Vor mehr als vier Jahren, am 1. November 2018, meldete das offizielle Hauptstadtportal des Landes Berlin unter dem Titel „Drug-Checking – ab jetzt auch in Berlin“ in fast euphorischer Weise, dass das in Berlin geplante Drug-Checking-Programm gestartet habe. Wörtlich hieß es in der Meldung:
„Nach jahrelangen Überlegungen will Berlin Testmöglichkeiten für Drogen wie Ecstasy-Pillen schaffen. Ein Modellprojekt zum sogenannten Drug-Checking starte am Donnerstag (1. November 2018), teilte ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.“
Interessenten am Drug-Checking mussten jedoch bedauerlicherweise feststellen, dass es sich hier um eine in die Irre führende Falschmeldung der Gesundheitsverwaltung handelte, denn man konnte auch nach dieser Ankündigung in Berlin keine Pillen, Pappen und Pulver testen lassen. Und das ist leider bis heute der Fall – Berlin kriegt es einfach nicht auf die Reihe.
Historische Daten zum Drug-Checking in Berlin
12.10.1994 Gründungsversammlung von »Eve & Rave« im AMBIENTCAFÉ NAUTILUS in BerlinKreuzberg. Die Anwesenden beschließen, einen Verein mit dem Namen »Eve & Rave« zu gründen und billigen einstimmig die vorbereitete Satzung. Zweck des Vereins ist die Förderung der Technokultur, der Bildung und der öffentlichen Gesundheitspflege sowie die Förderung von lebensweltspezifischen Präventions-, Selbsthilfe-, Therapie- und Arbeitsprojekten zur gesundheitlichen Risikoreduzierung unter suchtgefährdeten Jugendlichen und drogenexperimentierenden Erwachsenen mit Konsumschwerpunkt im Bereich der Designerdrogen und psychedelischer Rauschsubstanzen.
23.11.1994 Der Verein »Eve & Rave« beschließt ein Drug-Checking-Programm nach niederländischem Vorbild in Berlin zu etablieren.
13.02.1995 Die ersten beiden Proben werden in das Institut gebracht. Am folgenden Tag liegen die Resultate vor. Die Tablette mit dem Symbol „Hammer und Sichel“ enthielt 120 mg MDMA, die andere Tablette ohne Symbol 94 mg MDE. Beide Tabletten enthielten keine weiteren Zusatzstoffe. Die Ergebnisse der Analysen wurden veröffentlicht. Das Drug-Checking-Programm konnte nach drei Monaten Planung und Vorbereitung gestartet werden.
30.09.1996 Der Analysenservice von Eve & Rave e.V. Berlin musste aufgrund staatlicher Repressionsmaßnahmen eingestellt werden.
Die Chronologie der staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen das Drug-Checking-Programm von Eve & Rave e.V. Berlin verlief wie folgt: Gut drei Monate nach dem Start des Drug-Checking-Programms wurde von Amtes wegen im Mai 1995 Strafanzeige gegen Unbekannt in Sachen Drug-Checking erstattet und Ermittlungen gegen verschiedene Mitglieder des Vereins Eve & Rave e.V. Berlin seitens des Landeskriminalamtes(LKA) eingeleitet. Über 20 Monate ermittelte das LKA gegen mehrere Mitglieder des Vereins. Im Januar 1997 waren dann die Ermittlungen abgeschlossen. Erst zehn Monate nach dem Abschluss der Ermittlungen beim LKA erhob dann die Staatsanwaltschaft I bei dem Landgericht Berlin im November 1997 Anklage gegen drei beschuldigte Mitglieder des Vereins Eve & Rave. Vier Monate später, im März 1998, wurde den drei Angeschuldigten dann die Anklageschrift durch das Amtsgericht Tiergarten mitgeteilt. Zwischen dem Zeitpunkt der Strafanzeige und dem Zeitpunkt der Mitteilung der Anschuldigungen lagen somit fast drei Jahre. Nach einem weiteren Jahr, im März 1999 wussten dann die drei Angeschuldigten durch Beschluss des Landgerichtes Berlin, dass sie sich im Rahmen ihrer Tätigkeit bei dem DrugChecking-Programm nicht strafbar gemacht hatten und nicht gegen geltendes Recht verstoßen hatten.
Ankündigungen und billige Ausreden
In der Berliner Koalitionsvereinbarung für die Legislaturperiode 2016-2021 zwischen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Landesverband Berlin und DIE LINKE Landesverband Berlin und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landesverband Berlin steht auf Seite 171:
„Die Koalition wird Maßnahmen stärken, welche die Verminderung der Begleitrisiken von Drogenkonsum (Harm Reduction) zum Ziel haben. Darunter fallen der Aufbau von „Drug-Checking“, die Weiterentwicklung von Drogenkonsumräumen, die Vergabe von sauberen Konsummaterialien und die Entsorgung des gebrauchten Materials sowie die Prüfung eines Projektes zur Naloxonanwendung bei Opiatvergiftung.“
01.11.2018 Das offizielle Hauptstadtportal des Landes Berlin meldete unter dem Titel „Drug-Checking – ab jetzt auch in Berlin“ in fast euphorischer Weise, dass das in Berlin geplante Drug-Checking-Programm gestartet habe.
31.08.2019 Das Online-Magazin Vice veröffentlicht einen Artikel mit einem Interview mit Tibor Harrach unter dem Titel „Drug-Checking in Berlin: Dieser Mann macht es möglich“ . Das Berliner Drug-Checking-Projekt koordiniert der Berliner Grünen-Politiker Tibor Harrach, der sich seit 2008 in der Drug-Checking-Initiative Berlin-Brandenburg engagiert. Im Interview wird er wie folgt zitiert:
„Wir stehen in den Startlöchern! Das Projekt ist politisch gewollt und ein Rechtsgutachten positiv ausgefallen. Polizei und Staatsanwaltschaft akzeptieren unser Modell. In diesem Herbst wollen wir an den Start gehen. Verwaltungsvorgänge werden gerade zwischen Trägern, Behörden und Labor abschließend geklärt.“
17.06.2021 Niklas Schrader, Abgeordneter der Linken in Berlin, stellte die „die Schriftliche Anfrage Nr. 18/27974 vom 17. Juni 2021 über Drug Checking in Berlin: Alle scharren mit den Füßen – wann kann es losgehen?“ und erhielt vom Senat folgende Antwort:
„Insbesondere die Bereitstellung von Sachkosten und die Besetzung von zwei Personalstellen für das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin (GerMed) werden die nächsten Schritte bestimmen. Allerdings müssen für die Durchführung der Analysen Stellen geschaffen und besetzt werden, so dass die notwendigen Laborkapazitäten derzeit noch nicht vorhanden sind.“
14.02.2022 Im Interview mit dem TipBelin, das unterdem Titel „Drugchecking: Dieser Berliner will testen, wie gut eure Drogen sind“ erschien, erklärte Tibor Harrach auf die Frage, wann es los gehe:
„Wir warten auf die Verabschiedung des aktuellen Haushaltes, dann müssen noch zwei Laborstellen besetzt werden, dann sind wir bereit.“
12.09.2022 Niklas Schrader, Abgeordneter der Linken in Berlin, stellte die „die Schriftliche Anfrage Nr. 19/13184 vom 12. September 2022 zum Thema Drug Checking – Läuft der Countdown?“ und erhielt vom Senat folgende Antwort:
„Zurzeit erfolgen die letzten Arbeiten zur Vorauswahl der eingegangenen Bewerbungen durch den Fachbereich Forensische Toxikologie. Da es sich um eine Vielzahl von Bewerbungen handelt, ist die Sichtung zeitintensiv. Nach Abschluss der Bewerbungsgespräche, die voraussichtlich Ende Oktober/Anfang November 2022 (in Abhängigkeit der zeitlichen Vakanzen der Gremienvertretungen) stattfinden werden, kann es, bei Auswahl eines geeigneten Bewerbers /einer geeigneten Bewerberin, zu der Besetzung der beiden ausgeschriebenen Beschäftigungspositionen kommen.“
Die Meldung vom 1. November 2018 aus der Gesundheitsverwaltung mit dem Titel „Drug-Checking – ab jetzt auch in Berlin“ muss man wohl als Fake News klassifizieren, da man bis heute in Berlin seine Drogen nicht testen lassen kann. Und dass nach vier Jahren nach Ankündigung des Startes des Projektes die Bewerbungsgespräche für zwei zu besetzende Stellen für das Projekt beginnen, zeigt, dass die Koordination des Projektes alles andere als professionell organisiert wurde. Bemerkenswert hierbei ist auch, dass auf dem Internetportal des Landes Berlin im Bereich der Landessuchtbeauftragten keine Informationen zu Drug-Checking zu finden sind.
In Thüringen geht, was in Berlin nicht geht
Seit über einem Jahr ist das Projekt Drogerie gemeinsam mit SubCheck und dem miraculix-lab im Thüringer Nachtleben unterwegs, um mit dem gemeinsamen Angebot ALIVE Drug-Checking für Gebraucher von psychotropen Substanzen anzubieten. In der Ausgabe Nr. 19 von upstream – dem Sozialmedizin Newsletter wird unter anderem auch über das Angebot berichtet. Außerdem findet man auch in dieser Ausgabe ein Interview mit Roxana von miraculix-lab und Sebastian von SubCheck und der Drogerie.
Felix Blei ist Gründer und wissenschaftlicher Leiter von miraculix-lab, welches in einer Kooperation mit der Suchthilfe in Thüringen das deutschlandweite erste mobile Drug-Checking-Modellprojekt durchführt. Er ist ein pharmazeutischer Mikrobiologe und Experte für die Analytik von Naturstoffen. Er entwickelte die ersten quantitativen Schnelltests für Wirkstoffe wie Psilocybin, LSD, MDMA und diverse Amphetamine.
Positionspapier Drug-Checking
Das „Positionspapier Drug-Checking – Regulierungs- und Förderbedarfe“ entstand im Zusammenhang mit dem Fachtag Drug-Checking am 15. Juni 2022 in Frankfurt am Main und wurde vom akzept e.V. – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik und der Deutsche Aidshilfe e.V. herausgegeben.
Das „Positionspapier Drug-Checking“ klärt über die Notwendigkeit und die Nutzungs- und Umsetzungsmöglichkeiten von Drug-Checking auf, diskutiert rechtliche Regelungsbedarfe und Regelmöglichkeiten und macht konkrete Vorschläge zur Förderung von Drug-Checking durch Politik und Verwaltung. Es richtet sich insbesondere an den Drogenbeauftragten der Bundesregierung und die Fraktionen von Bundestag und Landtagen, aber auch an die interessierte Fachöffentlichkeit. Im Kern tritt es dafür ein, möglichst flächendeckend Menschen, die illegalisierte psychoaktive Substanzen gebrauchen, einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu einem qualifizierten Drug-Checking zu ermöglichen.
Die gesetzlich abgesicherte und praktikable Initiierung von Drug-Checking-Angeboten durch Träger der Jugend- und Drogenhilfe in Kooperation mit zur Betäubungsmittelanalyse befähigten Laboren wird durch Streichung eines Satzes in § 10a BtMG sowie einen Zusatz in § 4 BtMG möglich. Wichtige Akteure der Träger und Initiativen der Drogenarbeit sollten im Rahmen von Fachkonsultationen durch das Bundesministerium für Gesundheit in die Erarbeitung der Neuregelung beteiligt werden.
Mitarbeiter des Drug-Checking-Programms aus Thühringen waren leider nicht unter den Autoren des „Positionspapiers Drug-Checking“ vertreten, dennoch ist die Lektüre auf dem aktuellen Stand und vor allem für drogenpolitisch engagierte Personen in den Parteien, dem Parlament und der Regierung wärmstens zu empfehlen. Insbesondere die juristischen Vorgaben könnten 1 zu 1 in einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes übernommen werden und so Drug-Checking ohne weiteren großen Aufwand in ganz Deutschland ermöglichen.
Vergleiche hierzu in diesem Blog
[06.12.2019] Drug-Checking
[19.10.2021] 25 Jahre Drogenaufklärung
[12.03.2021] Drug-Checking in der Schweiz