vonAchmed Khammas 10.06.2021

Der Datenscheich

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Zurück aus Damaskus, möchte ich der werten Leserschaft als erstes den Wahlzettel vorstellen, der bei der jüngsten Präsidentschaftswahl dort auslag. Oben rechts steht das Ereignis „Die Präsidentschaftswahlen 2021“, während sich links das Siegel und der Name „Die Oberste Justizkommission für Wahlen“ findet. Darunter sind die Konterfeis von drei Herren zu sehen – jeweils mit genügend Platz für ein dickes Kreuz. Die Namen der Betreffenden sucht man allerdings vergeblich. Was im Fall des amtierenden Präsidenten Baschar al-Assad (rechts) auch nicht erforderlich ist…

Wahlzettel Syrien 2021

Gemäß Artikel 34 der Allgemeinen Wahlgesetzes Nr. 5 von 2014 hatten sich 51 Personen als Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik beworben, darunter auch sechs Frauen. Das Oberste Verfassungsgericht nahm dann aber nur die Kandidaturen von Baschar al-Assad, Abdullah Salloum Abdullah (l.) sowie Mahmoud Ahmad Mar‘ei (m.) an, während die verbleibenden Anträge wegen Nichterfüllung der verfassungsrechtlichen und rechtlichen Voraussetzungen abgelehnt wurden.

Abdullah, Jahrgang 1956, war Staatsminister für Angelegenheiten des Volksparlaments und gehört der linksgerichteten, nasseristischen Sozialistischen Unionistischen Partei an (heißt wirklich so). Mar‘ei wiederum ist Rechtsanwalt, Chef der Syrisch-Arabischen Organisation für Menschenrechte und gilt als einer der Oppositionellen im Inneren. Er gehört der Syrischen Demokratischen Front an, war Mitglied der Oppositionsdelegation in Genf und hat auch mehrjährige Erfahrungen als politischer Gefangener.

Die Zählungen ergaben 213.968 Stimmen für Abdullah (= 1,50 %) und immerhin 470.276 Stimmen für Mar‘ei (= 3,31 %). Assad bekam hingegen 13.540.860 Stimmen (= 95,1 %). Den offiziellen Verlautbarungen zufolge lag die Wahlbeteiligung bei 78,6 %, was sich allerdings nur auf das von der Regierung kontrollierte Staatsgebiet bezieht.

Der Datenscheich bei der Wahl 2021 in Damaskus

Da ich mich am Wahltag in Damaskus befand, habe ich mich selbstverständlich beteiligt. Nach dem Eintrag in die Wahlliste habe ich hinter einem der weißen Vorhänge im Hintergrund mein Kreuzchen gemacht. Der Wahlzettel kam daraufhin in einen Umschlag, und der wurde in die transparenten, versiegelten Wahlboxen gesteckt. Danach konnte man seine Hände desinfizieren und abtrocknen. Was ich nicht brauchte, da ich meinen eigenen Kuli verwendet hatte.

Ansonsten kümmert sich kaum jemand um irgendwelche Corona-Viren. Die Cafés und Restaurants sind Tag und Nacht rammelvoll, die Stimmung äußerst lebhaft. Nur etwa 1 % der Älteren trägt eine Maske, dazu ein paar wenige Jugendliche. Laut den Berichten meiner Bekannten scheint die Welle recht früh durchgezogen zu sein und hat wohl die sogenannte ‘Herdenimmunität’ verursacht. Was bei der lokalen Bevölkerungsdichte vermutlich sehr sinnvoll ist.

Da wir uns hier aber in Deutschland befinden, folgt nun eine scharfe Kritik am Verhalten der Bundesregierung. Diese hat nämlich – im Gleichklang mit ausgerechnet der Türkei (sic!) – untersagt, daß sich Auslandssyrer in der Botschaft an der Wahl beteiligen. Als Begründung teilte das Auswärtige Amt mit: „Völkerrechtlich besteht keine Verpflichtung der Bundesregierung“, die Wahlen zu genehmigen. Aber eine Verpflichtung sie zu untersagen?! Wie billig.

Ich empfinde dies als ein äußerst beschämendes Verhalten, das jeden demokratischen Vorbildcharakter, den wir uns anmaßen, ab absurdum führt. Egal, wie sehr die Wahl als ‚Farce‘ betitelt wird – sie bot trotzdem die Möglichkeit zu zeigen, daß sich fast dreiviertel Millionen Menschen im Land vorstellen können, einen anderen Präsidenten zu haben. Oder will jemand behaupten, daß diese Stimmen das Ergebnis einer Wahlfälschung waren?

Ach ja, hier in Deutschland ist die Demokratie natürlich vom Himmel gefallen, fertig verpackt und mit US-Briefmarken versehen. So war es doch, oder? Daß die Realität eine andere Geschichte erzählt, bei der die Anfänge einer Demokratie immer sehr bescheiden sind, wird aus dem Tunnelblick unserer Regierung ausgeblendet. Was nichts anderes vermittelt, als sei dieses Land noch immer nicht souverän. Aber das sind natürlich Fake News…!

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https://blogs.taz.de/datenscheich/2021/06/10/zur-wahl-in-syrien/

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