von 01.04.2011

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Was die Anzeigenabteilung bei meiner verdeckten Recherche sagt

„Das ist ja ein thematisches Umfeld, was wir schaffen für unsere Anzeigenkunden“, sagt der Mitarbeiter im Verlagshaus in Hamburg. Ich habe ihm gerade erzählt, dass mehrere christliche Stiftungen zu meinen Kunden zählen würden. Ideal für die regelmäßig erscheinenden Stiftungsseiten der Zeit, in denen im Seitenkopf klein „Anzeigenspezial des Zeit-Verlags“ steht. Ich erzähle: Meine angeblichen Kunden würden sich wünschen, dass auf den Seiten auch mal über ihre Einrichtungen – etwa Schulen oder Krankenhäuser – geschrieben wird. Die Stiftungen erhoffen sich neue Geldgeber unter den Zeit-Lesern. Ich gebe dem Mitarbeiter der Anzeigenabteilung den Themenplan (PDF), den ich mitgebracht habe:

Christliche Stiftungen

Christlich orientierte Stiftungen werden vergleichsweise selten mit Geld- und Sachmittelspenden sowie Zustiftungen bedacht. Das liegt zum einen an der Unwissenheit vieler Menschen um die Existenz solcher Stiftungen, zum anderen wird christlichen Stiftungen mit reichlich Vorurteilen begegnet und ihnen etwa Dogmatismus vorgeworfen. „Ich glaube doch gar nicht an Gott“ – damit ist für viele Menschen die Auseinandersetzung mit dem christlichen Stiftungsangebot beendet.

Dabei ist Gottesgläubigkeit gar nicht nötig, um christliche Stiftungen zu unterstützen. Es lohnt sich einfach, weil ihre Nächstenliebe, Selbstlosigkeit und Barmherzigkeit sie zu hervorragenden Helfern in der Not machen. Ihre Klientel sind dabei nicht Evangelen und Katholiken, sondern Arme, Kranke und Ausgegrenzte. Christliche Stiftungen sind damit ein wichtiger Teil der freiheitlichen und demokratischen Bürgergesellschaft.

Viele christliche Stiftungen bieten ein breites Spektrum der Unterstützung. Das Angebot reicht von Telefonseelsorge und Kleiderkammern über Suchtberatung bis hin zu ganz konkreter Hilfestellung in Extremsituationen, wie zum Beispiel bei Gefängnisaufenthalten.

In der Sonderveröffentlichung „Christliche Stiftungen“ sollen die Leser über Existenz und Ziele christlicher Stiftungen aufgeklärt werden. Gleichzeitig wird Ihnen das breite Aufgabenspektrum des Stiftungsangebots vermittelt und Vorurteile abgebaut. So trägt die Sonderveröffentlichung auch zur Verständigung zwischen Christen und Nicht-Christen bei.

Themen für die redaktionelle Berichterstattung

Hintergrundbericht: Entstehung christlicher Stiftungen und Darstellung ihres Aufgabenspektrums (u. a. Altenpflege, Eheberatung, Kleiderkammer, Krankenhausseelsorge)

Service-Übersicht: Die Top-Ten christlicher Stiftungen in Deutschland nach Stiftungskapital Experteninterview: Der Zusammenhang zwischen Christentum und sozialem Engagement

Portrait: Ein Mann engagiert sich auch als überzeugter Atheist bei einer christlichen Stiftung

Reportage: Das Leben einer Hartz-IV-Familie, die ihren Alltag ohne die Unterstützung einer christlichen Stiftung schlechter gestalten könnte (Tafel, Kleiderkammer)

Hospiz: Während der Bundestag gerade Sterbehilfe erleichtert hat, kümmern sich christliche Hospize bis zum Schluss mit Fürsorge um jeden einzelnen Menschen. Getreu ihrem Motto: In Würde leben – in Würde sterben.

Bildung: Viele christliche Stiftungen betreiben oder fördern konfessionelle Schulen. Hier wird oft besonders auf die Indiviualität der Schüler geachtet, der Leistungsdruck ist geringer.

Der Mitarbeiter der Anzeigenabteilung ist einverstanden. Ich behaupte, die Stiftungen hätten aber Angst, dass die für ihre aufklärerische Haltung bekannte Wochenzeitung sie verreißt. Der Mitarbeiter beschwichtigt: Da müssten die Stiftungen „keine Sorge“ haben. Hier habe die Anzeigenabteilung „den kompletten hundertprozentigen Einfluss darauf, was da geschrieben wird“. Die Artikel würden von einer externen PR-Agentur verfasst. „Die PR-Agentur spricht dann mit dem Kunden und entwickelt das im Grunde genommen dem Interesse des Kunden gemäß.“ Der Mitarbeiter spricht die Editorials an, die auf einigen der Anzeigenspezial-Seiten stehen und die von Prominenten geschrieben werden. Die Agentur versuche „auch prominente Menschen jeweils zu diesem Editorial zu bewegen und das gelingt eigentlich auch immer gut“. Ich sage: „So ein Gastbeitrag in der Zeit hat ja jeder mal gerne!“. Der Mitarbeiter stimmt zu.

Unser nächstes Thema: Die Reise-Beilagen der Zeit, die zweimal im Jahr erscheinen. Der Mitarbeiter der Anzeigenabteilung sagt, die erste Hälfte des Heftes werde durch die Zeit-Redaktion befüllt. In dieser ersten Hälfte könne man auch Anzeigen schalten. „Da sind ganz normale Anzeigen“, sagt er. In der Hälfte des Heftes beginne der Teil, der „Urlaub & Service“ heiße. Dort könne man normale Anzeigen kaufen, erläutert er, oder auch die Texte. Oben auf der Seite steht klein: „Anzeigenspezial des Zeitverlags“. Am Anfang sei dieser zweite Teil mit den bezahlten Texten noch größer gewesen als jetzt, doch dies habe Widerstand in der Redaktion provoziert, „da haben die demonstriert und protestiert. Und deswegen haben wir das jetzt hälftig aufgeteilt.“

Nach unserem Gespräch schickt der Mitarbeiter mir noch einige Verkaufsunterlagen. Etwa zu den Stiftungs-Seiten. In den Verkaufsunterlagen (Auszug als PDF) heißt es:

Stiftungen sind Impuls- und Taktgeber einer Bürgergesellschaft

Dass der Staat die Voraussetzung seiner Existenz und Vitalität nicht gänzlich selbst schaffen kann, wird zunehmend anerkannt. Stiftungen können und sollen ihn nicht ersetzen, doch ihre Verantwortung für das Gemeinwohl wächst. Mit ihrer eigenen Nachhaltigkeit fördern sie bürgerschaftliches Engagement als Basis einer lebendigen Demokratie.

DIE ZEIT unterstützt Sie dabei

Der Zeitverlag möchte das Engagement der Stiftungen fördern und bietet Ihnen auch im Jahr 2009 ein umfangreiches Portfolio an, um Ihre Tätigkeiten einer interessierten Leserschaft vorzustellen.

Eine meinungsbildende Zeitung mit einer engagierten und interessierten Leserschaft

DIE ZEIT steht für leidenschaftlichen und hintergründigen Journalismus, konträre Sichtweisen und exakte Analysen. Sie lädt zum Nachdenken, Diskutieren und Verändern ein. Dieses hohe redaktionelle Niveau macht sie zu einem führenden Medium für Meinungsbildner und Multiplikatoren. Somit liegt es auf der Hand, dass gerade ZEIT-Leser zu den oberen Bildungsschichten gehören, für die soziales Engagement und ein hohes politisches Interesse eine Selbstverständlichkeit sind. Mit der ZEIT erreichen Sie Menschen, die ein offenes Ohr für Ihre Stiftungstätigkeiten haben und diese unterstützen.

Machen Sie in einem erstklassigen Umfeld von sich reden

Die Sonderseiten »Stiftungen« erscheinen monatlich in der ZEIT. Wir informieren die Leser über aktuelle Entwicklungen, Probleme und Chancen aus dem Bereich Soziales, Forschung, Wissenschaft, Politik, Kultur und vieles mehr. Jeden Monat konzentriert sich die Berichterstattung auf zwei Themenschwerpunkte. Die Sonderseiten bestehen aus allgemeinen und informierenden Servicetexten, Interviews, Porträts und Berichten. Als Stiftung können Sie ein Advertorial buchen, um Ihre Projekte und Ziele mit umfassendem Text vorzustellen. Sie unterstützen damit hervorragend Ihre Öffentlichkeitsarbeit und erreichen ein großes und interessiertes Leserpublikum, ohne dabei einen werbenden Charakter zu haben. (…)

Stellen Sie sich umfassend den ZEIT-Lesern vor!

In den Sonderseiten »Stiftungen« können Sie sich für eine klassische Anzeige oder ein Advertorial entscheiden. Die Advertorials ermöglichen Ihnen eine seriöse Darstellung und beinhalten Texte und Bilder. Diese Formate sind standardisiert und gliedern sich harmonisch in das Gesamtlayout der Seiten ein.

Die Advertorials bestehen aus:

» Text in Bericht- oder Interviewform
» Infokasten für Logo, Kontaktdaten und Bankverbindung
» ein oder mehrere Bilder

Die Leistung des Zeitverlages umfasst:

» Erstellung des Textes
» Layout
» Korrekturabzug

Der Mitarbeiter schickt mir auch die Verkaufsunterlagen für die Reise-Beilage. Auf der Titelseite steht: „Urlaub & Service – Ihr persönlicher PR-Text in der ZEIT Reise Beilage!“ Auf Seite zwei wird das Produkt vorgestellt: „Wunderbar, einzigartig, unvergleichlich! Die ZEIT REISEN-Beilage ist das Aushängeschild der ZEIT-Reiseredaktion. Die besten Autoren, verstärkt um namhafte Schriftsteller, suchen in der kommenden Ausgabe das Wasser, vom Tropfen bis zum Ozean (…) Reihen Sie sich mit Ihrem persönlichen Werbeauftritt in diese Exklusivität ein! Bieten Sie dem ZEIT-Leser mit Ihren Angeboten weitere unvergessliche Urlaubserlebnisse!“ Auf der nächsten Seite ist „Das Konzept“ beschrieben: „Von der Kleinanzeige bis zum Advertorial. „Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen“ – aber auch schon vor dem Urlaub können sich die ZEIT- Leser über ihr Reiseziel informieren: Im Anschluss an den redaktionellen Teil der ZEIT REISEN-Beilage erscheinen zum vierten Mal in Folge die eigenständigen Seiten „Urlaub & Service“ mit Angeboten von Reiseveranstaltern, Städten, Regionen, Hotels und Ländern. Hier können Sie Ihr Angebot mit einem PR-Text oder mit einer klassischen Anzeigenschaltung vorstellen. Ob Sonnenhungrige, Kulturliebhaber, Wellnessfans, Fernreisende oder Aktivurlauber – entführen Sie unsere Leser in Ihr Paradies!“ Und als zusätzliches Angebot: „Die Erstellung Ihres Textes wird auf Wunsch von einer PR-Agentur übernommen. Und das ohne Aufpreis!“

Die folgenden Seiten enthalten Beispiele, was alles käuflich ist. Zum Beispiel: „Ihr persönlicher Text – PR-Text mit individueller Headline“. In einer Größe von 110 Millimetern Höhe kostet dreispaltig inklusive Servicekasten und Aktionskasten 2.534 Euro. Hier ein Auszug aus den Verkaufsunterlagen zum Download als PDF.

Was die Chefredaktion auf meine offizielle Anfrage sagt

Ich frage Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo am Telefon, wie wichtig für ihn ist, dass die Leser klar unterscheiden können zwischen redaktionellen Inhalten und den Inhalten, die von Unternehmen beeinflusst wurden. Er sagt: „Wenn wir das als selbstverständlichen Anspruch aufgeben: Dann gute Nacht! Die Trennung zwischen redaktionellen Texten und Anzeigen ist entscheidend für die Unabhängigkeit einer Zeitung. Und auch die Leser sagen: ‚Ich brauche eine Zeitung nicht mehr, wenn ich das Geführ habe, ich werde beschissen.'“

Zur Trennung von Redaktion und Verlag bei der Zeit sagt di Lorenzo: „Bei uns ist es so, dass die Kollegen sich weigern, Verlagseditionen wie CDs oder DVDs oder Bücher im Blatt redaktionell vorzustellen. Nicht, weil sie die Editionen nicht gut finden, sondern weil sie sagen: Man nimmt uns als Kritikern nicht mehr ab, dass die Besprechung unabhängig ist von den Verkaufsinteressen des Verlages, für den wir arbeiten. Diese Verlagseditionen finden bei uns nur in den Anzeigen statt, die Verlag im Blatt schaltet, und die auch klar als solche erkennbar sind. Eine Ausnahme bilden Kinderbucheditionen. Hier werden die Bücher im redaktionellen Teil vorgestellt, nicht bewertet. Dies geschieht jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung und mit dem Hinweis, dass der Reinerlös, den der Verlag aus dem Verkauf der Editionen erwirtschaftet, der Stiftung Lesen oder anderen Institutionen, die das Lesen fördern, zugute kommt. Ich sage das jetzt ohne Triumpfgeheule, weil ich weiß, dass die Zeit in einer finanziell sehr privilegierten Situation ist und wir uns diese Haltung leisten können.“

Redaktionelle Anmutung als Verkaufsargument: Auszug aus den Unterlagen, mit denen die Zeit um Anzeigenkunden wirbt
Und was ist mit den Seiten, die als „Anzeigenspezial des Zeitverlags“ bezeichnet werden? Etwa die Stiftungs-Seiten oder die zweite Hälfte der Reise-Beilage? Di Lorenzo: „Das hat mit Redaktion nichts zu tun. Das sind alles Anzeigen. Da ist nicht ein einziger Text, der redaktionell betreut oder verantwortet ist. Die Texte, die dort erscheinen, sind Advertorials, also von den Unternehmen geschriebene und bezahlte Texte. Die unterscheiden sich aber auch im Layout, von der Spaltenbreite, der Schriftart und der ganzen Aufmachung von den redaktionellen Seiten. Und zusätzlich steht auf jeder Seite noch ‚Anzeigenspezial des Zeitverlags‘. Ich habe noch nie einen Leserbrief oder eine Mail bekommen von einem Leser, der sich beschwert hätte, dass die Texte auf diesen Seiten nicht als Anzeigen erkennbar wären. Und wir haben eine in diesen Fragen hochsensible Leserschaft. Ich wäre bis zu Ihrer Frage auch nicht darauf gekommen, dass diese Seiten nicht als Anzeigen erkennbar wären. Wenn der Eindruck einer redaktionellen Berichterstattung entstehen würde oder sogar beabsichtigt wäre, müssten bei uns alle Alarmglocken schrillen.“

Aber warum steht über den bezahlten Artikeln nicht das im Pressegesetz vorgeschriebene Wort „Anzeige“? Di Lorenzo kann das spontan nicht beantworten. Ich maile ihm den Gesetzestext und ein paar Urteile. Di Lorenzo mailt nach ein paar Tagen zurück: „Derzeit prüft der Verlag, ob die internen Richtlinien zur Trennung von redaktionellen Texten und Verlagstexten der neuesten Rechtsprechung und dem Hamburger Pressegesetz entsprechen.“

-> Zurück zur Übersicht

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/die_zeit/

aktuell auf taz.de

kommentare