vonAchmed Khammas 09.05.2021

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

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Zeitflut von Wil McVarthy (2019/2021) beschreibt eine Art Zeitreise in die genetische Erinnerung, die mich an eine frühe LSD-Selbsterfahrung erinnert hat. Im Roman sind es Versuche mittels transkraniellem Magnetstimulator und Elektroenzehalografen, die im Gehirn das vollständige Erleben längst vergangener Zustände aktivieren, die in den Chromosomen abgespeichert. Und so können die Leser mehrere überaus spannende, detailreich und liebevoll-individuell beschriebene nachvollziehbare Perioden der Menschheitsgeschichte miterleben, die sich in den vergangenen zehn- bis hunderttausenden von Jahren zugetragen haben. Der Klappentext des Buches ist hingegen völlig daneben und gehört eigentlich bestraft.

Der absolute Beweis von Peter James (2018/2020) ist ein etwas lahmer Thriller um die DNA von Jesus, die als Beweis für die Existenz Gottes dienen soll – wie immer sich der Autor dies auch vorgestellt haben mag. In seinem Buch gelangt die Sache jedenfalls gar nicht so weit, da sich die verschiedensten Protagonisten gegenseitig ausbremsen… und auch der alkoholisierte Jesus der Gegenwart dermaßen ‚billig‘ daherkommt, daß es schon weh tut.

2,5° – Morgen stirbt die Welt von Noah Richter (2021) entspricht in den Hauptzügen dem vor einigen Tagen rezensierten Roman KLIMA, ist allerdings leicht überfrachtet, da der Autor alle Probleme gleichzeitig erwähnen will – die umweltspezifischen wie auch die aus diesen erwachsenden Sekundärkatastrophen. In dem ansonsten flüssig geschriebenen Thriller geht es um ein Attentat auf die in Davos versammelten Regierungs- und Konzernchefs, zu denen auch die Vorsitzenden der ‚Black Seven‘ gehören, den mächtigen Energieunternehmen, die in der Realwelt allerdings als die ‚Sieben Schwestern‘ bezeichnet wurden.

Das Kultur-Spiel von Iain Banks (2004) ist eine Band, der die überarbeiteten Version von Das Spiel Azad und Einsatz der Waffen beinhaltet. Hier wird etwas mehr auf die Kultur und deren ‚Geheimdienstabteilung‘ namens Besondere Umstände (BU) eingegangen, die aus biologischen und maschinellen Bewußtseinen besteht. Und es kommen auch einige der – wortwörtlich – eigenwilligen Raumschiffen vor, die Elon Musk anscheinend so stark inspiriert haben, daß er die ersten beiden schwimmenden Booster-Landeplattformen von SpaceX entsprechend benannt hat: Just Read the Instructions sowie Of Course I Still Love You.

Rund um die Welt in mehr als 80 SF-Geschichten herausgegeben von Erik Schreiber (2016) ist ein gut gemeinter aber leider katastrophal deneben gegangener Versuch… an dem ich auch beteiligt war, und zwar mit meiner Story Licht (wie immer unter den Pseudonym Ghassan Homsi). Die Tragödie besteht darin, daß es kein Geld für ein Lektorat gab – und der Band mehr Tippfehler enthält, als mein gesamter sonstiger Buchbestand zusammen. Zwar sind einige der Stories höchst empfehlenswert, doch die mangelhafte Bearbeitung ringt jeden Lesespaß zu Boden.

Das Orakel vom Berge von Philip L. Dick (1962/1973) gehört für mich zu den besten 10 SFs aller Zeiten – auch fernab von der maßlos aufgeblasenen Serie, die Netflix daraus gemacht hat. Das schmale Bändchen (bevor auch die Verlage ihre Bücher auf Backsteingröße aufgepimmpt haben) beschreibt eine Alternativwelt, in welcher das Deutsche Reich und Japan der 2. Weltkrieg gewonnen haben … und sich schnurstracks auf den III. zubewegen.

Der Netzwerk Effekt von Martha Wells (2020/2021) ist der zweite grandiose Killerbot-Roman in der deutschsprachigen Reihenfolge, denn wie ich inzwischen recherchiert habe, umfaßte der erste, also Tagebuch eines Killerbots, vier der originalen englischen Folgen, was das vorliegende Buch zum eigentlich fünften Band der Reihe macht. Verwirrend? Für mich auch. Davon unabhängig kann man diesen SF nur mit „Action – Action!“ beschrieben, denn es gibt nicht eine Minute Langeweile – und selbst die introspektivischen Einschübe sind so straff, themenbezogen und spannend, daß sie immer wieder Sympathie für (die) Killerbot erwecken, die plötzlich mit dem an sich abartigen Gefühl umgehen muß muß, daß sie auch anderen etwas bedeutet.

Noch ein Wort zu dem grandiosen Übersetzer Frank Böhmert: Nicht nur, daß er mit der Variante ‚Killerbot‘ eine weitaus treffendere sowie stilistisch angenehmere Übertragung des ursprünglichen ‚Murderbot‘ gefunden hat – auch Begriffe wie ‚Alienreststoffe‘ sind einfach genial. Wer Sprachen so gut beherrscht und ermaßen innovativ ist wie Böhmert, braucht keine öden Glossare am Ende des Buches, Chapeau!

Im Licht der Horen – Auge – Erstes Licht von Petra E. Jörns (2020) gehört zu den wenigen Romanen, durch die ich mich regelrecht hindurchquälen mußte. Wäre ich nicht die Verpflichtung zu diesen Rezensionen eingegangen, hätte ich es nie getan – denn das Buch strotzt von melodramatischem Gehabe und hölzernen, nur aus Klischee bestehenden Charakteren. Neben dem Mangel an einer spannenden Story – welche die Idee durchaus hergegeben hätte – wird Unwichtiges maßlos aufgebauscht, während die Personen auf einem emotional verklemmten Niveau agieren. Gäbe es ‚Goldene Himbeeren‘ auch für SF-Romane, hätte Jörns einen ganzen Korb davon verdient. Und Deus ex Machina bedeutet ganz bestimmt nicht, daß die Summe der Teile mehr ist als das Ganze! (S. 103)

Der vierte Mond von Kathleen Weise (2021) ist hingegen ein grandioser, spannender und knackig geschriebenen SF, der mir durch seinen Schwung das pure Lesevergnügen bereitet hat. Das Thema Asteroiden-Mining ist zwar nicht neu, bildet hier aber nur den fernen Hintergrund eines viel weiter reichenden Abenteuers, das die Autorin gerne noch um zusätzliche Jahre und Jahrzehnte hätte weiterspinnen dürfen. Man begleitet die interessanten und authentischen Charaktere bei den Intrigen auf der Erde ebenso wie auf ihrer Reise zu den Jupitermonden, wo sich Erstaunliches ereignet. Eine ganz besondere Empfehlung!

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