultur(en) lernen kann, auch wenn die solarbetrieben Gebetsmühlen inzwischen schon längst Realität sind.
Die dunkle Seite der Sonne von Terry Pratchett (1976/1989) ist eigentlich ein Nonsense-SF, der aber nicht ohne Witz ist und eine ziemlich irre und wirre Odyssee beschreibt, die der superreiche Erbe Dom Salabos unternimmt, um eine legendäre Superrasse aufzustöbern. Für Pratchett-Fans sicherlich ganz erbaulich. Interessanterweise hat Harlan Ellison im Jahr 2014 für einen Band mit Erzählungen einen Satz aus dem Buch gewählt: „Ich muss schreien und habe keinen Mund“ (s. 49) – wobei ich noch nicht herausgefunden habe, ob Ellison seine Quelle auch nennt… oder nicht.
Tom O’Bedlam von Robert Silverberg (1985/1987) ist ein grenzwertiger SF, den man wirklich nur hartgesottenen Fans empfehlen kann. Sind die Träume, denen sich immer mehr Menschen ausgesetzt sehen, nur Tom’s psychischen Übertragungen zu verdanken – oder kommen sie tatsächlich aus den Tiefen des Alls? Ich denke, heute würde der Roman kaum ein Lektorat passieren.
Das Lied der fernen Erde von Arthur C. Clarke (1986/1987) ist einer der Romane des Altmeisters, die nicht zu der 2001-Reihe gehören, aber natürlich ebenso lesenswert ist. Es geht um die Besiedlung ferner Planeten, die aufgrund ihrer Entfernung von der Erde manchmal über Jahrhunderte keinen Kontakt mehr mit der Mutterwelt haben. Eine dieser Welten ist das fast paradisische Thalassa mit seinem planetenweiten, warmen Ozean, die plützlich von der Magellan, einem später Auswandererschiff besucht wird, das eigentlich noch viel weiter hinaus fliegen will. Ein liebenswertes Buch, das daran erinnert, daß Clarke bis zu seinem Tod in Sri Lanka lebte.
Der unendliche Mann von Daniel F. Galouye (1973/1984) ist ein typischer SF der 1970er Jahre – denn der Held ist ein Hippie, der weder dem Drogenkonum noch anderen Nettzigkeit abhold ist. Das Dumme ist nur, daß sich die ‚Schöpferische Kraft‘ des Universums ausgerechnet in Bradfort zusammenballt und ihn damit quasi allmächtig macht. Was die Wissenschaftler, welche das Geschehen schon die ganze Zeit über verfolgen, dazu veranlaßt, dies vor ihm tunlichst geheim zu halten… mit unabsehbaren Folgen für alle Beteiligten. Lustig – und aus heutiger Sicht fast schon nostalgisch-befremdlich. Ebenso, warum man über 10 Jahre mit der Übersetzung gewartet hatte.
Raumfahrer und Sternenzigeuner von Michael Bishop (1982/1983) ist eine Sammlung angefahrener SF-Stories, in denen u.a. die deutsche Wiedervereinigung vorhergesehen wird (S. 26). In einem Wort: Kurzgeschichten für Kenner.
Weißes Licht von Rudy Rucker (1980/1981), der als Mathematiker, Informatiker und Ur-Ur-Ur-Enkel des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel bekannt ist, ist ein ziemlich schräges Werk, das auf mathematischen Fragestellungen und Falltüren sowie außerkörperlichen Erfahrungen (nach Monroe) basiert und manchmal vom Leser reichlich Geduld erfordert. Auch wenn es lustig sein soll – ich fand es eher anstrengend und war froh, als ich es endlich durch hatte.
Leb wohl, gute Erde von David G. Compton (1966/1976) ist böse-böse-böse. Zwar ist die Ausgangsannahme, daß die Erde alle 6 Monate zwei Dutzend Verbrecher beiderlei Geschlechts auf den mars ins Exil schickt, an reichlich langen Haaren herbeigezogen (alleine nur die Kosten!), doch davon einmal abgesehen könnte der Roman als perfektes Gegenstück zum gegenärtigen ‚Auf-zum-Mars!‘-Hype gesehen werden – wäre er nicht schon fünf Dekaden alt. Denn wie die Menschen auf dem roten Planeten miteinander umgehen, ist sehr viel schlimmer, als alles was der Mars aufzubieten hat. Keine Empfehlung – aber eine kleine Kostbarkeit für Psychologen und besonders für Sozialwissenschaftler.