vonAchmed Khammas 04.12.2021

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

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Passend zur Jahreszeit und noch früh genug, um eines oder sogar mehrere Bücher auf die Weihnachts-Wunschliste zu setzen, möchte ich nachfolgend die Ergebnisse meiner Lektüre im Laufe der vergangenen zwei Monate mitteilen – wobei die folgenden zwei meine besondere Empfehlung haben.

 

Mit freundlicher Genehmigung des TOR-Verlags

Snowcrash von Neal Stephenson (1992/2021) ist die gerade frisch erschienene, exzellente Neuübersetzung eines der bekanntesten Cyberpunk-Werke der 1990er, aus dem auch der Begriff Metaverse (bzw. Metaversum) stammt, der gegenwärtig durch die Medien fegt. Stephenson hatte ihn laut eigener Aussage als ‚Marketinggag‘ für dieses Buch erfunden, und als Philip Rosedale um die Jahrtausendwende Second Life erfand, soll er ihn – bzw. Snowcrash – im Kopf gehabt haben.

Doch völlig unabhängig davon: Die rasante Story von Hiro, dem Hacker, der auch als Pizza-Auslieferer für die Mafia unterwegs ist, und von Y. T., die sich als städtischer Kurier verdingt und dabei zwecks schnellerer Fortbewegung auf ihrem Board Fahrzeuge ‚harpuniert‘, ist heute ebenso frisch und lesenswert wie zum Zeitpunkt ihres ersten Erscheinens. Stephenson erzählt gradlinig und schnell, wobei er die authentisch und sympathisch wirkenden Protagonisten mit viel Witz und Humor ‘rüber.

Dazu der Bezug zur virtuellen Welt, aus der so etwas wie Viren plötzlich auch Hirne lebender Menschen befallen – und damit zur tödlichen Gefahr werden. Oder ist es die Droge Snow Crash, die das weiße Rauschen im Kopfe verursacht?

Und was die Verheißungen des Metaverse anbelangt … so war ganz ähnlich Second Life im Jahr 2003 DAS Thema, obwohl es schon seit 1995 das kaum bekannte Active Worlds gab. In beiden Fällen blieben jedoch zu wenige Menschen dabei, weil sie einfach nicht wußten, was sie in der virtuellen Welt mit ihrem Avatar anfangen sollten. Im Gegensatz zu Künstlern und Modedesignern, um nur zwei Beispiele zu nennen, die äußerst zahlreich und ausgesprochen kreativ waren. Aber ohne Publikum auch irgendwann die Lust verloren.

Gefragt war nämlich Eigeninitiative. Und ich kann mir kaum vorstellen, daß das ‚neue‘ Metaverse etwas anderes sein wird als alter Wein in neuen Schläuchen – auf denen natürlich viele tolle Labels stehen – und daß sich viele User nicht dreimal überlegen, ob es sich lohnt, für 65 bzw. 99 $ dort reinzuschnuppern.

Da ist ein gutes Buch doch viel günstiger…!

 

Das Ministerium für die Zukunft von Kim Stanley Robinson (2020/2021) ist der üppigste Roman meiner Leseliste, und dies nicht nur wegen der mehr als 700 Seiten, die er umfaßt, sondern auch wegen der Informationsdichte zu den Klimaproblemen auf diesem Planeten – und den mannigfaltigen Lösungen dafür, die es nur umzusetzen gilt.

Viele aktuelle SF-Romane, die sich dem Thema Klima widmen, behandeln es ausschließlich dystopisch, was eine Menge Leserinnen und Leser anödet und depressiv stimmt. Umso erfreulicher, daß ein so hochkarätiger Autor wie Robinson einen Gegenentwurf vorlegt, der Hoffnung weckt – trotz aller Probleme, Rückschläge und Anfeindungen der Wirklichkeit. Das damit eher realistische als utopische Buch zeigt sehr genau, wo sich Dummheit und Gier verbergen, jedoch auch, wie sie sich ausschalten lassen, wenn es nur gewollt wird. Und es zeigt wie es ist, das Lob des Planeten zu singen.

 

PS.: Ich selbst habe 2008 eine Pilgerfahrt ins virtuelle Mekka in Second Life absolviert – was der pure Luxus war, denn ich hatte das gesamte Gelände für mich allein: https://www.heise.de/tp/features/Auf-Pilgerfahrt-ins-virtuelle-Mekka-3416759.html

 

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