vonAchmed Khammas 26.12.2024

Der Datenscheich

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Ist das, was in den letzten zwei Wochen in Syrien geschah, ein Wunder des Orients? Ein so schneller und weitgehend kampfloser Machtwechsel, wie er bislang nirgends in der Region erfolgte? Die Wandlung eines Kriegsherren auf dem Weg nach Damaskus – wie Saulus zu Paulus ebendort? Aufgrund der viele Fragen zu Syrien habe ich ein paar Punkte zusammengefaßt – aus subjektiver Sicht, aber mit objektiven Daten und Infos:


Fakt ist, Assad und seiner Familie wurde aus humanitären Gründen Asyl in Russland gewährt. Das russische Außenministeriums teilte dazu mit: Assads Machtverzicht seien Verhandlungen zwischen ihm und „einer gewissen Zahl von Teilnehmern an dem bewaffneten Konflikt“ in Syrien vorausgegangen. Russland sei an diesen Verhandlungen aber nicht beteiligt gewesen.

Als Resultat habe Assad beschlossen, seinen Posten aufzugeben und die Republik am 8. Dezember 2024 zu verlassen, nachdem er zuvor eine friedliche Machtübergabe an die bewaffnete Opposition angeordnet hatte. Eine Entscheidung, die auf jeden Fall viel Blutvergießen verhindert hat, egal ob sie tatsächlich auf diese Weise zustande kam oder anders.

Laut anderen Quellen hatte Assad nach direkten und indirekten Gesprächen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, der Türkei, Jordanien, dem Irak, Iran und Russland seine Chancen abgewogen. Demnach trafen sich die Außenminister des Irans, Iraks und Syriens am 6. Dezember in Bagdad, dem folgte am 7. Dezember ein Treffen des russischen Außenministers mit seinen Kollegen aus der Türkei und dem Iran.

Man darf annehmen, daß bei diesen Gesprächen der syrische Präsident Assad ‚abgewickelt‘ und die Kontrolle über das Land zwischen der Türkei im Norden und Israel im Süden aufgeteilt wurde. Nur so ist zu erklären, daß sich das syrische Militär kampflos aus allen Städten und Militärstützpunkten zurückzog und den Kämpfern der HTS das Feld überließ.

Anderen Meinungen nach sei es nur logisch gewesen, daß Russland Assad aufgefordert hat, aufzugeben, denn man habe ein Blutbad vermeiden wollen und Assad sollte nicht getötet werden, so wie Saddam Hussein 2006 im Irak und Muammar Gaddafi 2011 in Libyen, deren Mentalität allerdings eher dem „kämpfen bis zum letzten Mann“ entsprach.

Wohlgemerkt: Die islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS, ab 2012 Al-Nusra-Front, davor Al-Qaida) unter Abu Mohammad al-Golani, die sich an die Spitze der verschiedenen Rebellengruppen vorgekämpft hatte, wird seit 2013 und nach wie vor von den USA, der EU, Großbritannien und dem UN-Sicherheitsrat als Terrororganisation gelistet und für Al-Golani ist noch immer ein Kopfgeld von 10 Mio. $ ausgesetzt. Dessen ungeachtet werden er und die HTS bereits von den USA hofiert (…die das Kopfgeld am 21.12. zurückzieht). Der US-Sondergesandte für Syrien heißt übrigens Daniel Rubinstein.

Al-Golani hat derweil wieder seinen eigentlich Namen angenommen, Ahmad Hussein al-Shar’a (o. Ahmed al-Sharaa). Während die deutsche Bundesregierung etwas von einem nicht sanktionierten „politischen Arm der HTS“ fabuliert, der in die Übergangsregierung eingebunden werden muß.

Währenddessen schaltet und waltet Israel völlig frei, ist bereits bis Arneh, Qatana und Beit Jinn vorgerückt und hat bei vielen Hundert Militärschlägen das gesamte Verteidigungspotential des Landes bis Al-Qamishli im Nordosten zerbombt, aber auch wissenschaftliche Institutionen. Die USA stocken die Truppenstärken ihrer illegalen Militärbasen auf, lassen die Kurden aber im Stich. Die Türkei bombt im Norden – u.a. den Tischrin-Staudamm und die Lafarge-Zementfabrik -, und die von ihr unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) rückt weiter gegen die kurdischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) vor. Zudem werden die Alawiten verfolgt, es kursieren bereits schlimme Aufnahmen, bei denen es sich bislang aber um wenige Ausnahmefälle handelt.

Und vermutlich sind auch schon Landvermesser unterwegs, um die Strecke für die lang ersehnte Gas-Pipeline aus Katar festzulegen (s.u.).

Mit der syrischen Souveränität dürfte es fürs Erste wohl vorbei sein… und jetzt schon gibt es Stimmen, die sagen, Assad habe Syrien ‚verkauft‘ – und damit auch dafür gesorgt, daß Rußland seine Stützpunkte in Hmeimim und Tartous verliert. Auf jeden Fall gibt es viel Kritik, daß er sich mit keinem Wort öffentlich erklärt – und seine Anhänger im Regen stehen gelassen hat… der hoffentlich nicht wieder aus ‚Hagel und Granaten‘ bestehen wird. Erst am 16. soll er über Telegram erklärt haben, daß seine Flucht nicht freiwillig gewesen sei.

Einen Schritt zurück: Ein wichtiger Indikator der aktuellen Lage: Die Geschäfte im großen Basar von Damaskus – dem Suq al-Hamidieh – blieben am 08. und 09.12. geschlossen. Der Konsens der Händler ist seit Tausenden von Jahren das beste Barometer für das politische Geschehen. Man wartet also ab, von einer begeisterten Unterstützung für die neuen Machthaber ist bislang noch nicht viel zu spüren. Es gibt auch keinerlei Aufnahmen von großen, jubelnden Menschenmengen – die hier in Deutschland meist größer ausfallen. Ein Clip vom 10.12. zeigt dann schon wieder einige vorsichtige Geschäftstätigkeit im Basar…

Am 14.12 fordert der HTS-Chef die Bevölkerung auf, auf die Straße zu gehen und die Revolution zu feiern. Das sagt viel. Außerdem werden die Kämpfer aufgefordert, die während der vergangenen Woche gestohlenen Besitztümer zurückzugeben. Zudem bestätigt er, keinen Waffengang gegen Israel unternehmen zu wollen. Das sich im Süden weiteres syrisches Staatsgebiet einverleibt und bekannt gibt, auf den besetzten Golanhöhen weitere Siedlungen zu errichten.

Ach ja, und im Handel kann nun auch mit Dollar bezahlt werden. Währenddessen sind rund 65.000 Syrer in den Libanon geflohen – und der libanesische Minister für Soziales fordert die bisherigen Flüchtlingen auf, innerhalb von drei Monaten wieder nach Syrien zurückzukehren.

Eigene Bemerkungen: Der Zugriff auf die Seite der Syrischen Nachrichtenagentur (SANA) war bereits zum Zeitpunkt des Angriffs auf Aleppo nicht mehr möglich – und das war ganz sicher nicht die HTS. Einen Tag nach dem Einmarsch in Damaskus wurden einigen Stadtteilen nur noch zwei Stunden Strom pro Tag zugeteilt und das Handynetz war weg – dafür ist die Qualität der Festnetz-Telefonverbindungen exzellent. Am 15. sagte mir Nihad, der unsere Wohnung in Damaskus hütet, daß der Strom drei mal am Tag für jeweils eine Stunde kommt.

Am 17.12. führt eine deutsche Delegation des AA und des BMZ erste Gespräche mit HTS-Vertretern in Syrien (wer ist da als Dolmetscher/in dabei gewesen??). Wobei der HTS-Chef inzwischen auch schon mal Anzug und Krawatte trägt … so schnell kann das gehen. Es herrscht vorsichtige Hoffnung, daß Syrien kein zweites Libyen oder Afghanistan wird.

Am 20.12. hat es in Damaskus eine Demonstration für einen säkularen Staat und für die Sicherheit und Rechte von Frauen gegeben. Obwohl auch eine deutsche Journalistin vor Ort gewesen sei, nennen die hiesigen Medien weder genauere Zahlen der Beteiligten, noch erwähnen sie ein Wort über die Reaktion der HTS-Kräfte. Die Homepage der staatlichen Nachrichtenagentur SANA und die des syrischen Fernsehens sind übrigens immer noch offline.


Und noch zwei Hintergrundinformationen:

Der französische Politiker Julien Rochedy äußerte sich im Oktober 2016 in einem Interview mit der Website Le Bréviaire des Patriotes zum Konflikt in Syrien [https://www.youtube.com/watch?v=hIMWfJmti7E (03:24)]. Siehe auch https://uncutnews.ch/nach-dem-sturz-der-assad-regierung-ist-der-weg-fuer-die-umstrittene-gaspipeline-frei.

Katar, die USA, Großbritannien und Frankreich planten den Bau einer Gaspipeline, die von Katar aus durch Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien verlaufen und dem russischen Gasmarkt Konkurrenz machen sollte. Der Politiker sagte, er habe mit jemandem gesprochen, der 2008 bei einem Treffen zwischen dem damaligen Total-Chef Christophe de Margerie, dem damaligen französischen Premierminister François Fillon, dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy und Baschar al-Assad anwesend war.

Sarkozy habe Assad 30 % der Einnahmen aus der Pipeline angeboten, sagte Rochedy. Der Rest der Einnahmen würde an Frankreich gehen. Assad, der fließend Französisch spricht, antwortete dem Insider zufolge: „Wir sind keine französische Kolonie mehr, wir leben nicht mehr im Jahr 1959“. Präsident Sarkozy soll daraufhin vor Wut explodiert sein und gesagt haben: „Wenn das Ihre Antwort ist, werden wir Ihr Land bis auf die Grundmauern niederbrennen!“

2012 hatte dann Präsident Obama der CIA die geheime Order gegeben, Assad abzusetzen und dessen Regierung zu stürzen. Seitdem wurden von den Amerikanern, Israelis und Türken verschiedene Milizen in Syrien ausgebildet, um den ‚Regime Change‘ zu erzwingen.

Die zweite Information ist aktuell und liegt exakt auf dem Schnittpunkt von Krieg und Erneuerbarer Energie: Pierre El Khoury zufolge, dem ehemaligen Direktor und Präsident des Lebanese Center for Energy Conservation (LCEC), haben die jüngsten israelischen Angriffe auf den Libanon 400.000 – 500.000 Solarpaneele zerstört oder beschädigt und das Land damit schätzungsweise 150 – 200 MW an installierter Solarkapazität gekostet. In der deutschen Presse verlautete darüber kein Mucks. Und in Gaza gibt es vermutlich kein einziges verbleibenden Paneel mehr … was aber leichter zu verschmerzen wäre als nur eines der endlos vielen menschlichen Opfer dort.

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