vonmanuelschubert 01.11.2022

Filmanzeiger

Texte, Töne und Schnipsel aus dem kinematografischen Raum auf der Leinwand und davor. Kinoverliebt. Filmkritisch. Festivalaffin. | Alle wichtigen Links: linktr.ee/filmanzeiger

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„Lobsinge, du Erde, überstrahlt vom Glanz aus der Höhe!
Licht des großen Königs umleuchtet dich.
Siehe, geschwunden ist allerorten das Dunkel.“

– aus dem Exsultet


Um es gleich vorwegzusagen, Matt Lamberts Werk spielt an keiner Stelle ernsthaft respektive explizit auf das Christentum und die Schriften des Christentums an, erwähnt sie nirgends und mit keiner Silbe. Und doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass seinen Bildern eine gewisse christliche Symbolik zu eigen ist. Die Rede ist vom Licht. Licht, Lichtfarbe, Lichtstimmung spielen in allen Arbeiten, die im Rahmen einer kleinen Werkschau mit Filmen aus den letzten sechs Jahren beim Pornfilmfestival 2022 zu sehen waren, eine zentrale Rolle.

Das Licht setzt hier die Stimmungen, es insinuiert Temperaturen und Atmosphären, es akzentuiert Körper. Das Licht führt das Bild. Matt Lamberts Bilder, um das zu vergegenwärtigen, sind im Regelfall hochprofessionell. DIY-Anmutungen, wie sie im unabhängigen Porno-Betrieb zum Alltag gehören, wird man bei ihm kaum finden. Sein Oeuvre changiert zwischen Werbung (Adidas, CK, Campari, Comme de Garcons, GMBH, Givenchy, Gucci, Instagram x Celine Dion), Musikvideo (Austra, Mykki Blanko, Anna Calvi, Westernhagen), Dokumentarischem und Pornografie. Die Ästhetiken, die Anforderungen an das Bild, wenn man so will, der Production Value, sind zumeist von ausgesuchter Qualität. Und mit ihnen die Lichtsetzung.

Strahlkraft kommt angesichts von pornografischen Arbeiten wie FLOWER (2017) oder SUBSPACE (2021) in den Sinn. Häufig stehen die Körper hier gegen das Licht, werden ihre Umrisse umschlossen vom Licht, wie es etwa durch Fenster fällt. Auch bei SWEAT aus dem Jahr 2016, einer bildstarken Verhandlung des Schweißes als sexueller Trigger, werden die schweißtriefenden Körper vom Licht umschlossen. Dabei ist Licht nicht gleich Licht.

Nicht wandeln in Finsternis

Während in FLOWER die Anmutung von wärmsten Nachmittags- oder Frühmorgenlicht sich auf „einem spuckefeuchten, kondomfreien Penis bricht“ (filmanzeiger, 2017), eine Orgie bildschöner Twinks mit intensivster Wärme umspielt, jeden Winkel ihrer Körper erleuchtet, ist es in SUBSPACE phasenweise nur kühles Weiß. Ein Weiß der Strenge, der höchsten, unerbittlichen Mittagssonne, das den Körper umfließt. Der Leib im Licht. Ein Leib, eingezwängt in eine Latex-Zwangsjacke, die den Sub in dieser Szene beherrscht, peinigt und fesselt, während sein Dom draußen auf dem Balkon im selben Sonnenlicht eine Kippe raucht und drinnen den Sub zappeln lässt.

Am Ende von SUBSPACE, einem Abtauchen in eine heftige BDSM-Session und gedreht übrigens auf in Sachen Lichtwiedergabe sehr interessantem 16mm-Film, werden Dom und Sub kuschelnd zusammensitzen, sich intensive menschliche Nähe, Liebe und Geborgenheit schenken. Über ihnen brennt eine Lampe, sie spendet warmes, behagliches Licht. Friedlich und intim ist diese Szenerie.

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, so soll es Jesus laut Johannesevangelium dereinst selbst verkündet haben. Das Licht des Lebens.

In KLAPPE, der jüngsten Arbeit von Matt Lambert und gedreht für das Porno-Label Erika Lust, ist dieses Hell von zwielichtiger Gestalt – im besten Sinne. Wir befinden uns gefühlt in einem Club oder vielmehr in dessen Toilettentrakt. Genauer gesagt, beschräkt sich das Setting auf eine Kabine, gewisse Ähnlichkeiten zu den Klos des Berghains sind vielleicht nicht von der Hand zu weisen, wenn auch dies eine Studio-Produktion mit gebauten Sets ist. Heruntergedimmt, fast spärlich beleuchtet ist diese Kabine und doch von intensiver Farbtemperatur in Weiß-, Rot-, Orange-, Blau- und Magenta-Tönen.

Diese kleine Kabine, dieser kleinen Tempel des Lichts in der wummernden Düsternis eines Clubs, wird zum Ausgangsort für eine schwule Orgie quer durch die Pluralität der Körper – umschlossen von Licht. Wo das Licht ist, ist die Lust. Wo die Lust ist, ist Erlösung. Matt Lamberts Filme sind Filme der Erlösung.


Hintergrund: Zum 17. Mal lud das Pornfilmfestival Berlin vom 25.-30. Oktober 2022 zu filmischen Erkundungen menschlicher Sexualitäten und allem was damit in Zusammenhang kommt. Der Filmanzeiger berichtete über das Pornfilmfestival im Rahmen eines Dauerliveblogs mit Gedanken, Schnipseln und Texten zu den Filmen des Festivals.

Ausgewählte längere Texte dieses Dauerliveblogs sind inzwischen ausgekoppelt:

Wer behält das letzte Wort? – RUA DOS ANJOS von Renata Ferraz und Maria Roxo

Der Terror gegen die Frauen – Dokus zu Andrea Dworkin und Lydia Lunch

Lesbische Sichtbarkeit? – Dokumentation NARCISSISM von Toni Karat


 

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