vonHans Cousto 06.07.2021

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

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Take Home Naloxon soll Drogentod verhindern – das Bundesmodellprojekt „NALtrain“ ist gemäß Pressemitteilung vom 5. Juli 2021 der Frankfurt University of Applied Sciences am 1. Juli 2021 als zentraler Baustein zur lebensrettenden Erstversorgung gestartet.

Campus der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), Foto: Kevin Rupp (UAS)
Campus der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), Foto: Kevin Rupp (UAS)

Ein Nasenspray mit Naloxon, das die Drogengebrauchenden immer mit sich führen, kann deren Leben retten. Im Falle einer Überdosierung mit Opioiden kann das Spray verabreicht werden, noch bevor der Rettungsdienst eintrifft. Naloxon ist das wirksamste Medikament gegen eine Überdosis. Die einfache Anwendung ermöglicht auch medizinischen Laien wie anderen Drogengebraucher/innen, Angehörigen und Mitarbeiter/innen im Hilfesystem schnelle Hilfe im Drogennotfall. Hier setzt das Projekt „NALtrain“ an, das am 1. Juli 2021 gestartet ist. „Das erste Bundesmodellprojekt zum Thema Take Home Naloxon soll in den nächsten drei Jahren den Grundstein dafür legen, dass Ärztinnen und Ärzte das Medikament verordnen und möglichst viele Opioidkonsumentinnen und -konsumenten sowie Patientinnen und Patienten in Opioidsubstitutionsbehandlung dieses lebenswichtige Medikament mit sich führen und anwenden können“ , erklärt Prof. Dr. Heino Stöver, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS).

1581 Drogentodesfälle wurden im Jahr 2020 verzeichnet. Etwa 600 Drogentodesfälle stehen in Verbindung mit dem Konsum von Heroin und anderen Opioiden. „Die Verschreibung eines Naloxon-Nasensprays geschieht hingegen lediglich in Einzelfällen – 2019 etwa 370 Sprays. Unser Projekt soll die Zahl der Verschreibungen deutlich erhöhen“, so Stöver. Gefördert wird „NALtrain“ vom Bundesministerium für Gesundheit für die Dauer von drei Jahren.

Akzept e.V., die Deutsche Aidshilfe und das Instituts für Suchtforschung (ISFF) als Projektträger verbinden mit dem Modellprojekt zudem folgende Ziele: Mitarbeiter/innen in Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe sollen durch halbtägige Schulungen zu Trainer/innen ausgebildet werden, die ihr Wissen in Kurzinterventionen an Drogengebraucher/innen und Substituierte weitergeben. Verbindliche Kontakte zu Ärztinnen und Ärzten der jeweiligen Stadt werden hergestellt und bringen beide Partner/innen miteinander ins Gespräch, um zu gewährleisten, dass alle geschulten Drogengebraucher/innen und Substituierte auch ein Rezept erhalten, das sie in der Apotheke einlösen können. Im Rahmen einer Begleitevaluation werden Daten zur Anzahl der ausgebildeten Personen sowie zur Zahl der Rezepte erfasst. Ebenfalls soll ein Rückmeldesystem nach erfolgter Anwendung des Nasensprays installiert werden. Viele tausend Drogengebraucher/innen und Substituierte sollen künftig das Naloxon-Nasenspray mit sich führen und im Notfall anwenden lassen können. Zudem soll das Thema „Drogennotfall“ ein fester Baustein in der Arbeit und Ausbildung aller in der Drogen- und Aidshilfe tätigen Mitarbeiter/innen werden.

Im Juli wird sich der Naloxonzug NALtrain in Bewegung setzen und wir wünschen uns sehr, dass möglichst viele Einrichtungen aufsteigen und uns begleiten. Wir haben Haltestellen in 40 Städten und allen Bundesländern vorgesehen. Wir freuen uns auf zahlreiche Unterstützung, denn es gilt, gemeinsam die Zahl der opioidbedingten Drogentodesfälle zu reduzieren“ , betont Stöver. Der Suchtexperte macht aber auch deutlich, dass eine Gabe des Nasensprays bei einer Überdosis immer nur eine Erste-Hilfe-Maßnahme sei und dennoch immer ein Rettungsteam herbeigerufen werden muss. Da aber in solchen Fällen gerade die schnelle Reaktion der Person wichtig sei, die die überdosierte Person auffindet, könne das Spray über Leben und Tod entscheiden. Wird Naloxon bei einer Überdosierung gegeben, kommt die betroffene Person wieder zu Bewusstsein und atmet. Da das Zeitfenster, in welchem Naloxon als Gegenspieler die Wirkungen von Heroin, Methadon, Fentanyl und anderen Opioiden teilweise oder ganz aufhebt, nur etwa 30 bis 90 Minuten beträgt, muss die Person in jedem Fall im Anschluss an die Verabreichung des Sprays professionell medizinisch versorgt werden. Da Nebenwirkungen bei der Naloxon-Gabe auftreten können, ist eine Überwachung des Überdosierten durch den Ersthelfenden bis zum Eintreffen der Rettungskräfte zwingend erforderlich.

Bisherige Naloxon-Programme

Bisher wurden in Deutschland nur regionale Naloxon-Programme durchgeführt. In Berlin gibt es das Modellprojekt „Drogennot- und -todesfallprophylaxe einschließlich der Vergabe von Naloxon an Drogenabhängige“ das über einen Zeitraum von anderthalb Jahren bis zum Februar 2000 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und extern evaluiert wurde. Seit 2000 unterstützt die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Drogenreferat, die Fortführung dieses vom Verein Fixpunkt betriebenen Projekts, wenn auch seit 2003 in erheblich reduziertem Umfang.

Im Rahmen des Modellprojekts „BayTHN – Take-Home-Naloxon in Bayern“ werden medizinische Laien seit Oktober 2018 speziell geschult, wie sie ein Naloxon-Nasenspray bei Menschen anwenden, die akut einen durch eine Überdosis von Heroin oder anderen Opioiden verursachten Atemstillstand erlitten haben. Naloxon kann in diesen Fällen ein lebensrettendes Medikament sein. Bislang durfte Naloxon nur von Ärzten angewandt werden.

Das Projekt wird federführend von der Universität Regensburg in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Bamberg sowie mit verschiedenen Einrichtungen der bayerischen Suchthilfe durchgeführt. Es läuft an den Standorten Regensburg, München, Nürnberg, Augsburg und Ingolstadt mit insgesamt rund 500 Studienteilnehmern. Gemäß Pressemitteilung der Bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml vom 2. August 2020 ist bereits in 70 Notfallsituationen Naloxon gezielt zum Einsatz gekommen und konnte somit Leben retten.

„Heroin auf Tasche ist uncool, Naloxon auf Tasche ist cool.“

Die Frankfurt University of Applied Sciences

Die Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) zeichnet sich durch angewandte Wissenschaft, hohe Internationalität und gelebte Vielfalt aus. Fragen aus der Praxis erhalten wissenschaftlich fundierte Antworten, und Forschungsergebnisse finden einen direkten Weg in die Gesellschaft. Durch Partnerschaften mit weltweit rund 200 Hochschulen ist die Frankfurt UAS in einer globalen Bildungswelt gut vernetzt. Vier Fachbereiche bieten 72 Studiengänge mit technischer, wirtschaftlich-rechtlicher und sozialer Ausrichtung an. Ein vielfältiges Weiterbildungsprogramm ermöglicht auch Externen berufsbegleitendes, lebenslanges Lernen. Zudem wird anspruchsvolle, inter- und transdisziplinäre Forschung in außergewöhnlichen Fächerkombinationen betrieben. Im Dialog mit Partnern aus Wirtschaft, Verbänden und Institutionen ist die Frankfurt UAS innovative Entwicklungspartnerin, um gemeinsam zukunftsweisende Lösungen zu generieren. Die enge Verknüpfung von Forschung und Lehre mit der Praxis qualifiziert die Studierenden für einen erfolgreichen Einstieg in attraktive Berufsfelder und gewährleistet ihre Anschlussfähigkeit im Berufsalltag. Der Campus der 1971 als Fachhochschule Frankfurt am Main – University of Applied Sciences gegründeten Hochschule liegt zentrumsnah im Herzen Frankfurts.

Heino Stöver

Prof. Dr. Heino Stöver, Foto: B. Bieber, Frankfurt UAS
Prof. Dr. Heino Stöver, Foto: B. Bieber, Frankfurt UAS

Heino Stöver setzt sich seit Jahrzehnten für die Schwächsten in der Gesellschaft ein: Drogenabhängige, Substituierte und vor allem auch für Drogenabhängige im Gefängnis. Prof. Dr. rer. pol. Heino Stöver ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunktfachgebiet Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften. Stöver war Mitbegründer und von 1981 bis 1995 Vorstand und Geschäftsführer des niedrigschwellig arbeitenden Vereins „Kommunale Drogenpolitik/Verein für akzeptierende Drogenarbeit“ in Bremen (Schwerpunkte: Haftarbeit, Infektionsprophylaxe, Wohnprojekte, Substitutionsbehandlung, Streetwork). Er war Mitbegründer und von 1987 bis 2017 geschäftsführender Vorstand des Archido (Informations- und Forschungszentrum für Alkohol, Tabak, Drogen, Medikamente und Sucht) an der Universität Bremen. Seit 1996 arbeitet er in internationalen und nationalen Forschungsprojekten in den Bereichen Drogenkonsum, Infektionskrankheiten (v. a. HIV, AIDS und Hepatitis), Sozial- und Gesundheitsplanung und Gesundheit im Gefängnis. Er ist Mitglied des Schildower Kreises, welcher sich für die Legalisierung von Drogen einsetzt. Er ist Vorstandsmitglied des akzept e.V. Bundesverband für akzeptiierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik und Mitherausgeber des jährlich erscheinenden Alternativen Drogen- und Suchtberichts. Er hat an diversen Fachbüchern zu Thema mitgewirkt und zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften veröffentlicht. Außer Heino Stöver hat sich kaum ein Wissenschaftler so lange so intensiv um Aufklärung in der Drogenpolitik engagiert.

Die Stiftung für Forschung und Bildung der Frankfurt University of Applied Sciences hat am 19. Mai 2020 den Publikationspreis 2020 verliehen. Die Auszeichnung ging an den Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Heino Stöver, Leiter des Studiengangs Suchttherapie und Sozialmanagement in der Suchthilfe am Fachbereich für Soziale Arbeit und Gesundheit. Außerdem erhielt er den Forschungspreis 2017 der Hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und den Scientific Award 2017 des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA). Doch nicht nur in akademischen Kreisen genießt Stöver hohes Ansehen und geroßen Respekt. So hat zum Beispiel die Hanfparade im Rahmen der Aktion „Die Drogenpolitik im Spiegel der Göttlichen Komödie“ bei den Platzzuweisungen im Paradiso der Göttlichen Komödie von Alighieri Dante Heino Stöver einen Platz reserviert. Außer ihm wurde diese Würdigung und Ehre folgenden Personen zuteil: Hans-Christian Ströbele, Rita Süssmuth, Ruth Dreifuss, Stanislav Grof und Albert Hofmann. Die Personenbeschreibungen und die Begründungen hierzu sind im Artikel „Platzzuweisungen für Akteure in Drogenpolitik, Wissenschaft und Drogenkultur“ zu finden.

Vergleiche hierzu in diesem Blog

[27.03.2021] Schon wieder mehr Drogentote

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https://blogs.taz.de/drogerie/2021/07/06/mit-nasenspray-leben-retten/

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